Leben in der Vertikalen

Martina Metzner
27. novembre 2019
Fotomontage mit den zukünftigen Hochhäusern: „One“ (Visualisierung links), „Eden“ sowie „The Spin“ (Mitte) und der neue „Icoon“ von Mecanoo am Hauptbahnhof mit kupferfarbener Haut. (Fotomontage: Mecanoo)

Wenn Architekt Holger Meyer sagt: „Es gibt kaum eine andere Stadt, die so schnell ihr Gesicht verändert wie Frankfurt“, dann trifft er die Lage ziemlich auf den Punkt. Die Neue Altstadt ist gerade abgeschlossen und an den Rändern entstehen neue Wohnviertel. In der Innenstadt hingegen fallen große Baustellen auf, die von außen nicht einsehbar sind und die so gut gemanagt werden, dass sie kaum die Infrastruktur lahmlegen. Ein Hochhaus nach dem anderen schiebt sich empor – vor allem dort, wo es schon ziemlich dicht ist, wie im Bankenviertel in der Innenstadt. Aber auch im neu gebauten Europaviertel auf dem ehemaligen Hauptgüterbahnhof und um die Messe wachsen Neubauten empor. Diese drei Verdichtungszonen des so genannten Cluster-Konzepts gehören zum Hochhausrahmenplan von 1998, der den zuvor gültigen „Fingerplan“ (1967/1968 unter Planungsdezernent Hans Kampffmeyer entworfen) ablöst. In der Clustern gibt es Hochhäuser, in den Vierteln drumherum nicht – und letztere bewahren so ihre Identität.  2021 soll der neue Hochhausrahmenplan vorgelegt werden.

Das Westend Center wird kernsaniert und zu einem Wohn- und Hotelturm mit Loggien transformiert. (Foto: Ben Kuhlmann)
Mainhattan ade

Im Bankenviertel kürzlich der Omniturm (190 Meter) von Bjarke Ingels Architecture (BIG) an der Neuen Mainzer Straße fertig geworden – mit seinem spielerischen Hüftschwung ist er nach der Vollendung der EZB (185 Meter) im Ostend von Coop Himmelb(l)au und dem neuen Henninger Turm (120 Meter) von Meixner Schlüter Wendt in Sachsenhausen eine der aufsehenerregendsten neuen Landmarks in Frankfurt. Jüngst wurde auch der Marienturm (155 Meter) an der Taunusanlage feierlich eingeweiht – mit einem Interiorkonzept von Stardesignerin Patricia Urquiola und einem von ihr gestalteten neuen Restaurant, dem Chez Marie. 
Bereits im vergangenen Jahr wurde der Winx Tower (110 Meter) als gut sichtbarer Höhepunkt des neuen Maintor Areals (ehemaliges Degussa Areal, zwischen Römer und Schauspiel) abgeschlossen – ein Hochhaus, das sich durch seinen X-förmigen Grundriss verspielt, aber dennoch pragmatisch gibt und das von KSP Jürgen Engel Architekten geplant wurde. Die Frankfurter strukturieren gerade die beiden Türme des Westend Center, 1975 entworfen von ABB Architekten und vis-à-vis des Grüneburg Parks im Nordend ein Überbleibsel des Fingerplans, zu einem Wohn- und einem Hotelturm mit Außenloggien um. So wie dieses sind auch andere Hochhäuser aus der Anfangszeit des Hochhaus-Baus sanierungsbedürftig. Aktuell wird der Global Tower (107 Meter) an der Neuen Mainzer Straße von Holger Meyer Architektur aufgefrischt und demnächst macht sich Ole Scheeren daran, den Turm der Union Investment (100 Meter), 1977 von Albert Speer in Kooperation mit der Neuen Heimat entwickelt, komplett zu verwandeln. Die Geister scheiden sich daran, weil man diesem Hochhaus seinen ursprünglichen Charakter entzieht. Bereits jetzt ist allerdings absehbar: Nach Kernsanierung wird der Union Investment Tower durch seine verschobenen Geschosse eine weitere Landmark werden. Zum geänderten Nutzungskonzept mit 220 Wohnungen passt auch der neuen Name: Riverpark Tower.

