Aufarbeitung der Geschichte: „Städtebau als Kreuzzug Francos“
Manuel Pestalozzi
9. novembre 2021
Die kleine Gemeinde Belchite in der Nähe von Saragossa wurde nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges in ihrem zerstörten Zustand belassen. Daneben entstand eine neue Mustersiedlung für vom Regime ausgewählte Haushalte. (Foto: Max Welch Guerra, 2015)
Nach dem Spanischen Bürgerkrieg vereinnahmte Francos Regime den Wiederaufbau und versuchte, seine Macht auch mit architektonischen Mitteln zu festigen. Ein neues Buch dokumentiert und kommentiert dies nun.
Die meisten bewaffneten Konflikte der letzten Jahrzehnte sind Bürgerkriege. Geführt werden sie oft mit besonderer Grausamkeit und Härte. Sie ereignen sich innerhalb der Grenzen eines bestimmten Staates und haben für die Zivilbevölkerung entsetzliche Folgen. Meistens nimmt die Weltöffentlichkeit diese brutalen Auseinandersetzungen als zeitlich unbefristet wahr, und welche Ziele die Kriegsparteien überhaupt verfolgen, bleibt häufig unklar. Fast immer mischen sich zudem ausländische Mächte ein und befeuern die Konflikte zusätzlich. Oft ist dann die Rede von Stellvertreterkrieg. Der Spanische Bürgerkrieg ist in mancherlei Hinsicht vielleicht der Prototyp dieser Art des „modernen“ Krieges. Als großes Medienereignis bewegte er rund um den Globus weite Bevölkerungsschichten zur Parteinahme; andere Staaten, aber auch Privatpersonen und Vereinigungen lieferten Hilfsgüter und Kriegsgerät an beide Parteien. Truppenverbände und Freiwillige reisten nach Spanien und beteiligten sich an den Kampfhandlungen. Zahlreiche Flüchtlinge mussten in den Nachbarländern aufgenommen und versorgt werden.
Im Vergleich zu den aktuellen Bürgerkriegen war jener in Spanien kurz; er dauerte etwas weniger als drei Jahre, von Juli 1936 bis April 1939. An seinem Ende stand die Errichtung einer brutalen Diktatur, die die Menschen in Spanien unterdrückte und ihnen entsetzliches Leid zufügte. Die Nationalisten, die sich dank ihrer ausländischen Unterstützer durchgesetzt hatten, traten als Sieger auf und unternahmen keinerlei Anstrengungen zur Versöhnung. General Francisco Franco, der sich „Caudillos“ (Führer) nennen ließ, blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1975 an der Macht. Spanien konnte unter seiner Gewaltherrschaft einigermaßen am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in Europa partizipieren. Danach gelang ein holpriger, doch insgesamt friedlicher Übergang zur Demokratie.
Francos Gesinnung, die Gräueltaten, die während des Krieges und seiner Herrschaft danach verübt wurden und beispielsweise auch die Verstrickung des franquistischen Spaniens mit Nazi-Deutschland – die spanische Blaue Division etwa war am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt – sind scharf zu verurteilen. Nach ihrem Sieg begannen Franco und seine Anhänger, den Wiederaufbau zu vereinnahmen und Bauprojekte für die Festigung und den Ausbau ihrer Macht zu nutzen. Die Beschäftigung mit diesem Teil der spanischen Architekturgeschichte ist also nicht einfach – und doch ist die Periode hochinteressant. Es entstanden Projekte, die nicht zu ignorieren sind, sondern eine eingehende Untersuchung verdienen und einer genauen Aufarbeitung bedürfen. Das Buch „Städtebau als Kreuzzug Francos – Wiederaufbau und Erneuerung unter der Diktatur in Spanien 1938–1959“ setzt sich nun umfassend und kritisch mit den planerischen Idealen auseinander, die aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen sind, mit den konkreten Resultaten sowie mit ihrem Gebrauch als Instrument der Propaganda durch das totalitäre Regime.
