29. March 2017
Modell
Das Büro steidle architekten mit realgrün Landschaftsarchitekten und PMI Ingenieurgesellschaft gewinnen den Wettbewerb «Garden Campus Vaihingen». Johann Spengler, Ulrike Fukas und Wolf D. Auch stellen sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Peter Petz: Auf einem 20 Hektar großen Areal um den brachliegenden «Eiermann-Campus» soll in Stuttgart-Vaihingen ein städtebauliches Konzept entwickelt werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?
Johann Spengler: Die Insellage inmitten einem vom Schall beeinträchtigten Waldgebiet und das Einbeziehen der unter Denkmalschutz stehenden Bauten von Egon Eiermann sehen wir als Herausforderung auf die gesteckten Ziele des Pilotprojekts und reagieren mit präzisen städtebauliche Maßnahmen. Gleichwohl wird eine weitergehende Vernetzung mit den angrenzenden Stadtteilen und den umgebenden Waldgebieten angestrebt. So müssen für die Bewohner der anderen Stadtteile, aber auch Besucher der Stadt Stuttgart Anreize geschaffen werden den Garten Campus zu besuchen und zu nutzen.
Des weiteren wurde von dem Projekt eine prägnante Adressbildung im Sinne eines Landmarks an einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Stuttgarts erwartet.
Mit dem neuen «Garden Campus»in Vaihingen besteht die einmalige Chance einer zukunftsorientierten städtebaulichen Entwicklung. Insbesondere die Einflüsse von E-Mobilität, Car-Bike-Bus-Sharing und gemischten Wohn- und Arbeitswelten können auf den speziellen Ort zugeschnitten werden und damit sichtbar und erlebbar gemacht werden.
Luftbild Bestand
Welche Ideen formulieren Sie für den Umgang mit den denkmalgeschützten IBM-Bauten von Egon Eiermann?
Johann Spengler: Wir rücken die denkmalgeschützten IBM-Bauten von Egon Eiermann und das dazugehörige Gartenensemble von Walter Rossow ins Zentrum der neuen städtebaulichen Entwicklung.
Auf den Erhalt eines später errichteten, nicht originalen Erweiterungsbaus wurde zugunsten eines großzügigen öffentlichen Parks verzichtet, der gleichsam die Bühne für die Eiermanbauten bietet. Die umgebenden Neubauten sind in ihrer Höhenentwicklung zurückgenommen, vorstellbar wäre sogar, die ursprünglich von Egon Eiermann geplanten Dachaufbauten zu realisieren.
Die denkmalgeschützten Bürohäuser und das dazugehörige Gartenensemble können als private Hochschule mit externen Forschungseinrichtungen sowie Büros, beziehungsweise als Start-Up-Center genutzt werden.
Für das künftig überdimensionierte Kantinengebäude wurde alternativ die Nutzung einer Grundschule geprüft. Durch eine Schulnutzung bliebe das ehemalige Kantinengebäude als öffentlicher Ort für Ausstellungen, Versammlungen und Veranstaltungen weiterhin erhalten.
Eiermann-Bau, Bestand
Wie wollen Sie das in einem Waldgebiet und sich in unmittelbarer Autobahnnähe befindliche Areal vom Autobahnlärm abschirmen?
Johann Spengler: Die schalltechnischen Voruntersuchungen der Auslobung haben gezeigt, dass trotz sechs Meter hoher Lärmschutzwände direkt an der Autobahn die Belastung der Außenräume, speziell im Bereich der Eiermann-Bauten, wesentlich über den erlaubten Grenzwerten für Freiräume zum Aufenthalt und Erholung liegen. Deshalb wird im Norden und Westen eine dem Waldsaum folgende, durchgehende sechsgeschossige Schallschutzbebauung vorgeschlagen, die sich schützend um die Eiermann-Häuser schmiegt.
Bereits in den 1970er-Jahren war das Freistellen der Eiermann Bauten zur Autobahn hin eine adressbildende Planungsabsicht. Als unverwechselbares horizontales Landmark führen wir ein Schleifenhaus ein, das mit großzügigen Durchblicken die alte bekannte IBM-Adresse wieder aktiviert und den Garden Campus Vaihingen überregional verortet.
