Raum für Reflexion

Autor
MI | Preisträger
Publicado el
oct. 13, 2016

Hohe ästhetische Qualität junger Architektur aus Berlin ist bei den BDA Nachwuchsförderpreisen zu verzeichnen. Der BDA Berlin zeichnete Architektennachwuchs aus der Hauptstadt mit dem «Hans Schaefers Preis» aus und vergab als international ausgelobten Theoriepreis die «Daniel Gössler Belobigung».
Centre for Contemporary Drawing, Berlin (Bild © : Christoph Rokitta) 
Raum für Reflexion – unter diesem Diktum lassen sich die Ergebnisse der diesjährigen Nachwuchspreise des BDA Berlin zusammenfassen. Die prominent besetzte Jury betonte in ihrem Abschlussstatement vor allem Wert und Bedeutung der Architekturtheorie. Sie verknüpfte dies mit dem Auftrag an den BDA, die ausgezeichneten Theoriearbeiten einer interessierten Leserschaft zugänglich zu machen. Die mit 1.250 € dotierte «Daniel Gössler Belobigung» für junge Architekturtheorie wurde gleichrangig für zwei Arbeiten vergeben: eine ambitionierte Forschung zu hybriden Wohnformen sowie eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Begriff der Atmosphäre. Zudem sprach die Jury eine Auszeichnung für eine Arbeit aus, die die verborgenen Qualitäten eines Haustyps in Buenos Aires offenlegt. Den mit 5.000 € dotierten und seit 1992 vergebenen «Hans Schaefers Preis» für junge Architekten und Stadtplaner aus Berlin teilen sich zwei Projekte, die die intensive Reflexion unterschiedlicher architektonischer Themen auf feinsinnige Weise erlebbar machen: eine Galerie in Berlin und eine Kirche in Vietnam. 
Centre for Contemporary Drawing, Berlin (Bild © : Christoph Rokitta) 
Centre for Contemporary Drawing, Berlin (Bild © : Christoph Rokitta) 
Center For Contemporary Drawing, Berlin
In Berlins urbaner Mitte hat Nord-Studio ein kleines sublimes Galerieensemble für einen Kunsthistoriker und zwei Kunstsammlern geschaffen, die sich mit dem Medium Zeichnung auseinandersetzen. Der Umbau generiert eine Sequenz aus Ausstellungsräumen, Projektraum und Künstleratelier, die sich entlang der Erdgeschosszone einer Häuserecke in der Brunnenstraße reihen. In ihrer Anmutung wie übergroße Vitrinen zur Straße wirkend, zeigen die großen fassadenbündigen Fensterflächen ihr Inneres für den herannahenden Stadtflaneur. In den rückwärtigen Bereichen der Raumfolge grenzen große klappbare Holzpaneele die dahinter liegende Wohnung, ein Büro und das Archiv von den straßenseitigen Räumen ab. Dieser geflügelte Filter, der subtil den Übergang zwischen urbanem, öffentlichem und privatem Raum verhandelt, verleiht dem Projekt seine Tiefe. Dieselbe Sensibilität im Umgang mit dem Programm wenden die Architekten in der Materialisierung der Intervention an. Das Projekt faszinierte die Jury durch seine leise Präsenz.
Pfarrkirche Kadon, Vietnam - Glockenturm (Bild © : Robert Herrmann) 
Pfarrkirche Kadon, Vietnam - Kirchenraum (Bild © : Nam Phan) 
Pfarrkirche Kadon, Vietnam - Altar (Bild © : Robert Herrmann) 
Rückkehr des Genius Loci
„Das Projekt beeindruckt nicht nur aufgrund des reinen architektonischen Ergebnisses, sondern auch des Prozesses wegen. Als in Vietnam realisierte Diplomarbeit der Berliner Universität profitiert der Bau von der Kenntnis beider Kulturkreise und erscheint im Bezug zu seinem Ort und in seiner Eigenständigkeit gleichermaßen schlüssig. Indem das Gebäude ausschließlich Architektur immanente Themen – das Dach, das Gerüst, der Boden, die aufgelöste Wand – verhandelt, entwickelt der Bau Qualitäten metaphorischer Lesbarkeit ohne zur gebauten Metapher zu werden. Der Raum suggeriert gleichzeitig Offenheit und Versammlung mit der Möglichkeit zu Transzendenz. Als angemessener, sichtbarer Ausdruck der Haltung und Kultur einer Minderheit wird die Architektur unmittelbar politisch und gesellschaftlich relevant.“ Alexander Schwarz, Mitglied der Jury
Buchcover Anne Schlebbe, Sebastian Wattenberg (Bild © : BDA Berlin) 
Wagenburg (Bild © : Anne Schlebbe, Sebastian Wattenberg) 
Wohnen als Wagnis – Hybride Wohnformen und die Taktiken der Aneignung
„In dieser kollektiven Arbeit wird in bemerkenswerter Weise, eine originelle und ambitioniert angelegte Forschung zu hybriden Wohnformen vorgestellt. Durch intensiv recherchierte und dokumentierte Fallbeispiele untersuchen die Autoren Wohnformen, die von ihren Bewohnern aus einer finanziellen Notwendigkeit oder einer gesellschaftspolitischen Haltung gewählt wurden, die sich aber nicht ausschließlich der privaten Sphäre des Wohnens zuweisen lassen, sondern zugleich kommerzielle oder kulturelle Angebote schaffen.