Der Plan des neuen Belchite gleich neben der zerstörten Gemeinde zeigt eine kompakte, dichte Bebauung. Die Legende nennt das franquistische Programm in Stichworten: Kloster, Seminar, Park, Sportplatz, Kino. (Plan aus einer Publikation von 1940)
Das Buch befasst sich hauptsächlich mit der ersten der zwei Phasen der Herrschaft Francos. Sie dauerte von 1938 bis 1959 und lässt sich als unmittelbare Reaktion auf den Bürgerkrieg interpretieren, während es in der zweiten Phase, also von 1960 bis 1975, stärker um die Integration in den Staatenverbund und eine gewisse Angleichung an das Ausland ging. Neben der Monarchie und der katholischen Kirche als konservative Institutionen spielte die „Falange“, die Einheitspartei in Spanien, als vom Faschismus in Deutschland und Italien inspirierte Massenbewegung eine herausragende Rolle, gerade dann, wenn es darum ging, planerische Zielsetzungen zu definieren. Das Buch setzt sich mit den Resultaten auseinander, wobei es analytisch zwischen Produkten, Produktion und Produktionsverhältnissen des Städtebaus unterscheidet. Die fünf Autoren Piero Sassi, Uwe Altrock, Harald Bodenschatz, Jean-François Lejeune und Max Welch Guerra haben ihr Werk mit dem deutschsprachigen Publikum vor Augen geschrieben. Sie nehmen nach eigener Aussage explizit eine europäische Perspektive ein und möchten mit ihrem Buch ein in der europäischen Historiographie „bisher unterschätztes, ja übersehenes Kapitel“ neu schreiben und besser verankern.
Die Gliederung des Buches widmet sich nach einer generellen Einführung den verschiedenen „Angriffspunkten“, welche die besonderen Eigenschaften der städtebaulichen Planungen nach dem Bürgerkrieg verdeutlichen: Neben der Vorstellung eines Groß-Madrid, eines Barcelona als „Manchester des Mittelmeers“ oder der Erneuerung von Altstädten sind dies insbesondere die Arbeiteruniversitäten, die Universitätsstädte eines neuen Typs hervorbrachten. Hinzu kommt die koordinierte Binnenkolonisation, die Fortsetzung einer älteren spanischen Tradition. Auch dem Städtebau in den spanischen Kolonien in Nordwestafrika wird ein längeres Kapitel gewidmet. Direkten Bezug auf den vorangegangenen Bürgerkrieg nimmt ein Abschnitt zum kontroversen „Tal der Gefallenen“ in der Nähe von Madrid, einer für das Regime und seine Propaganda zentralen Aufmarsch- und Gedenkstätte. Das abschließende Kapitel widmet sich schließlich dem Städtebau unter Franco und nennt diesen „die Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln“, denn um Aussöhnung mit ihren Gegner*innen ging es den Nationalisten, wie eingangs schon erwähnt, zu keinem Zeitpunkt.
Die 1955 eingeweihte Siedlung Esquivel nördlich von Sevilla in Andalusien wurde als Modellprojekt geschaffen. Sie erhielt eine Verkehrstrennung nach dem Vorbild von Radburn in den Vereinigten Staaten. (Foto: Piero Sassi, 2015)
Der Wiederaufbau betraf nahezu 200 Ortschaften, die im Laufe des Krieges beschädigt oder gar völlig zerstört wurden. Verantwortlich für ihn war zunächst von 1938 bis 1942 der Innenminister und Generalsekretär der Falange, Ramón Serrano Súñer. Er pflegte von der Überwindung der Schäden an den Dörfern und Städten, die „blutige Schauplätze des heiligen und siegreichen Kreuzzuges der Befreiung“ gewesen seien, zu sprechen. Eine schwer verdauliche Ausdrucksweise, die aber die Haltung hinter den Bauten klar offenlegt. Besondere Aufmerksamkeit schenkt das Buch der Erneuerung der „Heldenorte“ Belchite und Brunete sowie der baskischen Stadt Guernica, deren Agonie Pablo Picasso im vielleicht berühmtesten Gemälde des 20. Jahrhunderts verewigt hat. Ihre militärisch sinnlose Bombardierung durch den deutschen Luftwaffen-Verband Legion Condor und italienische Fliegerkräfte erklärte das franquistische Regime als Zerstörungsakt „der Roten“ – eine propagandistische und abstoßende Verdrehung geschichtlicher Tatsachen.
