Wohnen auf Zeit

Vietzke & Borstelmann Architekten
20. mayo 2020
Ostansicht des Neubaus mit verschobenem Zwischengeschoss (Foto: Jochen Stüber)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Entwurfsaufgabe stellt eine sehr spezifische Anforderung an das Thema „Wohnen auf Zeit“ dar. Programmatisch handelt es sich bei dem Haus um sieben neue Apartements für Eltern schwerkranker Kinder sowie ein Apartement für die Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres. Im Bestandsbau – einem 100 Jahre alten Gebäude, das vormals u.a. als Apotheke und Lazarett gedient hatte – wurden zusätzliche Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in den 15 bereits existierenden Apartements, als auch in den Gemeinschafts- und Büroflächen vorgenommen. 

Der Gesamtorganismus ist auf eine spezielle gemeinschaftliche Wohnform der Eltern und Geschwister ausgelegt, die in der offenen Gemeinschaftsküche mit Speisesaal ihren zentralen Punkt hat. Die Eltern der schwerkranken Kinder, die in der naheliegenden Klinik betreut werden, finden hier eine Herberge auf Zeit. Diese Art der Wohngemeinschaft, mit den offenen Kommunikationsräumen im Erdgeschoss, benötigte eine eigenständige architektonische Ausformulierung.

Erweiterung mit Bestandsbau im Hintergrund (Foto: Jochen Stüber)
Blick auf den Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss (Foto: Jochen Stüber)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Als Inspirationsquelle diente sicherlich die Vorstellung der Landschaft, sowohl im Sinne des Begriffes der Wohnlandschaft, als auch im eigentlichen landschaftlichen Sinne.

Das Haus haben wir dezidiert aus den innenräumlichen Anforderungen heraus entwickelt – sowohl mit großen transparenten Spielzimmern und Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss, als auch einem vertikalen Luftraum, der diese offenen sozialen Flächen mit den darüber liegenden Apartements als Rückzugsräume verbindet. Die Apartements sind als Zweispänner entlang eines großzügigen Mittelganges organisiert, der über einen eingerückten Zwischenbau an das Bestandsgebäude anschließt. Diese funktionale Schichtung ist auch in der Fassade markiert. Der gläserne Zwischenbau stellt eine Fuge zwischen dem Bestands- und dem Neubau dar und verbindet somit altes und Neues zu einem organischen Ganzen.

Das Erdgeschoss des Neubaus ist mit großen transparenten Flächen sehr licht gehalten und mit einer großzügigen, nach Süden ausgerichteten Terrasse versehen. Die darüber liegenden Appartementgeschosse sind gleichsam einer landschaftlichen Schichtung zum Park hin aufgefächert.

Der Luftraum ermöglicht Blickbeziehungen über zwei Geschosse hinweg (Foto: Jochen Stüber)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Ort wird bestimmt durch das historische Rotklinkergebäude, also den Bestandsbau, sowie den Park des Uniklinikums mit seinem imposanten Bestand an Eichen. Der Neubau ist einerseits eigenständig genug, um ein Spannungsverhältnis zum Bestand herzustellen. Andererseits ist der Entwurf so dezent, dass über die Fassade mit ihren Erdtönen im Ocker des Oldenburgischen Klinkers und den dunkel dazu kontrastierenden eingelegten Holzwerkstoffarbeiten eine einladende Einheit entsteht. Durch die ausgewogenen Proportionen des horizontal geschichteten Neubaus kommt es zu einem harmonischen Ganzen, das als Herbergs-Ensemble den Besucher freundlich anspricht. Zum Park hin öffnet sich der Baukörper spielerisch und entfaltet eine natürliche Anmutung. 

Blick auf das verglaste Spielzimmer mit Schaukel (Foto: Jochen Stüber)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzerinnen den Entwurf beeinflusst?

Der Entwurfsprozess wurde durch sehr viele Gespräche mit den Bauherren, als auch den Mitarbeitern (Haupt- und Ehrenamtliche) unterstützt. Wir können in der Tat von einem dialogischen Entwurfsprozess sprechen. Zudem fußt das Projekt auf unserer zehnjährigen Erfahrung mit dem Thema Wohnen auf Zeit. Unser Erstentwurf – ein einzelnes Apartment mit dem Titel „Wohnen in einer Kajüte“ – brachte den ersten Kontakt zur Stiftung. Zahlreiche weitere Besuche der Häuser in ganz Deutschland sowie die rege Teilnahme an Veranstaltungen und der konstante Dialog mit den Beteiligten schulten uns fortwährend. Ausgehend von diesen teilweise sehr eindrucksvollen Erfahrungen vor Ort mit sehr handfesten Betrachtungen der gebauten Häuser haben wir an diesem Entwurf gearbeitet. 

Dunkle Holzplatten bilden den Kontrast zum hellen Klinker (Foto: Jochen Stüber)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Allgemein ist unsere Entwurfsmethodik seriell, d.h. wir arbeiten zu Entwurfsbeginn immer in Serien, sodass es eine große Vielfalt an Lösungsansätzen gibt. Wenn sich ein Ansatz als erfolgversprechend herausstellt, bzw. sich auch Teilaspekte von weiteren Varianten als passend herauskristallisieren, kann es auch zu einer Verbindung dieser unterschiedlichen Lösungsformen kommen. Sobald sich dann ein „Favorit“ gänzlich nach vorne schiebt, und eine eigene „Projektlogik“ gefunden wurde, versuchen wir das auf allen Maßstabs-Ebenen zu übertragen. Sowie es diese Idee gibt, wird sie vielmehr systematisch verfeinert, aber nicht mehr grundsätzlich verändert. Deswegen kann man sagen, dass sich der Entwurfsgedanke auch bei diesem Gebäude konsequent durchzieht. 

Transparenz bis ins oberste Geschoss. Mit der verglasten Bodenfläche behält man das Geschehen in den unteren Geschossen stets im Blick. (Foto: Jochen Stüber)
Raumhohe Verglasungen verknüpfen den angrenzenden Park mit dem Ess- und Versammlungsraum (Foto: Jochen Stüber)
Lageplan (Zeichnung. Vietzke & Borstelmann Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung. Vietzke & Borstelmann Architekten)
Grundriss Obergeschoss (Zeichnung. Vietzke & Borstelmann Architekten)
Längsschnitt (Zeichnung. Vietzke & Borstelmann Architekten)
Erweiterung Ronald Mc Donald Haus
2019
Breewaterweg 5
26133 Oldenburg

Nutzung
Apartmenthaus
 
Auftragsart
Direktauftrag 
 
Bauherrschaft
McDonald’s Kinderhilfe Stiftung, München
 
Architektur
Vietzke&Borstelmann Architekten, Hamburg
 
Fachplaner
Landschaftsarchitekt: TH Treibhaus Landschaftsarchitektur, Hamburg
Tragwerksplanung: Jürgen Hellmann GmbH, Oldenburg
Quantity Surveyor / Cost Analysis: Höhler&Partner, Hamburg
Elektro: Gruppe Ingenieurbau von Kiedrowski, Oldenburg
Sanitär, Heizung und Lüftung: Donker&Dammann, Oldenburg
 
Ausführende Firma
Baufirma: Hoppmann Bau GmbH & Co.KG, Wiefelstede

Energiestandard
ENEV 2014/2016
 
Bruttogeschossfläche
1.023 m² / 876 m² Neubau
 
Gebäudevolumen
3.033 m³
 
Gesamtkosten
1.800.000 €

Fotos
Jochen Stüber

Artículos relacionados

Otros artículos de esta categoría