Das besondere Bild einer verdrehten Schleife mit sich verändernden Haustiefen ist zur schallbelasteten Außenseite hin mit einem transparenten Erschließungsflur geplant. An den Engstellen, an denen sich auch die Eingänge befinden, verbleiben lediglich kaskadenartig angeordneten Treppen. So werden die Eiermann-Bauten hinter einem attraktiven Filter wieder als Teil des Landmarks und der Adresse präsent.
Die Wohnungseinheiten werden auf der Flurseite einer vorgegebenen Farbreihe folgend unterschiedlich gestaltet. Die im Grundriss variierenden Wohnungsbreiten werden so in die Fassade projiziert und generieren ein eigenständiges, unverwechselbares Bild.
Das Schleifenhaus versteht sich als Kontinuum unterschiedlicher Nutzungen, beziehungsweise Abschnitten mit eigenen Zugängen, welches trotz der Großform überschaubare Einheiten abbildet und gut auffindbare Adressen aufzeigt. Das Gebäude kann als Studentenwohnheim, Boardinghouse oder Longstay Hotel genutzt werden. Im Bereich des Waldparks wird in den unteren Ebenen eine Kindertagesstätte und am östlichen Ende der Schleife zusätzlich Seniorenwohnungen vorgeschlagen. Der Anregung aus der Bürgerschaft, auf dem begrünten Dach des Schleifenhauses einen umlaufenden Panorama Fußweg anzubieten, könnte über spezielle, öffentlich zugängliche Treppenräume entsprochen werden.
In den Wohnquartieren werden für die schallbelasteten, aber gut besonnten Wohnungen Richtung Autobahn ausschließlich durchgesteckte Wohnungen vorgesehen. Die auf der Süd-Westfassade zur Autobahn liegenden Loggien dienen ausschließlich als vorgelagerte, unbeheizte Pufferzonen, die nicht zum dauernden Aufenthalt geeignet sind, den dahinterliegenden Aufenthaltsräumen eine natürliche Lüftung jedoch sicherstellen können. Die für den dauernden Aufenthalt bestimmten Balkone und Loggien orientieren sich zu den ruhigen Innenhofbereichen.
Die denkmalgeschützten Bürogebäude weisen derzeit hochwertige Teakholz- Festverglasungen auf, die bei einer Umnutzung in jedem Fall mit Öffnungsflügeln ausgestattet werden müssten. Wegen des schallschützenden Schleifenhauses gelten für die neuen öffenbare Fenster reduzierte Schallschutzanforderungen. Somit wäre eine Umrüstung der bestehenden Fassade ohne gestalterische Einbußen möglich.
Wohnschleife
Welche Rolle kommt den Freianlagen zu?
Wolf D. Auch: Vorrangiges Ziel unseres Entwurfskonzeptes ist die Versorgung der zukünftigen BewohnerInnen und Nutzer mit differenzierten nutzungsspezifischen Freiräumen im örtlichen Kontext. Die Vernetzung des neu entstehenden Stadtquartiers in die Freiraum- und Erschließungsstrukturen des umgebenden Stadt- und Landschaftsgefüges wird die Attraktivität des Areals zukünftig maßgeblich bestimmen.
Neben den wohnungsnahen Grün- und Freiflächen innerhalb der Quartiere kommt dem inneren zentralen Waldpark eine besondere Bedeutung zu. Er wird zentrales identitätsstiftendes Element des «Garden Campus».
Durch sein breites Nutzungsspektrum dient er sowohl den zukünftigen Bewohnern und Nutzern des neuen Quartiers – ist darüber hinaus aber auch durch seine öffentliche Widmung Attraktor für die Bewohner der umliegenden Stadtteile des Stuttgarter Südwestens.
Weiteres Augenmerk bei der Bearbeitung der Wettbewerbsaufgabe war die grösstmögliche Integration des vorhandenen Baumbestandes in die Neukonzeption. Das Bild des
«Campus im Stadtwald» findet so seine Umsetzung.
Der denkmalgerechte Umgang mit den Freianlagen des Eiermannensembles führt in Verbindung mit den neugestalteten Freiräumen zu einem übergreifenden kohärenten Erscheinungsbild.
Lageplan
Wie organisieren Sie den Garden Campus?
