Cool, krass, fett, geil. Warum nicht?

Author
ch
Published on
May 18, 2011

Pop und Architektur – da könnten einem grelle, bunte Fassaden mit kurzer Halbwertszeit einfallen. Pop kann aber auch als ein diskursives Phänomen verstanden werden. Dann ist Pop auch eine Art, über Dinge zu sprechen, Inhalte zu vermitteln, mit Ambivalenzen produktiv umzugehen, anstatt letztlich vergeblich danach zu trachten, ihrer durch Dogmen Herr zu werden. Architektur in Bezug zu Pop zu setzen, scheint allerdings derzeit nicht populär zu sein. Schade eigentlich. Denn die verkrampften Architekturdiskurse (etwa der aktuelle um die Frankfurter Altstadt) könnten eine Portion Pop gut gebrauchen.
 
Jeder, so scheint es, kann Popstar werden. Vorausgesetzt, er steht in der Öffentlichkeit und tut oder sagt etwas, das viele bewegt oder interessiert, auf eine Weise, die viele bewegt oder interessiert. Popmusik muss sein Metier nicht mehr sein. Als Popstar wurde in letzter Zeit – vor seinem Rücktritt und den damit verbundenen Peinlichkeiten – der Verteidigungsminister von Guttenberg, aber auch der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezeichnet. Real Madrids Trainer José Mourinho ist der Popstar der Verschwörungstheoretiker, Stephen Hawking der der Physiker. Und so weiter. Wenn das, was Popstars vertreten, Pop ist, dann lässt sich Pop nicht mehr auf bestimmte Inhalte, bestimmte Ausdrucksformen beschränken. Das hieße, dass nicht einmal die Komplexität von Inhalten reduziert werden muss. Pop ist dann eine Frage des Umgangs mit ihnen.

Was ist Pop?
Damit wird die Antwort auf die Frage, was Pop denn nun eigentlich ist, nicht leichter. Immerhin ist Pop zu wichtig, um ihn zu ignorieren. Pop sei, so der Kunstwissenschaftler Beat Wyss schon 1997, zur Hochkultur geworden, zum kulturellen Ausdruck einer deregulierten Aufklärung. Pop sei das Versprechen auf Teilhabe am Konsum aller, die nach Glück streben. Damit ist die erste Charakteristik von Pop genannt – er setzt eine prinzipielle oder zumindest potenzielle Verfügbarkeit und Zugänglichkeit (und damit Vervielfältigbarkeit) voraus. Teilhabe, Zugänglichkeit, Verfügbarkeit – es ist offensichtlich, dass Pop im Kern auch eine Frage der Medien ist. Man muss wissen, was man bekommen kann. Und was man haben sollte. Pop ist die Verständigung darüber, was zu haben, was zu hören, zu sehen, woran teilzunehmen wichtig ist. Pop, so Roger Behrens, habe "mit der Art und Weise zu tun, in der über Pop geschrieben und reflektiert wird, damit, inwiefern Pop selbst neben einer kruden kulturell-ökonomischen Realität ein Produkt von Diskursen ist. Das Reden über Pop ist bisweilen mehr Pop als das, worauf es gerichtet ist." Und, so Behrens weiter, der Adressat, der Konsument, verstehe sich genauso als Teilnehmer am Diskurs wie die, die ihn führen.
 
