Ruhe vor dem Sturm

Falk Jaeger
20. febrero 2019
Der immer noch nicht eröffnete Flughafen BER von gmp Architekten im Februar 2019 (Bild: Falk Jaeger)

Zwei Gründe für die Stille mögen ausschlaggebend sein. Es ist für die Journaille nach all den Jahren langweilig geworden, immer über die selben Probleme zu berichten, die unbeherrschbare, „Monster“ genannte Entrauchungsanlage, die langwierigen Genehmigungsverfahren und die Kostensteigerungen durch die fatal ungünstigen Vertragsverhältnisse mit den Bauunternehmen. Zweitens ist es den Protagonisten im vergangenen Jahr gelungen, durch beherzte Verschiebung des angestrebten Eröffnungstermins auf Oktober 2020 Druck aus der Angelegenheit herauszunehmen.

Doch die Zeit zum Basteln ist knapp. Was man vor sechs Jahren hätte machen sollen, die gesamte, chaotisch eingebaute Installation herausreißen und neu bauen, ist mittlerweile durch „Nachbesserungen“ Stück für Stück faktisch geschehen, auf unendlich teure Weise. Das jahrelange Korrigieren, Umplanen, Ersetzen, Anpassen ist ein für alle Beteiligten äußerst zermürbender Vorgang und hat immer wieder zu undurchschaubaren Verhältnissen geführt. 6000 Kilometer neue Kabel, 17'000 neue Brandschotts, 2'700 Brandschutzklappen, 29'000 neue Sprinklerköpfe, die Zahlen sind schwindelerregend. Manche Installationen konnten nicht zum Laufen gebracht werden und wurden zum zweiten Mal neu eingebaut.

Erweiterungspläne (helle Bauteile Mitte) für den schon zur Eröffnung zu kleinen Flughafen (Grafik: FBB)
Der lange Weg zum Ziel

Inzwischen gibt es ganz andere, kuriose Probleme. Für viele Bauteile ist die Gewährleistungsfrist längst vor dem Härtetest der Inbetriebnahme abgelaufen bzw. wird bis Ende 2020 erloschen sein. Inzwischen ist auch die IT-Anlage in Teilen veraltet und wird erneuert, etwa bei der Gepäckabfertigungsanlage. Man sollte vielleicht damit etwas warten, denn wer würde für den Termin 2020 seine Hände ins Feuer legen? Das gilt auch für hunderte von Monitoren, die schon veraltet sind, bevor sie vom Probebetrieb in den Normalmodus geschaltet werden können und gerade durch neue Technik ersetzt werden.

Der öffentliche Druck wird wieder steigen, wenn der derzeit offiziell genannte Termin Oktober 2020 näher rückt – und eine neuerliche Verschiebung droht. Schon sind Absetzbewegungen zu registrieren. Von einer möglichen Teileröffnung ist die Rede (wie bei Erdogans Großflughafen in Istanbul?). Und Engelbert Lütke Daldrup, 2017 installierter vierter Flughafenchef seit Baubeginn, räumte ein: Der Flughafen wird eine Baustelle bleiben“. Endlich fertig werden, endlich eröffnen, ist das einzige Streben der Flughafengesellschaft.

Die Seitenterminals sind seit Jahren fertig, doch Beifuß und Wiesenknöterich wachsen unbehelligt vor sich hin. (Bild: Falk Jaeger)

Doch dann wird die Kuh nicht vom Eis sein, sind sich alle unbeteiligten Beobachter einig. Da ist das Kapazitätsproblem von 22 Millionen Fluggästen pro Jahr zum Zeitpunkt der Eröffnung.  27 Millionen seien möglich, beteuert der Flughafenchef – nicht unwidersprochen. Schon 2018 fertigten Tegel und Schönefeld SFX zusammen 34,7 Millionen ab und platzen aus allen Nähten. Die Zahlen stiegen in den vergangenen Jahren kräftig und es ist nicht zu sehen, weshalb sich dieser Anstieg von jährlich 6 Prozent abschwächen sollte. Schönefeld alt soll deshalb bis Ende 2025 in Betrieb bleiben. Fazit: BER und SFX zusammen sind Ende 2020 beim Aufkommen von knapp gerechnet 36 Millionen (manche Prognosen sagen 39,8) bereits am Anschlag.

