Farbenfroh in Zürich

Susanna Koeberle
8. décembre 2020
Die Lichtinstallation von Pamela Rosenkranz an der Fassade der Globus-Filiale ist nicht zu übersehen. (Foto: Flavio Karrer)

Bald ist Weihnachten und damit prägt die obligate Weihnachtsbeleuchtung das Stadtbild. Die einen freuts, andere empfinden dieses Geblinke als störend. Licht hat definitiv Potenzial, Emotionen zu wecken. Diese Tatsache wird auch an der Bahnhofstrasse genutzt. Interessanterweise hat sich auch die Kunstwelt die Neonröhre als Medium angeeignet. Auch am Thema Weihnachtsbeleuchtung haben sich Kreative immer wieder versucht, darunter auch Architekten. Kürzlich verstarb Willi Walter, der zusammen mit seiner Frau, der Grafikerin Charlotte Schmid, und dem Grafiker Paul Leber den bekannten Lichterbaldachin an der Bahnhofstrasse entworfen hatte. Diese Lichtinstallation war zwischen 1971 und 2004 in Betrieb. Danach kam mit „The World’s Largest Timepiece“ von Gramazio Kohler ein kurzer Abstecher in die zwinglianische Sachlichkeit. 2010 wurde sie durch die klassisch anmutende Installation „Lucy“ abgelöst. Auch dieses Jahr funkeln die bunten, durch LED-Lämpchen beleuchteten Kristalle an der Shoppingmeile. 

Die Farben der Licher wechseln graduell. (Foto: Flavio Karrer)

Sie bekommen heuer durch eine andere farbige Lichtinstallation Konkurrenz. Seit dem 19. November schmückt ein Kunstwerk von Pamela Rosenkranz die Fassade der Globus-Filiale an der Bahnhofstrasse. Die Schweizer Künstlerin ist keine Unbekannte, immerhin vertrat sie die Schweiz 2015 an der Biennale in Venedig. Auch mit dem Medium Licht hat Rosenkranz schon verschiedentlich gearbeitet. Die wechselnden Farben der digitalen Arbeit „Living Colors“ tauchen den Vorplatz des Warenhauses in farbiges Licht. Das Kunstwerk verfehlt seine Wirkung nicht. Bei unserem abendlichen Besuch der Installation standen einige Menschen still und blickten andächtig und mit einem staunenden Lächeln auf die Fassade.

Dass es sich dabei um Kunst handelt, muss nicht zwingend erkannt werden, um sich daran zu erfreuen. Dahinter steckt allerdings mehr als nur ein vorweihnachtliches Spektakel. Das Farbspektrum von Rosenkranz’ Arbeit (übrigens eine Abwandlung eines bereits existierenden Werks) basiert auf einer wissenschaftlichen Untersuchung. Seit längerem interessiert sich die Künstlerin für die Neurologie. Forschern der Harvard University gelang es, einzelne Nervenzellen mit den Grundfarben des RGB-Systems zu markieren. Jeder neue Gedanke ergibt eine neue Mischung von Farbe. Teil des Kunstwerks ist eine künstlich generierte Frauenstimme, die in unregelmäßigen Abständen „Yes“ oder „No“ ausspricht, jedes Mal mit einer leicht anderen Tonlage. Diese Stimme inklusive den wechselnden Farben können sich Interessierte während der Dauer der Installation über einen QR-Code auch aufs Handy laden. An der Bahnhofstrasse selber erklingt die Stimme wohl nur sporadisch – zu hören war sie an diesem Abend jedenfalls nichts. Das durchgehende Abspielen könnte ja ablenken vom frischfröhlichen Konsumrausch. Rosenkranz geht es wohl eher um die Frage, was uns überhaupt zu konsumierenden Menschen macht. Was oder wer steuert unsere Emotionen, unsere Wünsche und Sehnsüchte? Sind wir vielleicht fremdbestimmt? Was wir als Farbe wahrnehmen, ist lediglich die Reflexion des Lichts (eine bestimmte Wellenlänge), die über Rezeptoren im Auge an das Gehirn weiter geleitet wird. Betrachtet man die wechselnden Farben von „Living Colors“ eine Weile lang, erscheinen sie plötzlich fast wie eigenständige, lebendige Wesen.

„Living Colors“ macht das Faszinosum Farbe erlebbar. (Foto: Flavio Karrer)

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