Als Akteur ist der Konsument dabei einer dringenden Frage ausgesetzt: Gehöre ich dazu oder nicht? Das ist nicht nur die Frage danach, ob man dabei gewesen ist, ob man selbst im Besitz dessen ist, was auch die anderen besitzen. Die permanente Neujustierung setzt den Zwang zur permanenten Aktualisierung, zum Neuerwerb, zur Veränderung. Damit ist auch deutlich, dass Pop nicht endgültig bestimmt werden kann, sondern immer neu beschrieben werden muss.
Die Beschreibung von Pop erschöpft sich aber nicht in Erklärungsmustern einer soziologischen oder medientheoretischen Disziplin. Auch das gehört zu Pop: Um Grenzen von Disziplinen und deren immanente Selbstbeschreibungen schert er sich nicht. Man könnte sogar sagen, dass gerade die Grenzüberschreitung essentiell zu ihm gehört, dass es sein Wesen ist, in fremden Revieren zu wildern. Pop ist beweglich. Gesänge mittelalterlicher Mönche werden genauso popularisiert wie religiöse Symbole. Dabei wird auch nobilitiert. Fangesänge oder Sportkleidung dringen in Bereiche ein, in denen sie lange tabu waren. Die Grenzen werden geschliffen: die zwischen Hoch- und Massenkultur, zwischen Kunst- und Warenästhetik, zwischen Virtualität und Realität. Es zählt nicht, was nach systeminternen Kriterien der Disziplin, derer sich der Pop bedient, jeweils als richtig, objektiv definiert wurde. Pop folgt dem und erzeugt das Bedürfnis nach Emotionen und intensivem Erleben – und erschöpft sich darin doch nicht. Intellektueller Genuss oder wissenschaftliche Erkenntnisvermittlung und Pop schließen sich nicht aus.

Pop und Architektur
Nun ist es also schon schwierig genug, über Pop zu reden. Für Architektur gilt das um so mehr, als sie sich in einigen Charakteristika dem widersetzt, was zum Pop gehört. Auch wenn es keine endgültige Bestimmung dessen geben kann, was Pop ist, wird deutlich, dass Architektur als Produkt sich dagegen sperrt, Pop zu sein. Architektur ist teuer, man kann sie nicht sammeln wie Bücher oder Platten. Man kann sie nicht so einfach wechseln wie Schuhe, Frisuren, Kleider. Sie wird nicht vorgetragen wie Musik. Und Architektur steht länger als Moden halten. Man kann sich ihrer nicht schnell und leicht entledigen oder sie archivieren, um sie nach ein paar Jahren wieder hervorzukramen. Das ist die eine Seite.
 
Wenn Pop eine Frage des Umgangs mit den Inhalten ist, dann könnte Pop zu akzeptieren auch heißen, den Architekturdiskurs anders zu führen. Darin zeigt sich, dass viele Architekten noch nicht so recht im Zeitalter des Pop angekommen sind. Ihr Habitus und Selbstverständnis ist noch vielfach eines, das sich mit dem Wesen des Pop nicht verträgt. Das Ideal ist das nicht vervielfältigbare Kunstwerk. Das macht ja eigentlich nichts. Was lange steht, so wird allerdings geschlossen, müsse seine Rechtfertigung außerhalb emotionaler Faktoren suchen, dürfe nicht modischen, subjektiven Kriterien folgen.
Dabei sind sie doch ausschlaggebend. Kollhoff – um nur ein Beispiel zu nennen – beschreibt in der FAZ den Unmut der Menschen über die Architektur der Moderne, sie wollten Häuser, in die sie sich einfühlen könnten. Soweit so gut. Aber Kollhoff instrumentalisiert "die Bürger" gleich wieder für ein vermeintlich kollektives Erbe, für ein "von Architekt zu Architekt weitergereichten verfeinerten Repertoires". Es sei den Architekten ja gegönnt, dass gefällt, was sie für gut halten. Sie sollten aber auch genau hinsehen. "Dem Bürger" gefällt dummerweise auch Wertheim Village. Es soll sogar Bürger geben, die gerne in Wohnmaschinen leben. "Der Bürger" geht anders mit der Architektur um, als Architekten es für richtig halten. Deswegen kann es auch sein, dass "der Bürger" auf die von Kollhoff bemühte "Konstante des Architektonischen" oder die "Jahrtausende umspannende Architekturgeschichte" pfeift, vor allem, wenn er sich kein privates Haus auf der Parzelle bauen kann oder will. Bürger ist er übrigens trotzdem noch. Und dann?
 