Masterplan BER 2040: Der offizielle Masterplan der Flughafengesellschaft mit SFX Schönefeld alt (oben) und der neuen Landebahn (unten) zeigt tapfer die beiden in ferner Zukunft geplanten Vorfeldterminals (weiß). (Grafik: FBB)
Unkoordinierte Erweiterung

Es ist nicht so, dass Flughafenchef Lütke Daldrup davor ganz die Augen verschlösse. Aber die Angst vor weiteren Desastern und Kostenexplosionen lähmt und hindert am unabdingbaren großen Wurf. Den gordischen Knoten durchschlagen müsste ohnehin die Politik, indem sie endlich die Planung eines wirklichen Großflughafens im Süden Berlins in Angriff nähme. Stattdessen soll der BER auf optimistische 55 Millionen erweitert werden. Und es geschieht Unfassbares. Wie in Tegel, wo die „provisorischen“ Erweiterungen irgendwie angestückelt wurden, anstatt das ursprüngliche schlüssige Konzept der Architekten für den zweiten Bauabschnitt in Form eines zweites Sechsecks zu realisieren, soll nun auch die Planung in Schönefeld durch ein billig und schnell („wir wollen keinen Architekturpreis gewinnen“) in das Konzept hineingequetschtes Hilfsterminal T1-E ertüchtigt werden. Wozu hatten die Architekten von gmp die Erweiterungen schon mit geplant, in Form von zwei weiteren Satelliten-Terminals auf dem Vorfeld? Wenigstens berücksichtigt das Terminal die Kubaturvorgaben des Gestaltungshandbuchs, das die Architekten für das gesamte Flughafenareal entwickelt hatten. Denn es sollte eine Flughafenanlage entstehen, die auch in ihrer zukünftigen Entwicklung einem langfristigen Ordnungs- und Gestaltungsplan unterliegt und nicht über die Jahre zum trostlosen Bauchaos mutiert, wie London-Heathrow in Extremform. Schon einmal hatte man gemurkst: gmp hatte das Hauptterminal größer geplant, der Flughafen hat es 2006 aus Kostengründen (!) um eine der sechs Raumeinheiten gekürzt, um später an gleicher Stelle wieder „Pavillons“ anbauen zu müssen.

2017 publizierte das Flughafen-Journal "BER aktuell" Details zum geplanten Stufenausbau (Bild: Flughafen-Journal BER)
Wie bestellt?

Wenn Beobachter voraussagen, dass mit der Eröffnung des BER das Berliner Flughafenchaos erst richtig beginnen wird, dann nicht nur wegen der absehbaren Überlastung der Terminals. Man hatte schlicht den enormen Anstieg der Pendlerströme während der letzten zehn Jahre übersehen, die auch die S- und Regionalbahnen zum Flughafen benutzen. Und die Autobahn zum Flughafen ist schon heute überlastet. Es ist zu befürchten, dass durch den Ausweichverkehr auf Schleichwege zeitweise der Straßenverkehr im ganzen Süden Berlins ins Stocken gerät. Man setzt Hoffnungen auf eine Optimierung des Bahnsystems und darauf, dass 70 Prozent der Passagiere per Bahn kommen. 

Als vor 23 Jahren der Baubeschluss für den „Großflughafen Berlin Brandenburg“ gefasst wurde, hat man sich ein zukunftsfähiges, internationales Luftdrehkreuz mit Verbindungen in alle Welt vorgestellt. Eine mustergültig geplante, geordnete und ästhetisch durchaus überzeugende Gesamtanlage. Bekommen wird die Hauptstadt einen schon bei Eröffnung zu engen Regionalflughafen mit Nachtflugverbot, bei dem das pünktliche Erreichen des Abflugs zur Glückssache wird. Und an dem wohl nie ein A380 andocken wird, obwohl das Gate auf Wunsch des Regierenden Bürgermeisters Wowereit mit Hunderten Millionen Euro Einsatz und Bauverzögerungen eigens nachgerüstet wurde.

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