Ulrike Fukas: Zu dem denkmalgeschützten Ensemble werden drei unabhängige Stadtquartiere geplant. Die neuen Quartiere werden bewusst städtisch entlang der Pascalstraße positioniert. Sie nehmen eindeutig Bezug zum Straßenraum auf und wirken so der isolierten Insellage entgegen. Die eigenständige Geometrie der neuen Stadtquartiere vermeidet die Wiederholung der nur schwer nutzbaren grünen Resträume der ehemaligen Parkdecks von Egon Eiermann zugunsten eines großen, zusammenhängenden öffentlichen Parks.
Die Punkthäuser am zentralen Waldpark markieren die Besonderheit des jeweiligen Quartiers. In den Erdgeschossen dieser Häuser befinden sich folglich Sondernutzungen wie Cafés und die diversen Stationen für E-Bikes, E-Rollers und Car Sharing. Sämtliche Gebäude erhalten einen adressbildenden Eingang vom begrünten Binnenraum.
Durch die Mischung verschiedener Haustypologien und unterschiedlicher Architektursprachen um jeweils einen Quartiersplatz entstehen differenzierte Stadträume, welche hohes Identitätspotenzial entwickeln können. Dies gilt gleichermaßen für das Quartier als Ganzes, sowie für das jeweilige Haus im Quartier.
Durch die Öffnung der Wohnhöfe nach Süden zur Pascalstraße hin wird eine abwechslungsreiche Abfolge unterschiedlicher Hausvolumen geschaffen, die sich gleichzeitig mit dem bestehenden Waldsaum verzahnen.
Regelgeschoss, Grundriss Erdgeschosse
Schnitte
Welches stadträumliche Thema war Ihnen besonders wichtig?
Ulrike Fukas: Städtebauliches Leitbild für die neuen Quartiere sind Cluster aus gewachsenen Altstadtvierteln: nach außen hin wirken sie geschlossen, im Innern bieten sie überraschende Öffnungen und Platzsituationen mit hoher Aufenthaltsqualität. Jedes Baufeld steht im Bezug zum zentralen Park, kann aber separat von der Pascalstraße erreicht werden.
Die Quartiere bilden überschaubare Nachbarschaften mit eigenständigen Adressen um jeweils eine gemeinsame, begrünte Mitte, die das Thema Waldquartier aufzeigen. Die vorgeschlagenen Gebäudetypologien ermöglichen eine größtmögliche Flexibilität und Nutzungsmischung innerhalb eines Quartiers. Der urbane Mix von Wohnen, Arbeiten und Versorgung in der Stadt wird hierbei konsequent umgesetzt.
Der bewußt städtische Charakter der Quartiere steht hierbei besonders im Vordergrund, um den Modellcharakter zu betonen. Das zu anderen Entwicklungen wie zum Beispiel der aktuellen Stadterweiterung von über 190 Hektaren in München-Freiham-Nord vergleichsweise geringe Bauvolumen setzt daher auf wenige, aber prägnante Maßnahmen.
Die Umsetzung eines zukunftsorientierten Mobilitätskonzeptes zeigt sich insbesondere bei der Gestaltung des öffentlichen und halb öffentlichen Raums. Auf den konsequent umgesetzt Shared Space Zonen wird der motorisierte Individualverkehr weitestgehend ausgeschlossen. Sämtliche Anlieferungen erfolgen über die Tiefgaragen. Dank der Hanglage bei den Zufahrten von der Pascalstraße werden aufwändige Lkw-geeignete Rampenbauwerke vermieden. Die oberirdischen Erschließungsflächen folgen durchgängig dem Prinzip des Shared Space – also einer Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer wie auch Fußgängern und Radfahrern in Tempo 20 Zonen.
Im östlichen Bereich wird in Verbindung mit einem Wohnturm ein zentraler Mobility Hub vorgeschlagen. An dieser Stelle erfolgt der Wechsel von den öffentlichen Verkehrsmitteln wie Seilbahn oder Busse zu den im Campus Garten genutzten Fortbewegungsmittel wie Fahrräder, E-Bikes oder E-Roller. Hier befindet sich auch eine unabhängige Tiefgarage für Besucher, welche dann auch bei Bedarf das Verkehrsmitteln wechseln können. Einkaufsmöglichkeiten, Bistros, sowie Paket-Verteilstellen ergänzen das Angebot in unmittelbarer Nähe. Zur besseren Vernetzung werden im westlichen Bereich für die Sharing-Flotte zwei weitere Stützpunkte sowie Besucherstellplätze unterirdisch angeboten.
