Klimakrise – oder Lösungswegekrise

Jochen Paul
23. janvier 2019
Klimaforscher Stefan Rahmstorf (Bild: Astrid Eckert)

Ein kurzer Exkurs in die Geschichte: Man mag es nicht glauben, doch bereits 1824 beschrieb der französische Physiker Joseph Fourier erstmals den Treibhauseffekt, 1843 wies Alexander von Humboldt darauf hin, dass der Mensch in das Klima eingreift, und 1859 konnte der britische Physiker John Tyndall den klimaschädlichen Einfluss von Kohlendioxid experimentell nachweisen. Bereits 1965 warnte ein Expertenbericht den damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson vor den Folgen der globalen Erwärmung durch CO2-Emissionen, seit 1988 gilt als wissenschaftlich gesichert, dass sie nicht durch natürliche Schwankungen, sondern durch vom Menschen freigesetzte Treibhausgase verursacht wird. 
Die heute zusätzliche Menge CO2 in der Atmosphäre hat durch den Treibhauseffekt eine Heizwirkung von 2 Watt pro Quadratmeter Erdoberfläche – genug, um bis heute die globale Temperatur um rund 1 °C anzuheben. Dabei ist der Anstieg nur halb so hoch wie die Menge des durch die Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzten Kohlendioxids – die andere Hälfte haben die Wälder und die Ozeane aufgenommen. Weil 90 % der globalen Erwärmung in die Weltmeere gehen, ist deren Speicherkapazität allerdings begrenzt.

Die CO2-Konzentration der Atmosphäre im Verlauf des Holozän, gemessen an den Eisbohrkernen der Antarktis bis 1958, danach Mauna Loa, © Scripps Institution of Oceanography, San Diego

Landschaftswandel und Landverknappung
​Rekordausschläge bei den lokalen Monatsmittelwerten treten heute fünfmal häufiger auf, als es mit Zufallsschwankungen zu erklären wäre. Mit Hitze geht häufig Dürre einher: Ein weiterer Beleg für den Klimawandel in Übereinstimmung mit den Prognosen ist die Austrocknung des Mittelmeerraums. Dessen typische Vegetation verkraftet aber keine Erwärmung um durchschnittlich zwei Grad – wobei sich die Landmassen, die nicht über die thermische Trägheit und die Verdunstungskälte der Ozeane verfügen, um den Faktor 1,5 bis 2 aufheizen. Große Teile der iberischen Halbinsel und Südfrankreichs dürften in Zukunft „verwüsten“. In diesem Zusammenhang ist der Dürresommer 2018 nicht wegen der Spitzenwerte– die waren im „Jahrhundertsommer“ 2003 höher – erwähnenswert, sondern wegen seiner ungewöhnlich langen Dauer bezogen auf die mittlere Temperatur zwischen April und September. Zudem entfielen fünf weitere der heißesten Sommer seit 1500 auf die Jahre 2002, 2006, 2007, 2010 und 2013.

In einem wärmeren Klima nimmt die Wahrscheinlichkeit von Extremniederschlägen in Einklang mit den Prognosen der Klimaforschung zu. Sie treten immer dann auf, wenn extrem feuchtigkeitsgesättigte Luft – pro Grad Erwärmung befinden sich in einem Kubikmeter Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf – zum Abregnen gezwungen wird. Seit 1990 lässt sich auch die Häufigkeit von Extremwetterphänomenen nicht mehr durch Zufallsschwankungen erklären. Zudem wird der Meeresspiegel, wie bereits in den 1960er-Jahren prognostiziert, bis Ende des Jahrhunderts wegen der Erwärmung des Wassers und des Abschmelzens der Landeismassen bei einer Begrenzung der durchschnittlichen Erwärmung auf 1,5 °C um ca. 1 Meter ansteigen.

Die CO2-Konzentration der Atmosphäre, gemessen auf dem Mauna Loa in Hawaii. (Grafik: Scripps Institution of Oceanography, San Diego)

