Prestige und Sendungsbewusstsein

Ulf Meyer
25. September 2018
Architekturgeschichte im Fokus: Sendehalle „EUROPE 1” (Bild: Marco Kany)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man in der Bundesrepublik an die Moderne anknüpfen. Beim Wiederaufbau der zerstörten deutschen Städte gab es zwei Lager: Die einen wollten den Vorkriegszustand wiederherstellen – die anderen einen Neuanfang im Sinne der Architekturmoderne mit Grün- und Freiräumen und einer autogerechten, funktionsentmischten Stadt. In Frankreich gab es diesen Bruch nicht. Der Ausbau der Großstädte folgte republikanisch-sozialistischen Zielen und nahm auf privaten Grundbesitz kaum Rücksicht. Als das Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg unter französischer Verwaltung stand, wurden Le Corbusiers Prinzipien auch die Städte im Saarland angewandt.

Die große Foto-Ausstellung „Architektur im Aufbruch zu Europa 1945-1965“ stellt diesen interessanten Strang der Architekturgeschichte erstmals in hoher Qualität dar. Die beiden wichtigsten Monumente sind die französische Botschaft in Saarbrücken von George-Henri Pingusson und die Sendehalle „EUROPE 1” bei Saarlouis. Beide Gebäude waren Symbole und Boten einer neuen, an Frankreich orientierten Zeit. Für die Neugestaltung Saarbrückens berief die französische Militärregierung Pingusson, der mit der „Equipe des Urbanistes de la Sarre“ einen Wiederaufbauplan vorlegte. Kein Gebäude verdichtet die französischen Ideen so klar wie seine (ehemalige) Französische Botschaft in Saarbrücken von 1954.

Französisches Sendungsbewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes zeigt der Sender »Europe 1«, die Jean-François Guédy und Bernard Laffaille 1955 entworfen haben. Die Sende-Halle mit freitragendem Hängedach in Form eines hyperbolischen Paraboloids wurde auf nur drei Punkten aufgelagert. Ihre Spannbetonkonstruktion war der weltweit erste Großbau mit einem aus Beton gegossenen Dach, das auf vorgespannten Seilen hängt. Die Mischung aus technischer Innovation und französischer »élégance« zeigte die französischen Ambitionen.

Die Saarbrücker Schau präsentiert diese Architekturgeschichte(n) anhand von Fotos von Marco Kany und anderen und ist Teil des Projektes „Resonanzen. Die langen Wellen der Utopien“.

Ausstellung
„Architektur im Aufbruch zu Europa 1945-1965“
Pingusson-Gebäude, Hohenzollernstraße 60, Saarbrücken
ab dem 29. September

Das schlanke Scheibenhochhaus des Pingusson-Baus wird von der Autobahn eingeschnürt (Bild: Marco Kany)

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