Zum Tod des britischen Architekten Richard Rogers

Technikfreak und Menschenfreund

Falk Jaeger
20. December 2021
Richard Rogers 2019 (Foto © AIA) 

Ein Gebäude besteht aus Tragwerk, Verkleidung und Versorgungsleitungen wie der menschliche Körper aus Haut und Knochen, Muskeln und Adern. Auf die Idee, dies offen zu zeigen, ja geradezu demonstrativ nach außen zu kehren, waren englische Architekten in den späten 1960er Jahren gekommen. Und da sie diese Bauweise, ob bewusst oder unbewusst, als Stilmittel einsetzten, suchten alsbald die Theoretiker nach einem passenden Begriff. „High-Tech“ nannten Joan Kron und Suzanne Slesin 1978 den in Amerika verbreiteten Einrichtungsstil, der mit Industrieleuchten, Noppenblechböden und Metallregalen eine neue Ästhetik in die Wohnzimmer brachte. 

Und „High-Tech“ nannte man kurz darauf die Übersetzung aus der Inneneinrichtung in die Architektur, wie sie Nicholas Grimshaw, Norman Foster Richard Rogers und Michael Hopkins, das Quartett der vier bedeutenden britischen High-Tech-Apologeten, realisierten. Es ging darum, die Bautechnik sprechen zu lassen, das Tragwerk (Stahlskelett zumeist) zur Wirkung zu bringen, durch designerische Überhöhung, aber auch durch leuchtende Farben. Und es ging um die Weiterentwicklung der Bautechnik, die gestalterisch und technisch saubere Trennung von Konstruktion und Ausbau, um industrialisierte Bauweisen, Vorfertigung und somit Rationalisierung und Senkung der Baukosten.

Richard George Rogers, 1933 in Florenz in eine Zahnarztfamilie geboren, hatte zur Hälfte italienisches Blut in seinen Adern. Ab 1938 wuchs er in England auf. Während des Militärdienstes nach Italien versetzt, kam er dort mit dem berühmten Architekten Ernesto Rogers, einem Onkel zweiten Grades, in Kontakt und entschloss sich, Architekt zu werden. Nach dem Studium in London und Yale (Connecticut) und Arbeit bei SOM Skidmore, Owings & Merrill in New York City gründete er 1963 in London gemeinsam mit Normen Foster sowie seiner und dessen Frau das Büro Team 4.

Millennium Dome (Foto: Alexander Baxevanis, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)

Aber Foster und Rogers konnten von unterschiedlicherem Naturell nicht sein. Kühl, britisch distinguiert, beherrscht der eine, mitteilsam, warmherzig, temperamentvoll der andere. Das konnte nicht gut gehen, und so schloss sich Rogers 1969 mit dem Italiener Renzo Piano zusammen. Die beiden gewannen den Wettbewerb für das Centre Pompidou in Paris und realisierten den epochalen Bau 1971–77. Ein Museum wie eine Industrieanlage, eine Kulturmaschine, dazu von einer Größe, die alle Maßstäbe in der Pariser Innenstadt sprengte, das war ein unerhörter Affront und ein in die Zukunft weisendes Fanal zugleich. Wie damals beim Eiffelturm dauerte es viele Jahre, bis die Pariser Stadtgesellschaft den architektonischen Alien akzeptiert hatte. Für Lloyd’s of London baute er 1979-86 eine weitere Inkunabel der High-Tech-Architektur, ein Hochhaus mit außen liegenden Versorgungsleitungen und Kränen auf dem Dach, das aussieht wie eine Ölraffinerie. Auch dieser Bau hatte anfangs Akzeptanzprobleme, gehört aber heute zu den Wahrzeichen der Londoner City und dient häufig als Filmkulisse.

Central Park Station (R9), Kaohsiung City, Taiwan (Foto: Peellden, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Spätere Bauten treten nicht mehr so provokativ auf, fügen sich eher in den Kontext wie die Gebäude für TV Chanel 4 und Tyne Tees TV 5. Zeitgemäß im Sinne von technisch avanciert sind sie allemal, wie auch seine Bauten für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (1995) und die Justizbehörden in Bordeaux (1998). In seinen Terminals in London Heathrow und Madrid gehen Flugreisende aus und ein. Der riesige, rundzeltartige Millennium Dome (heute O2 Arena) in Greenwich am Themseufer war Schauplatz der Feierlichkeiten zur Jahrtausendwende.

Auch für Berlin entwarf er ein technizistisches Hochhaus, das „Zoofenster“ (1995), das jedoch wegen Investorenstreitigkeiten in der Pipeline stecken blieb. Heute steht an der Stelle das Hochhaus des Waldorf Astoria von Christoph Mäckler. Auch Rogers’ große Pläne für den Potsdamer Platz waren nicht von Erfolg gekrönt. Die lieferte dann Ex-Partner Renzo Piano. 50'000 qm Bürofläche immerhin konnte Rogers dort entlang der Linkstraße verwirklichen, die er in gewohnt technizistischer Manier gestaltete – und nicht ohne seinem früheren Partner Renzo Piano augenzwinkernd eins auszuwischen, indem er das Terrakottafassadendiktat persiflierte, das dieser im Rahmenplan festgeschrieben hatte.

Centre Pompidou, 2016 (Foto: victortsu / Flickr)

Eine intime Feindschaft verband Richard Rogers mit Prince Charles, der bekanntermaßen eine traditionalistische Architekturauffassung vertritt, eine Art Kreuzzug gegen die zeitgenössische Moderne führt und Rogers’ Projekte am Paternostersquare und für den Wiederaufbau der Königlichen Oper torpedierte. Als ihm Charles 2009 auch noch ein Milliardenprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Chelsea Kasernen abschoss, indem er auf royaler Ebene beim Bauherrn in Katar intervenierte, beklagte Rogers im Guardian heftig, dass der Prinz sich keiner Debatte stelle, das sei undemokratisch und verfassungswidrig. „Ich glaube, er beschäftigt sich mit diesen Themen, weil er einen Job sucht, und in diesem Sinne habe ich Mitgefühl mit ihm“, so seine Einschätzung, mit der er sich mit der britischen Architektenschaft einig weiß.

Das Mitwirken an der Solar City in Linz verweist auf sein ökologisches Bewusstsein, das seine Arbeit, aber auch seine Lehre und Vortragstätigkeit mehr und mehr bestimmte. Mit dem Neubau des Parlaments in Wales z. B. halbierte er dessen Energieverbrauch. Sein soziales Engagement setzte der stets den Menschen zugewandte Rogers in seinem Büro in die Tat um. Die Direktoren in seiner Firma verdienen höchstens sechsmal das Gehalt des geringstbezahlten angestellten Architekten.

1991 schlug ihn die Queen zum Ritter und erhob in1996 gar als Baron Rogers of Riverside mit Sitz im Oberhaus in den Hochadel. Er trug trotzdem weiterhin lieber grüne Pullover und rote Oberhemden. 2007 erhielt er den renommierten Pritzkerpreis, den „Nobelpreis Architektur“. Am 18. Dezember starb Richard Rogers im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in London.

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