Aus Natur gebaut

bez+kock architekten
4. septiembre 2024
Eingangssituation (Visualisierung: © bez+kock architekten)
Herr Bez, die Stadt Essen beabsichtigt einen Ersatzneubau für die in den 1980er-Jahren errichtete und nicht sanierungsfähige Orangerie im Grugapark zu realisieren. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?


Angesichts der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte ist es schon ziemlich bedrückend, dass der Bestandsbau nach nur 30 oder 40 Jahren Nutzung bereits als nicht mehr sanierbar eingestuft wurde. Wenn man bedenkt, wie viel Mühe und auch Kosten die Errichtung eines solchen Hauses seinerzeit verursacht hat, ist das eigentlich völlig inakzeptabel. Tatsächlich handelt es sich um eine zeitgeistige und recht stark abgenutzte Stahl-Glas-Konstruktion mit kaum zumutbarem Innenraumklima. Aber auch unter städtebaulichen Gesichtspunkten wirkt das Gebäude nicht gerade überzeugend, markiert es doch mit seiner wenig einladenden Rückseite den nördlichen Zugang zum Grugapark. 

Drei Kuben setzen die denkmalgeschützten Farbenterrassen fort. (Konzeptpiktogramm: © bez+kock architekten)
Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?


Zunächst einmal haben wir den Neubau um einige Meter nach Süden in den Park gerückt, um auf der Nordseite Platz für eine angemessen großzügige Eingangssituation schaffen zu können. Dann haben wir nach dem geometrischen Vorbild der östlich angrenzenden Farbenterrassen drei gegeneinander versetzte Kuben aus tragendem Stampflehm auf dem Baufeld platziert. Diese nehmen sämtliche Nebenräume auf und definieren mit ihren fließenden Zwischenräumen die Hauptfunktionen des neuen Eingangsgebäudes: Das Foyer mit Shop, den Speisesaal des Restaurants und einen kleinen Veranstaltungssaal. Eine hölzerne Dachkonstruktion überdeckt diese publikumsrelevanten Räume. Das rechteckige Dach kragt nach allen Seiten weit aus und bildet so den verbindenden Rahmen für das gesamte Ensemble. 

Haus und Tragwerk (Strukturpiktogramm: © bez+kock architekten)
Wie fanden Sie zum vorgeschlagenen Baukörper?


Es war in diesem Fall tatsächlich ein ziemlich langer Weg, bis wir schließlich unser Konzept gefunden hatten. Zunächst haben wir einige Wochen lang versucht, den Eingang zum Park mit kraftvoller Zeichenhaftigkeit zu markieren. Das wollte aber nicht so recht gelingen, da das gesamte Raumprogramm erdgeschossig sein sollte und es eigentlich keinen plausiblen Grund dafür gab, in die Höhe zu gehen. Schließlich haben wir das Haus als durchlässigen und integrativen Teil der Parklandschaft interpretiert. Obwohl das neue Eingangsgebäude die Grenze des Grugaparks besetzt, verfügt es über eine von allen Seiten einladende Geste ohne Rückseiten. 

Lageplan (© bez+kock architekten)
Welche Bedeutung kommt der Freianlagenplanung zu?


Wenn man in einem Park baut, so ist die Auseinandersetzung mit den Freianlagen von zentraler Bedeutung. Gemeinsam mit dem Landschaftsarchitekten Jochen Köber haben wir deshalb versucht, das neue Gebäude bestmöglich mit der umgebenden Parklandschaft zu verzahnen. Die geschosshohen Verglasungen der Publikumsbereiche bieten den Besuchern einen intensiven Bezug vom Innenraum in den Park. Auch der großformatige Natursteinbelag und das hölzerne Dach laufen von innen nach außen durch. Die drei Lehmkuben überragen das Dach um 1 bis 2 Meter und werden als Hochbeete intensiv bepflanzt. Sie beziehen sich auf die rechteckigen Pflanzbeete der denkmalgeschützten Farbenterrassen. In Grundriss und Aufriss verschmelzen die Grenzen zwischen Architektur und Parklandschaft.

Grundriss Erdgeschoss (© bez+kock architekten)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?


