Grüntuch Ernst Architekten bauen das Gefängnis Charlottenburg um

Highlight der Denkmalpflege in Berlin

Falk Jaeger
24. mai 2022
Aufgang Gefängnishotel Wilmina (© Wilmina | Foto: Robert Rieger)


Die Berliner haben es eigentlich nicht auf dem Schirm, das neobarocke Gebäude in einer normalen Häuserreihe der Charlottenburger Kantstraße. 1896 als Strafgericht erbaut, sieht es aus wie ein historistisches Bürgerhaus und war zuletzt ganz unscheinbar als Grundbucharchiv genutzt worden. Noch weniger bekannt, weil vom Straßenraum nicht einsehbar, ist das zugehörige Gefängnis, ein mehrflügeliger, backsteinerner Komplex im Hinterhof, der seit 1985 ein Dornröschen-Dasein fristete. Während der Nazizeit diente es als Frauengefängnis für Regimegegnerinnen.
 

Gartenhof (© Wilmina | Foto: Patricia Parinejad)
Fassade Hotelhof (© Wilmina | Foto: Patricia Parinejad)

Nachdem sich die Unterbringung eines Self Storage Mietlagers als nicht machbar erwiesen hatte, übernahmen die beauftragten Architekten Grüntuch Ernst das Anwesen selbst. Sie hatten die Idee, das Gerichtsgebäude für Events, Pop-up-Galerien und Showrooms zu nutzen und im Gefängnis ein Hotel unterzubringen. Ein enormes finanzielles Wagnis zweifellos, angesichts der Probleme, die sich durch den Bauzustand der historischen Gemäuer, die vielfältigen Bauauflagen, die  Anforderungen an den Brandschutz sowie durch den Denkmalschutz und nicht zuletzt durch die Finanzierung auftürmten. Hinzu kam, dass für ein Hotel dieser Größenordnung mit nur 44 Zimmern kein Betreiber zu finden war, der nicht den „Kerker-Gruseleffekt“ herausstellen wollte. Ein solches „Themenhotel“ stand nicht zur Debatte. Das Wilmina, so der Hotelname, sollte seriös sein, aber seine Historie nicht verleugnen und blieb deshalb ebenso in Eigenverwaltung wie das nun als „Amtsalon“ firmierende Kultur- und Eventzentrum im Vorderhaus.
 

Zimmer mit Gartenblick (© Wilmina | Foto: Patricia Parinejad)
© Wilmina | Foto: Robert Rieger

Für die Zimmer wurden jeweils zwei oder drei Zellen durch Herausnahme der Trennwand zusammengefasst. Ein Kunstgriff vermeidet Klaustrophobie und Düsternis: Die Gitter der hoch liegenden Fenster blieben erhalten, die Fensteröffnungen wurden jedoch nach unten vergrößert, für mehr Lichteinfall und unvergitterten Ausblick auf Augenhöhe. Andere Zimmer fügen sich in ungewöhnlich geschnittene Nebenräume und entfalten eigene Reize. Die Ausstattung durchweg freundlicher, beiger Farbpalette erscheint zurückhaltend, aber durchaus mit Designqualitäten.

Auch den Fluren ist durch weiße Schlämmung der Ziegelwände und Oberlichteinfall die Düsternis ausgetrieben. Martialische Zellentüren blieben freilich erhalten. Eine Zelle im Originalzustand mit Schautafeln gibt Auskunft über die Geschichte des Hauses, gewissermaßen als Gedenkstätte, auch für die Zeit des Nationalsozialismus.
 

Alte Zellentür (© Wilmina | Foto: Robert Rieger)
Atrium (© Wilmina | Foto: Patricia Parinejad)

Mit vier großzügigen Penthouse-Suiten im Dachgeschoss, einem Dachgarten mit Pool, mit Spa und Fitness ist durchaus auch Luxus geboten. Dem Niveau des Hauses angepasst ist das Restaurant Lovis im Erdgeschoss, für das der notwendige Raum durch Überdachung eines Innenhofs gewonnen wurde. Durch das Panoramafenster fällt der Blick aus den historisch aufgeladenen Gasträumen einen üppig wuchernden, verwunschenen Garten, der abends effektvoll beleuchtet ist.

Das Gefängnis, um dessen Neunutzung sich mehrere Investoren wegen seiner verwinkelten und labyrinthischen Strukturen und den strengen Denkmalschutzauflagen vergeblich bemüht hatten, konnte wohl nur durch das persönliche Engagement, die Risikonahme und den zehn Jahre währenden langen Atem der Architekten revitalisiert werden – mit hinreißendem Ergebnis. Entstanden ist ein wunderbarer, kontemplativer Ort, das sprichwörtliche Refugium in der umtriebigen Kantstraße, eine Unterkunft mit kulturellem Niveau und ein Treffpunkt für das stilvolle Dinner, vielleicht im Anschluss an ein Event im Amtsalon.
 

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