Für den Radverkehr wird eine separate Brücke über die Pascalstraße mit direkter Waldzufahrt in Richtung Stuttgart-Vaihingen geplant. An jedem Hauseingang befinden sich zudem gut erreichbare und großzügig dimensionierte Fahrradräume mit Lade- und Pumpstation.
Die Mischung von großzügigen, vielseitig nutzbaren Freiräumen und gleichzeitiger urbaner Dichte mit einem konsequenten Mobilitätskonzept lassen einen zukunftsorientierten, eigenständige Campus Garden Vaihingen möglich erscheinen, der dennoch eine Ikone der Architekturgeschichte, die Bauten für die IBM von Egon Eiermann bewahrt.
Waldpark
Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit, welche weiteren Schritte sind vorgesehen?
Johann Spengler: Zunächst wird in Vorbereitung des Städtebaulichen Vertrages ein Eckpunkte-Vertrag mit der Stadt Stuttgart zu entwickeln sein. Daraufhin sind diverse Gutachten (zum Beispiel Lärm, Verkehr, Energie, Mobilitätskonzept) zu erstellen bevor bis
Mitte 2017 ein Aufstellungsbeschluß vorbereitet wird. Gleichzeitig kann mit der Planung unterschiedlicher Zwischennutzungen für die Bestandsgebäude von Egon Eiermann begonnen werden. Ein Satzungsbeschluß wäre dann bis Mitte 2018 erreichbar. Während dieser Planungsschritte werden wir unser Konzept vertiefen und die zu erwartende Vielzahl
neuer Anregungen prüfen und integrieren. Wir würden uns natürlich sehr freuen wenn wir den Garden Campus Vaihingen bei der IBA 2027 Stadt Region Stuttgart präsentieren könnten. Die Themen des Schleifenhauses: Schallschutz, gemischte Wohnformen, die Integration von denkmalgeschützter Bausubstanz und die konsequente Umsetzung eines Mobilitätskonzepts wären prädestiniert für einen Beitrag zur IBA 2027.
Schwarzplan
Garden Campus Vaihingen
Einladungswettbewerb
Auslober/Bauherr: GERCH Stuttgart-Vaihingen IBM Campus 1 bis 17 UG, Düsseldorf
Betreuer: Seyler + Pärssinen ProjektPartner GmbH, Stuttgart
Jury
Markus Müller, Vors. | Prof. Markus Allmann | Christof Luz| Prof. Mark Michaeli | Peter Pätzold | Prof. Dr. Franz Pesch | Wolfgang Riehle | Prof. Dr. Anette Rudolph-Cleff | Prof. Dr. Barbara Engel | Prof. Elke Weber-Pahl
Gewinner
nach Überarbeitung
Architekt: steidle architekten, Johann Spengler und Ulrike Fukas, München
Landschaftsarchitekt: realgrün Landschaftsarchitekten, Wolf Auch, München
Akustik, Bauphysik, TGA: PMI Ingenieurgesellschaft für Technische Akustik, Schall- und Wärmeschutz, Steffen Mayser, Unterhaching
ein 3. Preis
Architekt, Stadtplaner: ASTOC architects and planners, Köln
Landschaftsarchitekt: FSWLA Landschaftsarchitektur, Düsseldorf, Köln
Bauphysik: TOHR Bauphysik, Bergisch Gladbach
ein 3. Preis
Architekt: Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten, Berlin, Dülmen-Rorup
Landschaftsarchitekt: ST raum a. Gesellschaft von Landschaftsarchitekten, Berlin
4. Preis
Architekt: COBE Berlin, Berlin
Landschaftsarchitekt: WES LandschaftsArchitektur Schatz Betz Kaschke Wehberg-Krafft, Hamburg, Oyten, Berlin, Düsseldorf
Architekt, Landschaftsarchitekt: Hans-Hermann Krafft, Berlin