Handwerkliche Zukunftsvisionen im Sozialismus

Eduard Kögel
3. mayo 2023
Modell des ‚intelligenten Arbeitsraums‘ in Originalgröße, Teil der ‚Heim-Informations-Maschine‘ (DIM), ausgestellt auf der Elektronik-Ausstellung, Moskau, Sowjetunion, 1971, Reprint, 2023 (Foto © Privatsammlung Wladimir Papernyj)

Die Ausstellung zeigt Designpositionen der 1950er- bis 1980er-Jahre aus Estland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kroatien, Slowenien, der Ukraine sowie der DDR. Das Spektrum der Projekte und Objekte reicht von Hotelinterieurs und Wohneinrichtungen über kybernetische Wohnräume, Textil- und Glasinstallationen bis zur visuellen Kommunikation im öffentlichen Raum.

Die Ausstellung hat elf Themenschwerpunkte, die fast alle in zwei Unterbereichen dargestellt werden. Obwohl nicht explizit angesprochen, sind die Themen jeweils Ländern zugeordnet, die teilweise in der vorgestellten Periode nicht unabhängig waren. So werden unter je einem Schwerpunkt ehemalige Sowjetrepubliken (Ukraine, Litauen, Estland), die ehemalige Tschechoslowakei (Slowakei, Tschechien), Länder des ehemaligen Jugoslawien (Slowenien, Kroatien) neben der DDR, Ungarn und Polen präsentiert. In allen Fällen kommen die Projekte und Objekte aus Archiven der heutigen Länder, was dazu führt, dass zum Beispiel etwas irritierend von „slowakischem Design“ gesprochen wird. Ein Sonderfall bildet in der Ausstellung die UdSSR, die nur mit Materialien aus privaten Archiven vertreten ist, da offensichtlich wegen des Krieges keine Kooperation mit offiziellen Sammlungen in Russland möglich war. Das Verhältnis von Zentrum zu Peripherie bleibt so weitgehend unbeleuchtet.

The special exhibition Space and Form I, Tallin Art Hall, 1969, Design concept by Bruno Tomberg, Maia Laul, Kärt Voogre, Eha Reitel, Saima Veidenberg and Taevo Gan (Foto © Estonian Museum of Applied Art and Design)
Ausstellungsansicht, Kunstgewerbemuseum + Kulturforum 2023 (Foto © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker)
SPHINX – ‚Superfunktionale Informations- und Kommunikationseinheit’, alternative Konfiguration, Sowjetunion, 1986–87, Reprints, 2023 (Foto © Privatsammlung)
Themenbereiche im Überblick

Der einzige Beitrag zur Sowjetunion stellt in ‚Utopien aus Plastik und Papier‘ zwei Designgruppen vor, die sich mit Ideen einer technologisch durchdrungenen Umwelt befassten. Das Zentrale didaktisch-experimentelle Studio der Vereinigung bildender Künstler der UdSSR (Senezh-Studio, 1964–1991) bildete mehr als 1500 Künstler*innen und Architekt*innen aus der UdSSR, Polen, der DDR und Bulgarien aus. Das 1962 gegründete Allunions-Forschungsinstitut für technische Ästhetik (VNIITE) konnte nur knapp ein Drittel seiner Entwürfe tatsächlich umsetzen. Die ‚Mobile Station für audio-visuelle Informationen‘ (1969–1972) gehörte zum konzeptionellen ‚Wohn-Theater‘, das sich mit der Integration neuer Technologien in den Alltag befasste, aber aufgrund der Mangelwirtschaft nicht in die Massenproduktion kam.

In ‚Die Stadt als Bühne‘ geht es auch um die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1973 in Ost-Berlin stattfanden. Das visuelle Erscheinungsbild setzte in radikaler Abkehr von den bis dahin dominierenden roten Fahnen und Porträts der politischen Führer auf die für Vielfalt, Internationalität und Frieden stehenden Regenbogenfarben, die ein Kollektiv der Kunsthochschule Berlin-Weißensee vorschlug. Die populäre Gestaltung löste bei der Jugend die Hoffnung nach einer offenen Gesellschaft aus. Die Spiele blieben jedoch nur eine Bühne auf Zeit, die keine politischen Änderungen einläutete.
Als Gegenbild werden ‚Wohnalltag und Wunscheinrichtung‘ der 1970er-Jahre in der DDR thematisiert. Gestaltete Objekte wir Lautsprecher, Rundfunk- und Fernsehgeräte, Lampen und Möbel werden zusammen mit Selbsthilfeanleitungen für die Sanierung von Altbauten in Zeitschriften präsentiert. Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen sozialistischem Anspruch und privaten Wünschen deutlich.