So wie die Protagonisten dieser Forschungsarbeit, die selbstverantwortlich Taktiken entwickeln müssen, um teilweise außerhalb des Geltungsbereichs sozialer Schutzvorschriften des Wohnmietrechts, persönliche Anforderungen an Wohnraum zu verwirklichen, so mussten auch die Autoren dieser Arbeit ein gewisses Wagnis eingehen, um die disziplinären Grenzen der Architektur auf Fragestellungen und Methoden der Sozialforschung und Stadtpolitik zu erweitern, und die ökonomischen und architektonischen Rahmenbedingungen, aber auch die Vertragsformen, die diese Wohnsituationen reglementieren, zu untersuchen.

Denn die Untersuchungen zu im gegenwärtigen Berlin aufgefundenen Wohnformen, die von Wagenburgen, Ladenwohnungen, privaten Wohnungsvermietungen und Hauswächtern reichten, haben in ihrer spezifischen vertiefenden Nachforschung und Dokumentation ein Konvolut von Fragen und Dokumenten erzeugt, die wiederum zu neuen Forschungsfragen, Archivrecherchen und Expertengesprächen führten und die Objektbetrachtung in einen erweiterten gesellschaftspolitischen Zusammenhang brachte. In ihrer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den strategischen Konzepten der Stadt und taktischen individuellen Bewegungsmustern des Alltagslebens, tragen die Autoren nicht nur zum aktuellen Diskurs über den Wohnmangel in Berlin bei, sondern sie beschreiben auch den Handlungsspielraum, der nicht zuletzt auch von Architekten und Architektinnen maßgeblich geschaffen und gestaltet wird.“ Jurybegründung

Als besonders überzeugend empfand die Jury die konzeptionelle Gesamtgestaltung der Arbeit, die komplexe Sachverhalte, Bildmaterial, Interviewmitschnitte und persönliche Auskünfte verständlich darstellt und dabei auch die Neugier auf die Forschung zur Architekturgeschichte und Theorie bezeugt.
Buchcover Karoline Fahl (Bild © : BDA Berlin) 
Atmosphäre am Werk
„Mit der Daniel Gössler Belobigung wurde die architekturtheoretische Arbeit von Karoline Fahl mit dem Titel «Atmosphäre am Werk» ausgezeichnet. Ausgangspunkt der Arbeit ist der Begriff der Atmosphäre, der zwar in jüngerer Zeit eine publizistische Hochkunjunktur erlebt, doch im Sinne eines brauchbaren Denkwerkzeugs weithin unverstanden bleibt. Mit sprachlicher Klarheit und Eleganz klärt die Autorin über die erkenntnistheoretischen, ästhetischen wie auch ontologischen Implikationen des Begriffs der Atmosphäre auf, dessen Tragweite sie sowohl für die Rezeption wie auch für die Erzeugung von Architektur plausibel nachweist. Mit der Vergabe der Daniel Gössler Belobigung an Karoline Fahl möchte die Jury insbesondere auf die Relevanz begriffsanalytischer Ansätze im zeitgenössischen Architekturdiskurs hinweisen.“ Axel Sowa, Architekturtheoretiker, Mitglied der Jury
Buchcover Riccarda Cappeller (Bild © : BDA Berlin) 
Axonometrie (Bild © : Riccarda Cappeller)  
Wohnerfahrung in der Casa Chorizo – Grundform, Variation, Veränderung
„Im Rahmen einer ausgedehnten Feldfoschung hat die Autorin mittels verschiedener investigativer Methoden umfangreiches Wissen über einen Haustyp im Zentrum von Buenos Aires zutage gefördert, dessen Qualitäten bislang übersehen wurden. Jenseits von Gebäudefassaden von augenscheinlicher Armut entdeckt die Autorin den Reichtum von Beziehungsgeflechten, von Raumkonfigurationen und vor allem ein Nutzerwissen, das uns auf eindrückliche Weise die poetische Dimension des Wohnens in Erinnerung ruft.“ Axel Sowa, Architekturtheoretiker, Mitglied der Jury


