Offener Brief: Abriss und Neubau neu regeln!

Katinka Corts
19. settembre 2022
Foto: Markus Spiske

Architekt*innen, Akademiker*innen und Institutionen fordern im offenen Brief gemeinsam einen temporären Stopp von Gebäudeabrissen und eine Neuregelung der derzeit gültigen Vorschriften. Künftige Genehmigungen für Abrisse sollen das Gemeinwohl und die gesamte Lebenszyklusanalyse von Gebäuden als zentrale Kriterien einbeziehen.

Der Gebäudebestand in Deutschland stellt im Hochbau ein Materiallager in Höhe von 15,3 Milliarden Tonnen dar. Allein in Wohngebäuden befinden sich etwa 106 Millionen Tonnen Metalle. Jährlich werden 522 Millionen Tonnen des inländischen mineralischen Rohstoffabbaus in Gebäuden eingesetzt (Stand 2016). Dieses Material kann wiederverwendet werden, wenn nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft geplant und gebaut wird. Die Realität ist jedoch oft eine andere: Jedes Jahr entstehen 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle, was 55 Prozent des gesamten deutschen Abfalls ausmacht. In Deutschland ist der Gebäudebereich zudem für etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Und: Der Gebäudesektor hat 2021 zum zweiten Mal in Folge sein Emissionsminderungsziel verfehlt.

„Heute, wo die Klimaerwärmung spürbar, die Energieversorgung unsicher und die planetaren Grenzen erreicht sind, ist nicht der Erhalt von Gebäudestrukturen erklärungsbedürftig, sondern ihr Abriss. Die Erhaltung darf sich nicht auf einen kleinen Teil von repräsentativen Denkmälern beschränken, sondern muss den gesamten Baubestand umfassen. Die Zerstörung und der Abtransport von brauchbarem Baumaterial auf die Deponie ist nicht mehr zeitgemäß.“

Initiative Abriss-Moratorium, 19.9.2022

Vor dem Hintergrund der Energie-, Klima- und Biodiversitätskrisen ist diese Praxis für die Initiative nicht mehr zeitgemäß. Ein Abriss-Moratorium führe demnach zu einem verminderten Bedarf an Baustoffen, verringere Treibhausgasemissionen und Energieverbrauch, aktiviere die Potenziale leerstehender Gebäude für die Schaffung neuer Wohnungen und begegne Gentrifizierungs- und Verdrängungseffekten in urbanen Ballungsräumen. Um dies zu erreichen, muss die Politik klare regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, so die Forderung.

Unter den Erstunterzeichner*innen sind die wichtigsten Institutionen der Baubranche wie der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, die Architektenkammern mehrerer Bundesländer, Architects for Future, der Deutsche Werkbund, die Deutsche Umwelthilfe, die Baukammer Berlin, AfA – Aktiv für Architektur und German Zero sowie über 170 Einzelpersonen, darunter praktizierende Architekt*innen, Denkmalpfleger*innen, Medienschaffende, Investor*innen, Stadtplaner*innen und Theoretiker*innen.

Die Initiative plant eine Veranstaltungsreihe in mehreren Städten, um die Frage eines sozial und ökologisch gerechten Umgangs mit dem Baubestand zu diskutieren und die Öffentlichkeit aktiv mit einzubeziehen. Die Termine werden auf der Website bekanntgegeben.

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