Der erste Teil fokussiert im Ausstellungsbereich ‚Atmosphären gestalten‘ auf das Hotel Thermal in Karlsbad in der damaligen Tschechoslowakei, das von dem Architektenpaar Věra Machoninová and Vladimír Machonin gestaltet wurde. Das Filmfestival- und Spa-Hotel entstand zwischen 1964 und 1977. Der am Fluss Teplá liegende Komplex aus einem dreigeschossigen Sockel mit einem Kino für 1200 Besucher, Konferenzsälen und dem Hotelturm verbindet einfache Geometrie der äußeren Form mit einer eigenen Innenraumgestaltung und der Integration des Bauensembles in die weitere Landschaft. Die Innenarchitektur, für die die Architekten Möbel entwarfen, konnte in Zusammenarbeit mit den Künstler*innen René Roubíček, Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová als Gesamtkunstwerk gestaltet werden.

Lutz Brandt, Entwurf Tribünen Marx-Engels-Platz, X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Ost-Berlin, (Foto: Armin Herrmann)
Věra Machoninová, Vladimír Machonin, Hotel Thermal, Interior der Kongresshalle, ca. 1977 (Foto: Jaroslav Franta)
Sirje Runge (Lapin), Proposal for the Design of Areas in Central Tallinn, 1975 (Foto © Museum of Estonian Architecture, Foto/Photo: Tiit Veermäe)
Auf dem Weg zur globalen Designgeschichte

Die oben in Ausschnitten beschriebene Ausstellung wird in einem Raum des Kulturforums gezeigt, während in einem weiteren Teil Archivmaterialien in Durchgangsräumen des Kunstgewerbemuseums zu sehen sind. Dort werden Materialien zu Design-Institutionen, Ausbildung, Diskursen, Ausstellungen, Netzwerken und Designsammlungen vorgestellt, die auch den Austausch zwischen Ost und West belegen. 

Leider hat die räumliche Trennung den Nachteil, dass die Hauptausstellung und die Archivmaterialien auch inhaltlich separiert bleiben. Zudem ist in der Hauptausstellung konsequent auf eine Beschriftung der Darstellungen verzichtet, die in einem Begleitheft etwas mühsam unter einer Nummerierung zu finden sind. Abgesehen von den genannten Wermutstropfen der räumlichen Separation und dem Verzicht auf die Beschriftung, belegen die Materialien die internationalen Diskurse in den vertretenen Ländern. Sie zeigen auch, dass es in der sozialistischen Welt nicht an Ideen fehlte, sondern eher an Verknüpfung zwischen Entwurf, Produktion und politischem Willen. Denn viele der umgesetzten Projekte sehen zwar futuristisch und wie für eine Serienproduktion konzipiert aus, mussten aber als Einzelstücke handwerklich hergestellt werden. 

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Abkehr der ehemaligen sozialistischen Länder des Ostblocks von Russland setzten neue Netzwerke und Diskurse den Rahmen. Deshalb ist es wichtig auch die verschwundenen Beziehungen zu beleuchten um damit heutige Standpunkte verständlich zu machen. Die sehenswerte Ausstellung belegt, dass sowohl in der Breite wie in der Tiefe noch Themen erschlossen werden können, um in einem Diskurs auf Augenhöhe zu einem neuen Verständnis der globalen Gestaltungsgeschichte zu kommen. 

Zusammengestellt hat die Ausstellung die Kuratorin für Design am Kunstgewerbemuseum, Claudia Banz, die mit folgenden Co-Kuratorinn*en zusammenarbeitete: Polina Baitsym, Alex Bykov, Melinda Farkasdy, Judith Horváth, Helena Huber-Doudová, Silke Ihden-Rothkirch, Karolina Jakaitė, Viera Kleinová, Rostislav Koryčánek, Mari Laanemets, Kai Lobjakas, Florentine Nadolni, Anna Maga, Kaja Muszyńska, Cvetka Požar, Klára Prešnajderová, Alyona Sokolnikova und Koraljka Vlajo. Zur Ausstellung ist ein Katalog in Englischer Sprache erschienen.

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