Die Jury der BDA-Nachwuchsförderpreise tagte am 23. September. Mitglieder waren der Architekt  Amandus Samsøe Sattler (Juryvorsitzender, München), die Berliner Architektinnen Prof. Heike Hanada sowie Katharina Löser (Preisträgerin Hans Schaefers Preis 2013), der Berliner Architekt Alexander Schwarz, der Architekturjournalist Andreas Denk, der Vorsitzende der Hans Schaefers Stiftung und BDA-Vorstandsmitglied Hans-Joachim Paap, die Architekturtheroretiker/innen Prof. Axel Sowa und Prof. Dr. Ines Weizman.

Ausstellung ausgwählter Arbeiten
 BDA Nachwuchsförderpreise 2016
17. Oktober - 10. November 2016
BDA Galerie Berlin


Jury
Amandus Samsøe Sattler, Vors.
Prof. Heike Hanada
Katharina Löser
Alexander Schwarz
Andreas Denk
Prof. Axel Sowa
Prof. Dr. Weizman 


Hans Schaefers Preis des BDA Berlin

Preisträger

Fabian Wichers, Nord-Studio Architecture und Exhibition
Projekt: Centre for Contemporary Drawing, Berlin

Preisträger
Thi Thu Huong Vu, Tuan Dung Nguyen
Projekt: Neubau der Pfarrkirche Kadon, Vietnam


Daniel Gössler Belobigung für Architekturtheorie

Preisträger
Anne Schlebbe, Sebastian Wattenberg
Veröffentlichung: Wohnen als Wagnis – Hybride Wohnformen und die Taktiken der Aneignung

Preisträger
Karoline Fahl
Veröffentlichung: Atmosphäre am Werk

Auszeichnung
Riccarda Cappeller
Veröffentlichung: Wohnerfahrung in der Casa Chorizo – Grundform, Variation, Veränderung


Ausstellung ausgewählter Arbeiten
 BDA Nachwuchsförderpreise 2016
17. Oktober - 10. November 2016
BDA Galerie Berlin


Nachwuchsförderpreise BDA Berlin
Alle drei Jahre lädt der Bund Deutscher Architekten BDA, Landesverband Berlin e.V., Berliner Architekten und Stadtplaner unter 40 Jahren ein, sich für den mit 5.000 € dotierten Hans Schaefers Preis zu bewerben. In diesem Jahr waren seit 2010 realisierte Projekte und städtebauliche Planungen zur Bewertung zugelassen. Als weiterer Nachwuchsförderpreis des BDA Berlin wird auch die mit 1.250 € dotierte Daniel Gössler Belobigung für eine herausragende architekturtheoretische Arbeit vergeben.

TIBES Stipendium
Bereits seit 2012 vergibt der BDA Berlin das mit 5.000 € dotierte TIBES Stipendium zur Unterstützung von Studienprojekten Berliner Studenten, Absolventen und Doktoranden. Die einjährige Förderung erhielt 2015 Robert Platz für sein Projekt «Virtual Reality Aided Design». Der Stipendiat wird das Ergebnis seiner Arbeit im Rahmen der Preisverleihung der BDA-Nachwuchsförderpreise präsentieren.