Zeitnot und langer Atem
Die Diagnose für unseren Planeten sieht also nicht besonders gut aus: Weil sich Kohlendioxid in der Atmosphäre kumuliert nur sehr langsam abbaut, kommt es maßgeblich darauf an, wann wir den Gipfel des weltweiten Ausstoßes überschreiten. 
Im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris, müss(t)en die weltweiten Emissionen bis spätestens 2050 auf Null zurückgeführt werden. Stand heute müssen sie sich dafür alle zehn Jahre halbieren und zugleich der Anteil der erneuerbaren Energien sich alle fünf bis sieben Jahre verdoppeln.
Dafür müss(t)en die Subventionen für fossile Energieträger in der Größenordnung von 500 bis 600 Mrd.$ pro Jahr – die von ihnen verursachten Schäden betragen das Zehnfache – innerhalb der nächsten zehn Jahre komplett gestrichen und parallel dazu der Preis von Emissionszertifikaten auf ca. 50 US-$ pro Tonne verteuert werden, um eine Lenkungswirkung zu entfalten. Mit einem Teil des damit frei werdenden Budgets ließen sich erneuerbare Energien und Baustoffen fördern.
 
Von der Politik ist rasches und konsequentes Handeln aber eher nicht zu erwarten: Stefan Rahmsdorfs persönliche Erfahrung aus zehn Jahren Beratung (er war von 2004 bis 2013 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung) lässt sich so zusammenfassen, dass sie ihre eigene Agenda verfolgt und auf externe Berater nur hört, wenn deren Vorschläge dazu kompatibel sind – falls nicht, ignoriert sie sie. Das aktuelle Ziel der Bundesregierung, bis 2050 zu 80–95 % klimaneutral zu sein, ist nicht kompatibel mit dem Pariser Klimaschutzabkommen – und wird darüber hinaus seit Jahren verfehlt. Dabei sind wir „emissionsmäßig eine Großmacht“: In Bezug auf die kumulativen Emissionen liegt Deutschland weltweit auf Platz 4 hinter den USA, China und Russland.

Das Holz-Hybrid-Hochhausprojekt wird in der Architekturgalerie München vorgestellt (Bild: © Sumitomo Forestery & Nikken Sekkei, Tokio)

Das Bauen der Zukunft muss anders sein
Nach wie vor gehen 20% der weltweiten CO2-Emissionen auf das Konto der Baubranche, und viel mehr als dass darin „ein enormes Optimierungspotenzial“ liege, war in den letzten 15 Jahren von ihr nicht zu hören. Was aber können Architektur und Bauen zur Rettung des Weltklimas beitragen? Der aus „Klimasicht“ weitaus wichtigste Punkt ist der Verzicht auf Zement, der allein für vier Prozent der weltweit emittierten Treibhausgase verantwortlich ist. Außerdem wichtig ist die Reduktion des Heizbedarfs des Gebäudebestands: Auf Ihr Konto gehen hierzulande ca. 15% der CO2-Emissionen. Weil Deutschland für Stefan Rahmstorf „weitgehend gebaut“ ist, kommt in einer Lebenszyklusbetrachtungsweise – allein schon wegen der in ihm gespeicherten „grauen Energie“ – dem Bestand und seiner energetischen Ertüchtigung die größte Bedeutung zu. In Schwellenländern rückt dagegen der Neubau stärker in den Fokus. Der sollte sich auf die Errichtung von Plus- oder zumindest Nullenergiehäusern konzentrieren und dabei, wo immer möglich, in Holzbauweise erfolgen, weil Holz über die gesamte Lebensdauer des Gebäudes ein „Langzeitkohlenstoffspeicher“ ist.
Solche Wunschlisten mögen aus heutiger Sicht nicht sonderlich realitätsnah sein, aber die Klimaforschung, so Stefan Rahmstorf, denkt in Szenarien. Je länger wir die Reduktion unseres CO2-Ausstoßes vor uns herschieben, desto drastischere Schritte sind in umso kürzerer Zeit nötig, um das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens noch zu erreichen. Wenn nicht, haben wir spätestens 2050 den point of no return überschritten. Bei Wohnhäusern hat Holz unbestritten großes Potenzial, nach Anpassung der Brandschutzvorschriften auch im Geschosswohnungsbau.

Wie weit man anderswo bereits ist, zeigt noch bis 1. März die Ausstellung über das Büro Nikken Sekkai in der Architekturgalerie München, das in Japan bis zu 350 Meter hohe Hochhäuser in Holz-Stahl-Hybrid-Bauweise plant. Und um die Politik dazu zu bewegen, nicht nur die Interessen ihrer eigenen Alterskohorte wahrzunehmen, muss die Generation der unter 30- Jährigen lauter werden, um das Thema Generationengerechtigkeit zu forcieren. Die „Fridays ForFuture“-Demonstrationen nach dem Vorbild Schwedens sind ein erster Schritt dazu, sich Gehör zu verschaffen.

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