Kalkulierte Naivität

Ulf Meyer
14. gennaio 2020
Das Projekt „Siemensstadt 2.0“ von Ortner & Ortner im städtebaulichen Modell (Foto: Siemens AG/O&O)

Die Nachricht wurde genau zu dem Zeitpunkt bekanntgegeben, als das deutsch-österreichische Erfolgsbüro im Rahmen einer „Haus Rucker Co“-Ausstellung über das von ihnen geplante Hochhaus-Quartier am Gleisdreieck diskutieren wollte. Um das Groß-Projekt am Park kulturell aufzuladen, versuchen die Architekten Parallelen zwischen ihrem Entwurf und ihrem avantgardistischen Frühwerk als „Haus Rucker Co.“-Kollektiv der 1960er-Jahre und zum Set-Design des Kultfilms „Blade Runner“ herzustellen. In ihrer hauseigenen Galerie, dem „O&O Depot“, haben die Architekten zu beiden Themen Ausstellungen organisiert. 

Im neu errichteten „BPart“, einem temporären hölzernen Pavillon auf einem der Hochhaus-Baugrundstücke am Park stellen Ortner & Ortner eine Auswahl ihrer frühen Architekturprojekte aus: Ebenso wie in den 1960er-Jahren die Raumfahrt Begeisterung unter Architekten auslöste, kommen Ortner & Ortner derzeit in Berlin mit ihren Stadt-Visionen (allzu?) gut an, die Klimaschutz, autonomes Fahren und Hyper-Dichte thematisieren. „Urbane Mitte“ heißt ihr Büro- und Gewerbezentrum am Bahnhof Gleisdreieck. Um das Viertel zu animieren, sind „Einrichtungen für Kunst, Kultur und Freizeit“ geplant, das denkmalgeschützte U-Bahn-Kreuz und die neue S21 werden es vorbildlich erschließen. Von den sieben geplanten Hochhäusern, die über Sockel verbunden werden, ist derzeit noch nichts zu sehen, aber das „BPart – Labor für das Stadtquartier der Zukunft“ kündet vom neuen Stadtteil: Auf tausend Quadratmetern Fläche bietet es „Raum für Menschen, die die Lebens- und Arbeitswelten von morgen erforschen und mitgestalten möchten“, so der Bauherr des „Labs“ – und auch des neuen Quartiers.

Visualisierung: Siemens AG/O&O

War es am Gleisdreieck ein Bahngelände, das öffentlich zugänglich wird, ist es bei Siemens ein Industrieareal. Unter 17 Entwürfen für die „neue Siemensstadt“ wählte die Jury unter Leitung von Stefan Behnisch den Entwurf von Ortner & Ortner Baukunst aus. Wie am Gleisdreieck auch vertrauen sie auf die Signalwirkung von Türmen: Im Zentrum planen O&O ein Hochhaus mit Stadtplatz, in dem „das autonome Fahren erforscht werden soll“. Der Zukunftscampus soll „im Betrieb CO2-neutral“ werden, alle Erdgeschosse ein öffentliches „Stadtgeschoss“ bilden und auch die Schaltwerkhallen für kulturelle Nutzungen umgestaltet werden. Das Schaltwerk-Hochhaus von Hans Hertlein könnte Büros und ein Hotel aufnehmen. Die Siemensbahn soll wieder in Betrieb genommen werden und die geplanten 2750 Wohnungen (30% davon mietpreisgebunden) umweltfreundlich erschließen.

47. Stadt Laurids, 1969 (Bild: Haus-Rucker-Co)

„Stadt soll funktionieren wie ein guter Film“, sagte Manfred Ortner anlässlich der Vernissage und Podiumsdiskussion im BPart. Auch im hohen Lebensalter von mehr als 75 Jahren sitzt ihm der Schalk noch im Nacken: Seine Mischung aus österreichischem Charme, gespielter Naivität und architektonischer Biegsamkeit hat in Berlin schon viele Politiker und Bauherren verzaubert. Den Beweis, dass sein Büro für durchgehend interessante Gebäude steht, ist er allerdings schuldig geblieben. Mit der Alexa Shopping Mall oder dem KPM-Areal in Berlin haben O&O – neben vielen anderen Gebäuden – bewiesen, dass sie in der Ära Stimmann und danach gut gedeihen konnten. In beiden neuen Berliner Stadtvierteln, die nun von O&O geplant werden, steht und fällt die angestrebte Qualität der Planung mit der Architektur. „Fort mit den Sorgen, es wird alles zu lösen sein!“ rief Manfred Ortner zum Abschluss des Abends. Man mag es hoffen!

Ausstellung „Stadt von morgen“ 
bis 8. Februar, Mi–Sa 14–18 Uhr im BPart, Luckenwalder Str. 6b in Berlin. 
Eintritt frei.

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