The Spin von Hadi Teherani. (Visualisierung: Groß & Partner)
Alte Hasen und Frischlinge

Dass die Hochhäuser nicht mehr nur einen gebrauchsüblichen Namen haben, sondern gleich einen Charaktertitel bekommen, zeigt: die Marketing- und Vermarktungsmaschine ist in vollem Gang. Die meisten der Hochhäuser namens One Forty West, Eden, Grand, Icoon, Marienturm, Omniturm, One oder The Spin haben ein eigenes Corporate Design, das sich schon an der Baustellenverkleidung gut erkennen lässt, und einen eigenen Webauftritt. Initiiert wird dies von den Bauherrschaften, die zum Teil international aufgestellt sind – wie Tishman Speyer (Omniturm) und Jones Lang Lasalle (Grand Tower und Eden), aber auch lokal wie Pecan Development (Marienturm) und Groß & Partner, die das Four von UN Studio, das One Forty West und The Spin realisieren. 
Fast alle Projektentwürfe sind aus Wettbewerben hervorgegangen. Während die international aufgestellten Büros Hochhaus-Expertise mitbringen, bauen deutsche und eher mittelständig aufgestellte Büros wie Blauraum, Barkow Leibinger, CMA, Magnus Kaminiarz, Meixner Schlüter Wendt, Meurer Architektur + Stadtplanung und Müller Reimann Architektur zum ersten Mal Hochhäuser. Beim Richtfest des Marienturm war Thomas Müller von Müller Reimann sichtlich bewegt. Der Investor hatte ihm einen alten „Hochhaushasen“ an die Seite gegeben – der Sprung über 22 Meter (Definition Hochhaus) will gekonnt sein. Für viele Büros ist dies ein Kraftakt, nicht nur in gestalterischer, sondern auch in personeller und finanzieller Hinsicht. Neben Herausforderung und Prestige, ist es für einige auch Sinnstiftung – wie für Oliver Cyrus und Andreas Moser von CMA, die aktuell das One Forty West (145 Meter) und 99 West (100 Meter) auf dem ehemaligen Uni Campus in Bockenheim bauen und damit ihrer Wahlstadt einen bleibenden Baustein geben.

Marienturm (Bild: ©Pecan Development)
Mixed-Use vs. Mischung

Während man früher aber in der Innenstadt nur Bürohochhäuser realisierte, erlaubt der Markt mittlerweile auch, Wohnungen in den Türmen zu platzieren. Durch die steigenden Bodenpreise mache es Sinn, Wohnungen in die Höhe zu bauen, sagen die Immobilienspezialisten – und weisen gleichzeitig auf den hohen Lifestylecharakter der Häuser. Die Zeiten, als Wohnhochhäuser ein schlechtes Image hatten, sind vorbei. Es gibt sogar reine Wohntürme – wie der bereits realisierte Axis (60 Meter) von Meixner Schlüter Wendt, der künftige Porsche Design Tower (80 Meter) von Blauraum im Europaviertel, der Icoon Tower (140 Meter) von Mecanoo am Hauptbahnhof sowie der Grand Tower und Eden (98 Meter) von Magnus Kaminiarz – Eden mit Helmut Jahn – nahe der Messe. Allerdings wird die Wohnungsfrage damit kaum gelöst. Im Omniturm beläuft sich der Mietpreis einer Wohnung ab 30 Euro aufwärts pro Quadratmeter. Mit dem Kauf sieht es nicht anders aus: die Preise beginnen bei 3'000 Euro und gehen bis über 20'000 Euro je Quadratmeter. Doch weil das Angebot durch den Bau vieler Wohneinheiten in luftiger Höhe sehr groß ist – und Frankfurt immer noch nicht Shanghai oder New York –, läuft die Vermarktung eher schleppend. Viele der Wohnung werden von ausländischen Investoren als Geldanlage gekauft, die Wohnungen stehen leer. Gut beobachten lässt sich dies bereits im neu bebauten Europaviertel – dort sind die Häuser zwar vollkommen vermarktet, aber vielen mangelt es an Leben. Die Büroflächen hingegen – etwa im Marienturm oder Omniturm – sind dagegen schnell vermietet gewesen. Viele Niederlassungen wollen hier präsent sein – so ist etwa die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs in den Marienturm gezogen.

