The Beauty and the Beast

O&O Baukunst
7. November 2018
Model mit Bestand und Wohnbebauung (Visualisierung: O&O Baukunst)
Bestand und rechterhand Christian Heuchel (Foto: O&O Baukunst)
Im Zentrum des Stadtgefüges von Kamp-Lintfort soll ein 40 Hektar großes Areal neu entwickelt und in die angrenzende Siedlungs- und Infrastruktur integriert werden. Welche Bedeutung hat der Wettbewerb für Kamp-Lintfort?​

Durch den Umbau der Industriekultur hat das Land NRW in den letzten Jahrzehnten neue attraktive Stadtquartiere schaffen können. Die guten Erfahrungen, die der Umgang mit dem industriellen Erbe gebracht hat, sollen in Kamp- Lintfort genutzt werden. Kamp-Lintfort ist seit Beginn des 20. Jahrhundert eng mit dem Bergbau verbunden. Die Fläche des ehemaligen Bergwerks West liegt in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Nach der hundertjährigen Bergbaugeschichte soll nun das 40 Hektar große Areal entwickelt werden. Es wurde ein konkurrierendes Ideenverfahren zur Entwicklung eines Masterplans durchgeführt. Die Ziele der Stadtentwicklung wurden im Handlungskonzept »Neues Stadtquartier Friedrich Heinrich« konkretisiert. Die geplante Landesgartenschau wird im Jahre 2020 auf einer Teilfläche des stillgelegten Areals »Bergwerk West« stattfinden. Danach soll der östliche Teil des Areals als neuen Zechenpark Bestandteil der Stadt werden. Unter Einbindung denkmalgeschützter Bestandsbauten wird ein identitätsstiftendes Stadtquartier mit besonderen Adressqualitäten entstehen.
 

Lageplan (Zeichnung: O&O Baukunst)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Wir lieben einfache und robuste Stadtkonzepte. Sie ermöglichen den erkennbaren Stadtumbau. Sie sind Garant für langfristige Stadtplanungen in demokratischen Strukturen und stehen Pate für die Wiedererkennbarkeit der planerischen Leitidee. Unsere Leitgedanken waren: Wie kann man die Industriekultur in atmosphärische, neue architektonische Bilder packen? Wie kann man Wohnformen anbieten, die sich an traditionelle Bautypen anlehnen? Gibt es heute noch die Prachtstraßen, den städtischen Block oder die Arbeitersiedlung? Wie ändern sich die Bauten wenn man die Mischung von Wohn- und Arbeitsangeboten aus der Baugeschichte in das Heute überführt? Welche Art von Architektur braucht man damit sich Arbeit mit dem Leben neu mischen kann? Wie sieht ein pragmatischer Umgang mit dem Autoverkehr und dem Sichtbarmachen des Parkens aus? Hier gibt es nichts zu verstecken oder akademisch zu verschönern. Die Mobilitätskonzepte für unsere Städte werden sich verändern. Das Auto wird längerfristig aus unseren Stadträumen verschwinden.

Modell (Foto: O&O Baukunst)
Wie organisieren Sie das neue Stadtquartier?

Die Friedrich-Heinrich-Allee wird als „Sunset-Boulevard“ zur neuen Visitenkarte der Stadt. Der baumbestandene Straßenraum wird durch großmaßstäbliche Bauten weiterentwickelt. Neben dem klassischen Geschosswohnungsbau sind Lofthäuser, Terrassenhäuser und Maisonette-Wohnungen vorgesehen. Eine Kombination von Wohnen, Arbeiten und Büronutzungen ist geplant. Das Parken am „Strip“ findet auf Erdgeschossniveau auf den jeweiligen Grundstücken statt. Durch die Reduzierung des PKW-Aufkommens können diese freien Räume flexibel ausgebaut und hochwertig genutzt werden. Die Bebauung am weitläufigen Zechenpark ist stark durchgrünt und hat eine angemessene urbane Dichte. Eine klare Stadtkante zum Parkraum entsteht. Die besonderen Wohnqualitäten werden durch moderne Wohnungszuschnitte, eine attraktive Adressbildung und eine kostengünstige Realisierbarkeit gewährleistet. Es werden Stellplätze im Straßenraum und in den Blockinnenhöfen angeboten. Eine Unterbringung der Stellplätze in Tiefgaragen ist nicht vorgehen. Als Abschluss des Baugebietes im Süden werden naturnahe Wohnhöfe in der Nachbarschaft des bestehenden Schirrhofes angeboten.

