Urbanes Pass-Stück

Ulf Meyer
12. enero 2019
Matthias Gorenflos bebaut einen Un-Ort (Bild: Hanns Joosten)

Selbst als unbebaubar geltende Grundstücke finden Liebhaber: Man muss allerdings ein so geschickter Architekt wie Matthias Gorenflos sein, um aus dieser Situation gestalterisch Funken zu schlagen: Gorenflos hat aus einem kuriosen „Un-Ort“, wie der französische Philosoph Marc Augé es nennen würde, eine neue Heimat geformt. Wie einst Erich Mendelsohn die Geschwindigkeit des aufkommenden Automobilverkehrs architektonisch mit seinen eleganten „runden Ecken“ überhöhte, so hat Gorenflos eine Wendeschleife der (Ost-)Berliner Straßenbahn zum Ausgangspunkt seines Entwurfs machen müssen. Als Ergänzung eines Blockrand-Rumpfes hat der Architekt ein Wohnhaus als Zwitter aus Block und Solitär entworfen, das das Motiv der sanft gebogenen Schienen in seine Fassade überträgt: Der Neubau in der Langenbeckstraße im Bezirk Friedrichshain liegt neben dem brachliegenden SEZ, einst dem beliebtesten Freizeitpalast. Statt lärmender Kinder gibt es heute quietschende Tram-Waggons.

Um an dem unwirtlichen Ort Qualitäten zu generieren, haben sich die Architekten einen Kunstgriff einfallen lassen: Die geschwungenen Laubengänge haben sie zu umlaufenden Balkonen verlängert, sodass dieser „Kokon“ das ganze Haus umgibt und seine geometrische Dynamik übersteigert.
Angesichts der rauen Umgebung wirken die schlanken Balkon-Bänder wie eine schützende Schicht für das organisch geformte Haus. Die Laubengang-Balkon-Ringe bilden einen Puffer zwischen Privat- und Stadtraum. Die zentralen Wohnräume mit jeweils mindestens zwei Fassaden sind meist zehn Meter lang. Wie bei Alvar Aalto haben die Grundrisse keine Flure: Schlafraum, Küche und Foyer gehen direkt vom Wohnraum ab. Wenn Architekten so geschickt Restgrundstücke mit urbanen Pass-Stücken besetzen wie dies bei dem Wohnhaus in der Langenbeckstraße gelungen ist, ist die Nachverdichtung der deutschen Großstädte eine gute Nachricht!

Bild: Hanns Joosten

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