Nein, Pop hieße zunächst einmal, sich in dem, was man als Architektur denken darf, worüber man als Architektur reden darf, von all dem hemmenden Ballast zu entledigen, der unter Berufung auf alte Meister, auf die Geschichte, auf die richtige Stadt (es muss ja auch immer gleich die ganze Stadt sein, auch wenn es nur um 36 Häuser geht), auf das über Jahrhunderte tradierte Repertoire aufgetürmt wurde, weil man dem meint, ihm verpflichtet zu sein. Pop ist radikal subjektiv.
Eine solche Befreiung könnte sich in der individuellen Anverwandlung von historischen Referenzen, dem opulenten und verschwenderischen Umgang mit ihren Formen äußern. Weder müssen bunte, poppige Fassaden entstehen, noch soll einer beliebigen Wegwerfarchitektur das Wort geredet werden. Wollte man das tun, wäre man rasch mit der Diskussion am Ende. Es geht dabei um etwas anderes. Pop und Architektur aufeinander zu beziehen, hätte für den Diskurs zumindest zweierlei mögliche Konsequenzen. Architektur ließe sich emotional vermitteln, etwa mit einem überraschenden Film, mit einer einnehmenden Überzeugungsstrategie, man muss im Diskurs dem Atmosphärischen, dem emotionalen Bewegtsein nicht mit Misstrauen begegnen.
 
Warum sollen Menschen sich nicht für Architektur begeistern, sie ohne Rechtfertigung mögen dürfen? Pop in der Architektur wäre das Ende des lähmenden Beharrens auf vermeintlich korrekten, wahren und zeitlosen Werten. Wenn Werte zeitlos sind, werden sie sich auch durchsetzen, ohne dass sie proklamiert werden müssen. Werden sie bemüht, ist das schon ein Grund, misstrauisch zu werden. Das Bild unserer Städte zeigt, dass jede Epoche ihre Moden hat, ihre eigenen Geschichten erzählt, aber gerade das macht die Qualität der Stadt aus. Sie um diese Vielfalt an Geschichten zu reduzieren, hieße, sie künstlich ärmer zu machen als sie sein kann. Warum? Warum einen Mangel darin sehen, dass Menschen die Architektur benutzen, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen? Warum sollte der Architekt das für sie tun? All dies bedeutet keinen Jota an Verzicht auf Ernsthaftigkeit. Vielleicht nur einen etwas unverkrampfteren Blick auf die Wirklichkeit der Menschen, für die gebaut wird.
Und dann gibt es ja immer noch das Betätigungsfeld für Architekten, auf dem sie nicht einer möglichen Dauerhaftigkeit verpflichtet sind. Das ist die Inszenierung im städtischen, im öffentlichen Raum. Das ist die Gestaltung, die Menschen zueinander bringt, ihnen Angebote macht, sie aufeinander zugehen lässt. Temporäre Installationen, die Inszenierung von Festen etwa war schon einmal in der Geschichte (!) eine hohe Kunst – warum soll sie es in bestem Pop-Verständnis nicht wieder werden?
Einige Architekten, insbesondere der jüngeren Generation, haben dieses Potenzial erkannt. Graft Architekten haben es immerhin geschafft, in der Presse als Popstars bezeichnet zu werden. Sollte das ihr Privileg bleiben? Wäre doch schön, es kämen noch ein paar andere dazu. ch
Zitierte Quellen und Literaturhinweise
Roger Behrens über Popbegriffe und Popdiskurse

Diedrich Diedrichsen über Theodor W. Adorno und Poptheorie

Gerd de Bruyn über undisziplinierte Architekturtheorie(n)

Literatur
Beat Wyss: Die Welt als T-Shirt. Zur Ästhetik und Geschichte der Medien. DuMont, Köln 1997
Daniela Konrad (Ed.): Interrogatin Pop in Architecture. Wasmuth VerlagTübingen / Berlin, 2008