Ein Holzhochhaus als Eingang zur Stadt

Leonhard Fromm
23. février 2022
Siegerentwurf von Gutiérrez - De la Fuente Arquitectos / UTA Architekten und Stadtplaner

Ein grauer Beton-Block bildet heute das Entree am Böblinger Bahnhof. Eine Postfiliale hat sich in dem zweigeschossigen Gebäude eingenistet. Aluminium-Jalousien hängen wie schiefe Mundwinkel herab. Wer hier ankommt, sieht kein einladendes Eck. Das soll sich bis Ende 2026 ändern. Denn 2027 findet in der Region Stuttgart die Internationale Bauausstellung (IBA) statt. Das Böblinger Postareal ist eines von 16 IBA-Projekten und soll bis in fünf Jahren abgerissen und wieder aufgebaut sein. 

Um zu erfahren, wie die Menschen die Stadt der Zukunft sehen, befragt die örtliche Baugesellschaft (BBG) dazu Böblinger in Bürger-Workshops. Die Ergebnisse daraus flossen in einen Architektur-Wettbewerb, an dem 45 internationale Büros teilnahmen. Sieger ist nun eine schwäbisch-spanische Arbeitsgemeinschaft: Das Büro Gutiérrez – De la Fuente Arquitectos aus Madrid kooperiert mit den Stuttgarter UTA Architekten. Ihr Entwurf sieht auf dem 6200 m² großen Eck-Areal drei Baukörper vor. Wobei ein 20-geschossiger Hochpunkt den Akzent im neuen Quartier setzt. Die übrigen Gebäude sind mit 30 Metern maximal halb so hoch.

Lageplan: Gutiérrez - De la Fuente Arquitectos / UTA Architekten und Stadtplaner
Visualisierung: Gutiérrez - De la Fuente Arquitectos / UTA Architekten und Stadtplaner

Kernidee des Projekts ist nachhaltiges Bauen. Die Planer wollen Elemente und den Beton des heutigen Postgebäudes recyceln und im Neubau wieder verwerten. Das soll die Klimabilanz der Gebäude verbessern. Recycelter Beton etwa schont die Umwelt, weil er kostbaren Deponieraum spart. Auch brutale Eingriffe in die Natur beim Sand- und Kiesabbau werden reduziert und Millionen Lkw-Transportkilometer erübrigen sich, wenn die Bauindustrie mehr R-Beton einsetzt.

Zudem sollen die neuen Gebäude im Postareal zu mindestens 50 Prozent aus Holz bestehen. Das Ziel ist laut Dominique Dinies vom Büro UTA: „So viel Holz wie möglich – so wenig Beton wie nötig.“ Vor allem der Brandschutz erfordert, dass die Treppenhäuser in Beton gegossen werden. Bei den Geschossdecken setzen die Architekten auf einen Holz-Beton-Verbund. Bestimmte Fassadenelemente wiederum sollen ganz aus Holz sein. Gleichwohl würden laut Dinies Holzhochbauten derzeit 60 Meter Höhe selten überschreiten. Es sei unwirtschaftlich, höher in Holz zu bauen, so der Stuttgarter Architekt. 

Expertise im Teile-Recycling bringen die Spanier mit, sie bauen die Zentrale der Metro von Madrid um. Das Gebäude steht auf einem ehemaligen Industriegelände, in dem früher Züge repariert wurden. Alte Beleuchtungsmasten, Treppen, Schienen und Steindepots liegen dort brach. Die Architekten setzen diese Elemente bei der Gestaltung des zentralen Parks innerhalb des Komplexes ein. „So entsteht eine Art Industriepark, der das Erbe des Unternehmens enthält“, verdeutlicht Julio de la Fuente Martínez vom Büro Gutiérrez. Ähnlich stellen sich die Planer den Prozess in Böblingen vor. Möglich wäre, dass sich die typischen Beton-Fassadenelemente des Altbaus an anderer Stelle im Neubau wiederfinden. Gleiches gilt laut Dinies für Fenster und Türen. Klarheit darüber brächten letztlich technische Prüfungen sowie der nun anstehende, vertiefende Planungsprozess.

Schnittansicht des Siegerentwurfs: Gutiérrez - De la Fuente Arquitectos / UTA Architekten und Stadtplaner
Modell zum Siegerentwurf: Gutiérrez - De la Fuente Arquitectos / UTA Architekten und Stadtplaner

Dieser wiederum fußt auf den Ideen der Bürger-Workshops. So weiß das Architekten-Gespann, wie die Menschen südlich von Stuttgart in Zukunft wohnen, arbeiten, leben und einkaufen wollen: Ein urbanes Viertel soll am Bahnhof entstehen. Als Tor zur Innenstadt wirkt ein ökologisches Hochhaus mit Wohnraum für Studenten, Singles, Familien, Senioren, WGs und Pendler. Platz für bis zu 180 Wohnungen soll das Areal künftig bieten. Hinzu kommen Gemeinschaftsflächen, ein Sportzentrum, eine Mediathek. Außerdem sind Räume für Start-ups, Handwerksbetriebe sowie Büros und Co-Working-Plätze angedacht. So entscheidet es eine mehr als 20-köpfige Jury, die insbesondere die Nachhaltigkeit des Entwurfs lobt: Das Bauen mit recycelten Materialien und die Idee überzeugen, für Gemeinschaft im öffentlichen Raum etwa zehn Prozent der Fläche vorzusehen. 

Statt eines Blocks wollen die Planer neue Wege kreieren. Das Areal wird dadurch offener und durchlässiger. Damit es im Sommer in der Stadt kühl bleibt, wird der Innenhof nicht bepflastert, sondern begrünt. Zudem sehen die Architekten Gemeinschaftsgärten auf den Dächern der Gebäude vor. Zum Bahnhof hin schlagen sie einen großzügigen Platz mit einem „Wäldchen“ vor. Der neue Innenhof, den die Planer „Stadtfoyer“ nennen, erstreckt sich zwischen den Gebäuden. Er ist offen und somit von allen Seiten zugänglich. Das Foyer mit Wasserspielen soll als Treffpunkt fungieren und Bewohner, Kunden der Läden, aber auch Flaneure oder wartende Bus- und Bahnfahrer zum Verweilen einladen. 

In Zukunft bestimmt ein urbaner Mix aus Wohnen, Einkaufen und Arbeiten das Areal, dessen Investition zwischen 100 bis 150 Millionen Euro liegen dürfte und das am Ende eine Bruttogeschossfläche von 21'000 m² hat. IBA-Intendant Andreas Hofer ist beeindruckt von der Qualität der eingereichten Pläne. Den Siegerentwurf lobte er: „Hier entsteht ein Stadtteil, der öffentlich ist, wo man um die Häuser herumgehen kann.“ Er machte aber auch Druck, das Projekt zügig umzusetzen. „Wir wollen 2027 bei der IBA etwas zeigen.“

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