Architektur soll wieder Geschichten erzählen

Falk Jaeger
24. September 2018
Robert Venturi (Bild via venturiscottbrown.org)

Die Amerikaner Michael Graves, Charles Moore und Robert Venturi waren das leuchtende Dreigestirn der postmodernen Architektur, zu dem noch der Engländer James Stirling hinzustieß. Nun ist mit Venturi der letzte der großen vier gestorben.  Wenn Architekten nach der formalen Prohibition der Moderne wieder Baukunst machen, wenn sie mit ihren Gebäuden etwas mitteilen wollen, so ist dies vor allem ihm zu verdanken. Complexity and Contradiction in Architecture hieß sein heißdiskutiertes Buch, das bedeutend­ste Architekturtraktat seit Le Corbusiers Vers une Architectu­re. Es hat 1966 der Postmo­derne den entscheidenden Schub gegeben und deren theoreti­sche Grundla­gen formuliert.

1955 hatte Venturi nach einem Rom-Aufenthalt sein Büro in Philadelphia gegründet. 1967 trat die Stadtplanerin Denise Scott Brown in die Partnerschaft ein – und fe­stigte ihren Einfluss, indem sie Venturi heiratete. Seitdem traten er, der ruhige, freundliche Grandseigneur und sie, die resolute, sichtlich emanzipatorisch auftretend Ambitionierte als gemeinsame Urheber der Architektur des Büros auf.

Vanna Venturi House (Bild: Smallbones - Own work, Public Domain, Link)

Die programmatischen Venturi-Bauten waren jedoch schon zuvor entstanden. 1963 das berühmte Vanna Venturi House für seine Mutter in Chestnut Hill bei Philadel­phia und 1965 ein Senioren­wohnhaus in Philadel­phia. Beide wurden zu Inkunabeln der Postmoderne und fehlen in kaum einer Architekturgeschichte dieses Jahr­hunderts. Beide haben hunderten von Ar­chitekturseminaren als Objekte für subtilste semantische Analy­sen gedient. Sta­nis­laus von Moos schreibt dem Vanna Venturi Haus eine ähnliche Bedeutung für die Postmoderne zu wie sie Le Corbusiers Villa Savoye für die Moder­ne hat.

„Maßstabsfehler“, Sein und Schein, Symmetrie und deren Bruch, historische vs. moderne Formelemente, manieristisch verfremdet, nichts ist an diesem Haus so man es erwarten würde. Im Ergebnis ein völlig unspektakuläres Haus, das dennoch viel zu erzählen weiß. „Ich ziehe eine vermurkste Lebendigkeit einer langweiligen Ehr­lichkeit vor", spottete Venturi über die Sprachlosigkeit der formal reduzierten, abstrakten Moderne.

Seniorenwohnhaus mit Aufschrift Guild House (Bild: By Smallbones [CC0], from Wikimedia Commons)

"GUILD HOUSE" steht in (zu) großen Lettern am Seniorenwohnheim in einer unattraktiven Nebenstraße Philadelphias geschrieben. Es ist, so erklären uns die Venturis in ihrem zweiten Buch Learning from Las Vegas, ein "dekorierter Schuppen", ein funktionalistisch entworfenes Gebäude, dem zusätzlich Ornament angeklebt wurde.

"Mainstreet is almost all right", lautet der berühmt gewor­dene Kernsatz, die Hauptstraße (von Las Vegas) sei fast in Ordnung. Das Spielerparadies ist dabei nur das Extrembeispiel eines architektonischen Kommunikations­systems. Eine sozial orientierte Architektur hat zu funktionieren, sie muss bezahlbar sein, aber sie soll zusätzlich Bilder liefern, mit denen der Normalbürger etwas anfangen kann.

Die Zei­chen­haftigkeit, die Beredsamkeit von Ar­chitektur, das „Narrative“ (Heinrich Klotz) spiel­te bei der weiteren Arbeit der Venturis eine immer wichti­gere Rolle. Historistische Zitate erschienen immer öfter, das Spiel mit Codierungen und plakativer Kommunikation wurde inten­siver. In den achtziger Jahren kamen große Aufträge ins Haus, Kultur- und Instituts­bauten für amerikanische Universitäten, dann auch internatio­nale Mu­seumsneubauten. Die Erweiterung der National Gallery am Trafalgar Square markiert einen Endpunkt in der Entwick­lung des Büros weg von den eigenen Wurzeln. Als Kopie des Altbaus von 1838 will das Gebäude lediglich durch die subtile Verfremdung der alten Säulen­ordnungen seine heutige Abkunft unter Beweis stellen, was ihm nicht so recht gelingen will. Die Mainstreet, die fast in Ordnung ist und an der man sich orientiert, ist hier also die noble Pall Mall und nicht mehr der triviale Piccadil­ly Circus.

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