Planungslupe (Zeichnung: O&O Baukunst)
Schnitte (Zeichnung: O&O Baukunst)
Was wird die Qualität des neuen Quartiers ausmachen?

Die Qualität des neuen Quartiers liegt in seiner heterogenen und urbanen Wohnbebauung mit einer hohen Nutzungsmischung in den Erdgeschossen. Das Quartier ist zentral gelegenen und sehr gut an die Innenstadt angebunden. Durch den neuen Zechenpark wird eine einmalige Wohnanlage mit grünen Sichtachsen entstehen. Der zentrale Quartiersplatz ist das Herz des Quartiers. Er wird mit gastronomischen Angeboten ergänzt. Die Belebung der öffentlichen Räume ist durch die variable Nutzbarkeit der Erdgeschosszonen möglich. Die Bebauungsstruktur spiegelt den Bedarf an zeitgemäßen Wohn- und Arbeitswelten wieder. Die heutigen Arbeitswelten wünschen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es mischen sich freiberufliche Tätigkeiten mit neuen Arbeitszeitmodellen und mit den Bedürfnissen von Mehrgenerationenhaushalten. So entstehen Stadtwohnungen, Lofts mit flexiblen Grundrissen, Townhäuser mit kleinen Gärten, Blockrandbebauungen und naturnahe Wohnhöfe. Die Gestaltung des Stadtraums lässt durch den Dialog mit der historischen Zechenarchitektur einen hohen Erkennungswert erwarten. Die Materialität der Bauten bezieht sich auf den historischen Kontext des Bestands. Das bevorzugte Material ist Backstein.

Blick auf das Landschaftsbauwerk und das neue Quartier (Visualisierung: O&O Baukunst)
Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit?

Der als erster Preis ausgezeichnete Wettbewerbsentwurf wird im Nachgang zu einem städtebaulichen Rahmenplan mit nachfolgender Bauleitplanung konkretisiert. Es ist wichtig, dass im Rahmenplan alle Fachdisziplinen intergiert werden. Eine engmaschige Abstimmung zwischen den Mobilitätskonzepten, dem Grünraumkonzept und den Ideen zur sozialen Quartiersentwicklung ist für das gute Funktionieren des Quartiers notwendig. Die Ergebnisse werden den Bürgern in öffentlichen Veranstaltungen erläutert. Ergänzend zu den Vorgaben der Stadtplanung wie Abstandsflächen, Kennzahlen und das Fixieren der Grundstücksparzellen ist es wichtig über Gestaltungshandbücher die architektonische Qualität in Kernbereichen festzuschreiben. Die Vermarktung sieht Parzellen unterschiedlichster Größe und Bebaubarkeit vor. Auf dem Gelände sollten zeitnah für das Quartier prototypische Gebäude entstehen. Diese sollten in ihrer Gestaltung die Leitideen und Wünsche des Quartiers zeigen. Nur die gebaute Architektur hat die Fähigkeit das Versprechen über Proportion, Licht und Materialität einzulösen.

Schwarzplan (Zeichnung: O&O Baukunst)
Neues Stadtquartier Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort
Nichtoffener Wettbewerb

Auslober/Bauherr: Stadt Kamp-Lintfort, Kamp-Lintfort
Betreuer: post welters + partner mbB Architekten & Stadtplaner BDA/SRL, Dortmund

Jury
Heinrich Böll | Judith Kusch | Prof. Christa Reicher | Prof. Kunibert Wachten | Prof. Rolf Egon Westerheide

1. Preis
Architekt: O&O Baukunst, Berlin, Köln, Wien
Architekt: NEW (Keuthen Weichler Schulz und Schulz GbR), Dortmund
Landschaftsarchitekt: KRAFT.RAUM., Krefeld

2. Preis
Architekt: blauraum, Hamburg, Berlin
Landschaftsarchitekt: karres+brands, Hilversum

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