Der Neubau des Springer-Verlags in Berlin von Rem Koolhaas

Vermischung der Welten

Ulf Meyer
19. février 2020
Das Atrium des Springer-Verlagshauses im Bau (Foto: Nils Koenning)

Eine offene „Kommunikations-Landschaft“ im Zentrum des neuen Medien-Hauses soll das Arbeiten vor dem Computer „als gemeinschaftliche Unternehmung erfahrbar machen“, so Rem Koolhaas. Überall im Neubau gibt es Podeste und Sitzstufen, die nicht nur als Treffpunkte für den informellen Austausch gedacht sind, sondern auch als vollwertige Arbeitsplätze. Der Neubau versteht sich als „gebautes Internet“, er soll das Berliner Zeitungsviertel in der Friedrichstadt in die digitale Medien-Zukunft katapultieren. Man merkt ihm den „Modernisierungs-Stress“ an, der im Internetzeitalter auf Printmedien lastet. Die statischen Verrenkungen, die das Gebäude mit seinen hängenden Stockwerken vollführt, zeugen davon.

Das Axel-Springer-Haus links mit dem Neubau rechts (Foto: Frans Parthesius, mit freundlicher Genehmigung von OMA)

In Zeiten sinkender Auflagen im Printbereich soll Koolhaas’ Entwurf für Springer helfen, eine Identität zu formulieren. Der konservative Verlag setzt dabei auf OMAs Architektur, die das Feuilleton der hauseigenen Zeitung Die WELT jahrelang nach Kräften bekämpft hat. Mit dem Bau möchte das Verlagshaus ein bauliches Fanal setzen. Er nimmt neben 3'500 Arbeitsplätzen auch Fernsehstudios und einen Newsroom auf. Das Dach wird öffentlich zugänglich sein. Auf ihm wird ein Garten angelegt und eine Bar eingerichtet. Rund 300 Millionen Euro kostet das 13-stöckige Gebäude.

Foto: Dominik Tryba

Die „Medienzentrale für das Internetzeitalter“ soll zeigen, wie die Nachrichtenbranche heute tickt. Der Anteil der Erlöse der digitalen Aktivitäten am Konzernumsatz macht bei Springer mittlerweile bereits 73 Prozent aus. 

Zentrum des Hauses ist eine große, das ganze Gebäude durchdringende „Arbeits-Sphäre“. Sie durchschneidet das Volumen entlang des ehemaligen deutsch-deutschen Mauerverlaufs und wird zu einem riesigen, 45 Meter hohen Atrium mit gefalteter Fassade. Dies thematisiert „das Zusammenwachsen der beiden ehemaligen Stadthälften“, so der Koolhaas. Die „Vereinzelung in der digitalen Arbeitswelt“ soll in dem Raum „zugunsten einer transparenten, vernetzten Arbeitsatmosphäre“ überwunden werden. Die Nord- und Südhälften des Gebäudes sind über Brücken verbunden, die aus dem Atrium einen irisierenden Raum machen, der an die Kunst von Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) erinnert.

Grafik: mit freundlicher Genehmigung von OMA
Grafik: mit freundlicher Genehmigung von OMA

„Mit dem Neubau wollen wir die Zukunft des Arbeitens in der digitalen Welt gestalten. Es geht um ein symbolkräftiges Zuhause und eine kulturelle Transformation durch radikal moderne Arbeitsräume“, so Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer. Im Stammsitz und dem Neubau werden insgesamt 5'500 Mitarbeiter tätig sein. „Der Bau ist eine Lösung für das Dilemma des modernen Bürolebens, in dem das Arbeiten am Computer eine leise und zurückgezogene Atmosphäre erfordert. Er zeigt, wie man eine Arbeitsumgebung schaffen kann, die sowohl Konzentration als auch lebhafte Zusammenarbeit fördert“, so Koolhaas. Der Neubau soll die kulturelle Veränderung des Unternehmens also nicht nur symbolisieren, sondern beschleunigen. Es gibt folglich weder Großraum- noch Einzelbüros, sondern „die völlige Mischung der Welten“, wie der Architekt es nennt. Koolhaas hat seine Karriere einst selbst als Journalist begonnen. So schließen sich für ihn und seinen Bauherren die Kreise. 

Die Fassaden des neuen Springer-Baus sind teils poppig und golden eloxiert – analog zur benachbarten Hochhausfassade des Springer-Stammsitzes –, teils grau getönt mit einem Aufdruck, der an Mies’ Hochhaus an der Friedrichstraße erinnern soll. Elegant ist jedoch allein die facettierte Fassade des Atriums, die ein optisches Kaleidoskop kreiert und auf das Stammhaus „blickt“. Nur sechs Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer verlegte Axel Springer 1967 den Hauptsitz seines Unternehmens von Hamburg nach Berlin. Sein goldenes Hochhaus direkt an der Mauer sollte die Sozialisten auf der anderen Seite ärgern (das gelang auch) und den goldenen Westen und seine freie Presse symbolisieren. 

Grafik: mit freundlicher Genehmigung von OMA

Der Neubau wurde samt Grundstück bereits vor Bezug an den Norwegischen Staatsfonds verkauft – auch das ist ein Zeichen der Zeit für Verlage im Strukturwandel. Während manche Redaktionsstuben in anonyme Gewerbegebiete am Stadtrand verfrachtet werden, wo sie ihr tristes Dasein als „Content Provider“ fristen – wie beim Neubau der Süddeutschen Zeitung am Rand von München –, wollen andere Zeitungshäuser sichtbar als metropolitane „Nervenzentrale“ in der Innenstadt architektonisch zelebriert werden wie bei Renzo Pianos Hauptsitz der New York Times. Berlin hat Glück: Auch der ideologische „Gegner“ des Springer-Verlags, die linke Tageszeitung taz, hat jüngst ein ambitioniertes Haus an der Friedrichstraße von E2A Architekten aus Zürich gestalten lassen, während die neue Zentrale des Suhrkamp-Verlags von Roger Bundschuh einen intellektuellen wie architektonischen Glanzpunkt im hippen Bezirk Mitte setzt. Und andernorts steht selbst die ehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung kurz vor einem Umzug in ein modernes Hochhaus von Eike Becker Architekten im neuen Frankfurter Europaviertel. Die oberste architektonische Funktion ist es, auf sich aufmerksam zu machen – und en passant „Innovation und Kreativität“ der Mitarbeiter zu fördern. Das können Verlage angesichts des Strukturwandels in ihrer Branche gut gebrauchen und in (über-)ambitionierten Neubauten als Statement eines Medienriesen postulieren.

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