Uns hat im Entwurfsprozess insbesondere das Zusammenspiel von rationaler Regelhaftigkeit und subjektiver Fantasie beschäftigt. Das Holzdach und die Lehmkuben basieren zunächst einmal auf einem streng durchgetakteten Raster. Die räumlich versetzte Anordnung der baulichen Elemente auf diesem Raster lässt aber dennoch sehr individuelle Raum- und Lichtsituationen entstehen. Der Raum wird fantasievoll komponiert. Das Raster gibt Halt und wirkt der Beliebigkeit entgegen. Rationalität und Subjektivität bereichern sich wechselseitig. 

Detail des Kiosks (© bez+kock architekten)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?


Das Motto des Parkentwicklungskonzepts lautet »Begeistert für Grün«. Daraus haben wir für unser Gebäude das Leitbild »Aus Natur gebaut« entwickelt. Es sieht die weitestgehende Verwendung natürlicher Baustoffe vor. Die drei Kuben sollen aus tragendem Stampflehm entstehen, der unmittelbar im Park gewonnen und in einer Feldwerkstatt vor Ort verarbeitet wird. Das Dach und seine Stützen sollen als zeitgenössische Holzkonstruktion konstruiert werden, basieren also auf einem nachwachsenden Rohstoff. Alle Oberflächen bleiben sichtbar und schaffen so eine natürliche Raumatmosphäre. Wir wollen nach Möglichkeit auf eine Bodenplatte aus Beton verzichten. Als Bodenbelag soll im Sinne der Kreislaufwirtschaft der vorhandene Natursteinbelag wiederverwendet werden. Den vorhandenen Keller des Vorgängerbaus nutzen wir für die Gebäudetechnik und die Anlieferung. Die Stadt Essen beabsichtigt eine Zertifizierung des Gebäudes nach DGNB-Standard in Platin – diesen Weg wollen wir engagiert mitgehen. 

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?


Der Grugapark feiert im Jahr 2029 seinen 100. Geburtstag. Für den Bauherrn und uns ist es ein schönes Ziel, bis dahin das neue Eingangsgebäude fertigzustellen. Bereits zur Internationalen Gartenausstellung Metropole Ruhr im Jahr 2027 könnten auf einer Schaubaustelle Mock-ups aus Lehm und Holz dem Publikum präsentiert werden. Wir wollen das große öffentliche Interesse nutzen, um für den notwendigen Wandel im Bauwesen zu werben. Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass sich ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer Umwelt und ästhetisch ambitioniertes Bauen sehr gut miteinander verbinden lassen.

Modell (Foto: © bez+kock architekten)
Eingangs- und Gastronomiegebäude Orangerie im Grugapark in Essen
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Stadt Essen, Oberbürgermeister, Geschäftsbereich 6, Umwelt, Verkehr und Sport, Fachbereich 67, Grün und Gruga
Betreuung: neubighubacher Architektur Städtebau Strukturentwicklung, Köln
 
Jury
Prof. Tobias Wulf, Architekt, Stuttgart (Vors.) | Simone Raskob, Geschäftsbereichsvorständin 6, Umwelt, Verkehr und Sport, Stadt Essen | Martin Harter, Stadtplaner, Bauassessor, Dipl.-Ing., Geschäftsbereichsvorstand 7, Stadtplanung und Bauen, Stadt Essen | Judith Kusch, Architektin + Stadtplanerin, Köln | Prof. Diana Reichle, Architektin, Köln | Dr. Andreas Kipar, Landschaftsarchitekt, Mailand/Duisburg | Prof. Dr. Wilhelm Stahl, Stahl + Weiß Büro für Sonnen Energie, Freiburg | Martina Schürmann, Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Klima- und Verbraucherschutz | Sacha Berger, Energiepolitischer Sprecher | Jutta Pentoch, 2. Stellv. Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Klima- und Verbraucherschutz | Melanie Ihlenfeld, Fachbereichsleitung Grün und Gruga, Stadt Essen | Prof. Ulrich Spie, Vorsitzender Stiftungsverein Grugapark Essen e.V. | Ingo Wessel, Gastronomieplaner, Welle
 
1. Preis
bez+kock architekten, Stuttgart
koeber LANDSCHAFTSARCHITEKTUR GmbH, Stuttgart
Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik GmbH & Co. KG, Nürnberg
 
2. Preis
JSWD Architekten, Köln
L 02 Landschaftsarchitektur, Münster
Pirlet und Partner Ingenieurgesellschaft mbH, Köln

3. Preis
DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
léonwohlhage Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
Karl Landschaftsarchitektur, München. Freianlagen
Müller-BBM Building Solutions GmbH, Dresden-Langebrück

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