Zuständig für den Wiederaufbau war die sogenannte Generaldirektion für zerstörte Gebiete. Für die Umsetzung wurden auch Zwangsarbeiter eingesetzt. Den Propagandacharakter der Planungs- und Bautätigkeiten bekräftigte die eigens geschaffene, zwischen 1940 und 1956 erschienene Zeitschrift Reconstrucción (Wiederaufbau). Sie verkündete, dass Bestehendes und Zerstörtes durch etwas Besseres ersetzt werde. Trotz aller Vereinnahmung wurden interessanterweise keine Normen hinsichtlich der Ästhetik gestellt. Jedoch wurde die Forderung laut, „das traditionelle Konzept anzuwenden, das der geschlossenen Städte“. Diesem Konzept einer dichten Bauweise wurde als negative Alternative die Ausbreitung unbebauter Grundstücke gegenübergestellt, welche die Bodenspekulation verursache. Die traditionellen Elemente wurden vorsichtig angereichert mit modernen städtebaulichen Versatzstücken, also mit offenen Parks, Kinos und insbesondere Fußballstadien. In die Häuser der rekonstruierten Ortschaften zogen oft vom Regime ausgewählte Bürger*innen.
Den Städtebau des frühen Franquismus nennen die Autoren das Resultat einer „offen repressiven Entwicklungsdiktatur staatswirtschaftlichen Typs“. Es ist ein Städtebau der Sieger, die ihre Überlegenheit feiern. Es ging um Unterdrückung und Machtentfaltung. Oft wirken die neuen Siedlungen und Monumente bombastisch und entseelt, sie wollen von einem gewissen Blickwinkel beeindrucken und erzeugen mitunter durch ihre Kulissenhaftigkeit den Eindruck von Potemkinschen Dörfern. Darin übrigens sind sie städtebaulichen Projekten des Nationalsozialismus und auch des stalinistischen Kommunismus ähnlich.
Das Buch stellt den Wiederaufbau der sinnlos zerstörten baskischen Stadt Guernica detailliert dar. (Foto: DOM publishers)
Obwohl sie sich über den Charakter der Diktatur Francos völlig im Klaren sind, bescheinigen die Autoren des Buches dem Regime allerdings auch ein Bemühen um eine „selektive Integration“. Sie schreiben: „Der Städtebau hat unterschiedliche Schichten mit einem diversifizierten Programm erreicht. Allen Widrigkeiten zum Trotz finden sich gestalterische und funktionale städtebauliche Lösungen, die selbst in einer gesamteuropäischen Sicht bemerkenswert sind, aber auch einfache Schöpfungen, die heute noch, unter ganz anderen Bedingungen, ihren Zweck erfüllen. Der repressive Charakter des franquistischen Städtebaus schloss bemerkenswerte urbanistische Leistungen nicht aus. Im Gegenteil, solche Qualitäten erscheinen retrospektiv als eine notwendige, die Not wendende Ergänzung des diktatorischen Charakters des Regimes. Die Annahme liegt nahe, dass die frühe Entdeckung des Städtebaus als hervorgehobenes Handlungsfeld für den Aufbau der neuen Herrschaft und deren Entfaltung bis Ende der 1950er-Jahre eine substanzielle Teilerklärung für die Langlebigkeit des Systems liefert.“ Die unbequeme Entdeckungsreise, die sich mit der Lektüre dieses Buches anbietet, lohnt sich. Gleichzeitig stellt sich ein weiteres Mal die Frage nach dem richtigen Umgang mit und der richtigen Aufarbeitung von Bauprojekten totalitärer Staaten.
Städtebau als Kreuzzug Francos – Wiederaufbau und Erneuerung unter der Diktatur in Spanien 1938–1959
Harald Bodenschatz und Max Welch Guerra (Hrsg.)
Mit Beiträgen von Piero Sassi, Uwe Altrock, Harald Bodenschatz, Jean-François Lejeune und Max Welch Guerra
240 × 300 Millimeter
460 Pages
570 Illustrations
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 9783869225272
DOM publishers
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