Mit Hüftschwung: Zwischen der 15. und 22. Etage wird’s dynamisch beim Omniturm von BIG (Mitte rechts). (Foto: Nils Koenning)

Mit den neuen Hochhäuser wächst das Gefühl der Dichte, zudem verändern die neuen Mixed-Use-Konzepte mit Wohnen, Arbeiten und Freizeitmöglichkeiten das Zusammenleben. Bestes Beispiel dafür ist das Four (zwischen 100 und 228 Metern) mit seinen vier organisch geformten, unterschiedlich hohen Stelen im Herzen der Stadt und in direkter Nachbarschaft zum Omniturm. Im Sockelbau befinden sich Shops, Restaurant, Ärzte und ein Kindergarten. Alles an einem Platz, das Hochhaus muss man theoretisch gar nicht verlassen – das Konzept heißt „vertikale Stadt“. An der Durchmischung jedoch mangelt es: Nur wenige der Hochhäuser erfüllen die vor wenigen Jahren eingeführte Vorgabe der Stadt Frankfurt, 30 % sozial geförderten Wohnungsanteil zu integrieren. Viele Konzepte handhaben das eher so wie beim Grand Tower, bei dem sich die sozial geförderten Wohnungen in der umgebenden Bebauung befinden. Im Turm selbst genießt man umlaufende Glasbalkone, Concierge-Service, Dachgärten und Skybar-Restaurants sowie Gemeinschaftsflächen für Zusammenkunft und Co-Working. Balkone und Loggien sind auch bei anderen Hochhäusern mit Wohnanteil zu finden – ein Novum für Frankfurt. Für Magnus Kaminiarz war dies selbstverständlich: Wer hoch hinaufzieht, der will auch das Panaroma im Freien genießen. Außerdem bieten die Restaurants und Skybars in den neuen Hochhäusern – kaum ein Projekt lässt diese Option aus – öffentlichen Zugang, sodass sich die Häuser der Stadt und ihrer Bewohner öffnen.

Der Winx Tower (Mitte) von KSP Jürgen Engel Architekten bildet den Höhepunkt des Maintor-Areals. (Foto: hiepler, brunier,)
Rücksprünge und Glasfassaden

Beim Anblick der bereits gebauten und noch kommenden Hochhäuser, wünscht sich manch einer bereits Hochhäuser mit mehr Charakter, Signature Buildings – wie der Messeturm von Helmut Jahn und der Commerzbank Tower von Norman Foster. Die neuen Bauten wirken von außen betrachtet zaghaft bis bieder – vor allem Vor- und Rücksprünge, Balkone an den Wohnungen und großflächige Glasfassaden scheinen der gemeinsame gestalterische Gestus zu sein. Interessant wird es, wenn der Millennium Tower realisiert wird, der eine Höhe bis 369 Meter haben könnte – allerdings hat der Investor CA Immo jüngst avisiert, dass zwar die Planungen anlaufen, aber die volle Höhe nicht ausgeschöpft werden würde. Er stünde dann unweit vom neuen One (190 Meter) an der Messe. Sicher ist, dass Frankfurt durch die neuen Hochhäuser deutlich mehr zu einer richtigen internationalen Metropole heranreift. Tatsächlich verändern aber vor allem die neuen Mischnutzungskonzepte das Miteinander in der Stadt nachhaltig – und es wird sich noch zeigen, ob die Integration dieser neuen vertikalen „Lebenstürme“ gelingt.

Websites einiger Hochhaus-Projekte für weitere Informationen:
Four von UN Studio
Grand Tower von Magnus Kaminiarz
Marienturm von Müller Reimann Architektur
Riverpark Tower von Ole Scheeren
One Forty West von CMA

Der Skyline-Atlas vermittelt eine gute Übersicht über den Status Quo der Hochhäuser in Frankfurt – und jene in Planung.

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