Architektin als Staatsdienerin
Manuel Pestalozzi
1. April 2022
Gruppenbild mit Architektin. Unter den Absolvent*innen der TH München des Jahrgangs 1923 war Hanna Löv (erste Reihe, siebte von links) die einzige Frau. (Foto: Nachlass Robert Vorhoelzer AM-TUM)
Architekt*innen werden heute oft als kreative Individuen gesehen, die sich kraft ihrer Kompetenz und moralischen Integrität gegen Zustände stemmen. Veränderung wird zur ethischen Verbesserung. Ein etwas anderes Doppelrollenbild Frau/Architektin zeichnet die Biographie einer „einsamen“ Regierungsbaumeisterin im 20. Jahrhundert: Hanna Löv.
Es gibt Architekt*innen, die es als Teil ihrer Berufung sehen, sich öffentlich zu ihren Beweggründen und Inspirationsquellen zu äußern. Schließlich haben sie die Aufgabe, über ihre Tätigkeit die Menschheit einer besseren Zukunft zuzuführen. Das Bedürfnis, den Hintergrund ihrer kreativen Impulse zu erklären oder zumindest zu deklarieren, ist naheliegend. Diese wortreichen Vertreter*innen des Berufsstandes formen dessen Bild in der allgemeinen Wahrnehmung wesentlich mit. Dann gibt es andere – möglicherweise die „schweigende Mehrheit“ –, die eher still vor sich hinwerkeln und sich zu den Resultaten ihres Tuns nur dann äußern, wenn sie ausdrücklich danach gefragt werden. Beispielsweise angestellte Architekt*innen in großen Planungs-, Bau- oder Industriekonzernen. Oder in Ämtern.
Hanna Löv war eine solche Architektin. Ihr hat die Kunsthistorikerin Laura Ingianni Altmann eine ausführliche Monographie gewidmet: „Regierungsbaumeisterin in Deutschland. Die Architektin Hanna Löv (1901–1995)“. „Der rote Faden des Buches ist die Lückenlosigkeit“ – mit diesem Satz beginnt die Autorin die Einführung zu ihrem Werk. Gemeint ist damit die stete Berufstätigkeit der unverheirateten, kinderlosen Protagonistin, die keine nennenswerten Unterbrechungen kannte. Zur Verfügung standen der Autorin der erhaltene Nachlass von Hanna Löv: Pläne, Zeichnungen, auch Korrepondenz und Zeugnisse. Das Werk wird explizit als „gendersensibel“ deklariert; es enthält zahlreiche allgemeine Hinweise auf die Situation der Frau in der Berufswelt zur damaligen Zeit. Inmitten der kontextuellen Schilderungen droht die Protagonistin manchmal beinahe etwas unterzugehen.
Für die Reichspost entwarf Hanna Löv nicht nur Postämter mit, wie jenes von Reichertshofen (1937), sondern auch Wohnsiedlungen, Briefmarken und gebrauchsgrafische Arbeiten. (Foto: Nachlass Hanna Loev AM-TUM)
In den Bauämtern MünchensIhr Berufsleben verbrachte Hanna Löv fast ausschließlich als Mitarbeiterin in verschiedenen Münchner Hochbauämtern: während der Weimarer Republik, unter dem Nazi-Regime und in der jungen BRD. Sie hatte an der TU München Architektur studiert und im Winter 1923 ihr Diplom erlangt. Ihre Karriere begann sie ein Jahr später im Baureferendariat in der Münchner Oberpostdirektion. Dort plante sie Amtsbauten, beteiligte sich daneben aber auch als Privatperson an Wettbewerben. 1927 legte sie die Prüfung „zum Regierungsbaumeister“ ab. In ihrer Korrespondenz weist sie auf die Schwierigkeit hin, trotz ihres Geschlechts zu der offenbar erwünschten Verbeamtung und einer Laufbahn zu kommen. Die Benachteiligung trotz ebenbürtigen Kompetenz- oder Talentnachweisen war wohl eine Quelle der Irritation, wie das Buch dokumentieren kann.
Beim Postamt Starnberg (1928) war Hanna Löv auch mit der Bauleitung beauftragt. (Foto: Nachlass Hanna Loev AM-TUM)
In den 1930er- und 1940er-Jahren arbeitete Hanna Löv im Hochbauamt der Reichsbahn. Zuerst war sie „Gruppenleiter“, dann folgte der Wechsel in eine Führungsposition bei der Eisenbahndirektion München. Sie wurde mit Verwaltungs- und Zweckbauten beauftragt, welche der Kreativität vermutlich keinen großen Raum gewährten. Etwas Abwechslung mögen diesbezüglich die kriegsbedingten Tarnmaßnahmen gebracht haben, für die die Architektin ein Dossier mit Anleitungen zu erstellen hatte. Nach dem Krieg wurde sie bei der Bahn nicht länger beschäftigt. Sie beteiligte sich als freie Architektin an Wiederaufbau-Projekten, etwa Wohnhäuser in München, konnte aber in den 1950er-Jahren wieder eine behördliche Anstellung erhalten, dieses Mal im Universitätsbauamt in München. Dort war sie beteiligt am Neubau der Chemischen Institute der TU, der auf einen siegreichen, mit einem männlichen Kollegen angefertigten Wettbewerbsentwurf zurückging.
1952 war Hanna Löv Teil des Wettbewerbsteams, welches das siegreiche Projekt für die Chemischen Institute der TU München einreichte. (Zeichnung Nachlass Hanna Loev AM-TUM)
Eher Mitarbeiterin als AutorinDas Werk der Architektin umfasst viele verschiedene Aufgaben – vor allem Staatsaufgaben. Oft war sie Teil eines Teams, selten trat sie ausdrücklich als „Autorin“ in Erscheinung. Dies mag an der Karrierewahl liegen, die möglicherweise beeinflusst wurde durch die Tatsache, dass Hana Löv als Frau alleine unter männlichen Berufskollegen war. Bei den geschilderten Karriereetappen fällt die ausgesprochene Teamfähigkeit dieser Architektin auf, die offenbar gut in die Architekturgemeinschaft integriert und entsprechend vernetzt war. Trotzdem stellt sich die Frage der Individualität. Laura Ingianni Altmann geht ihr im Kapitel „Hanna Löv, Privatarchitektin – die Handschrift einer Architektin?“ nach. In ihr nimmt sie die Wettbewerbstätigkeit der Protagonistin unter die Lupe. Löv entwarf mehrere Kirchen und Wohnüberbauungen, Erfolg hatte sie 1928 mit der Großsiedlung Walchenseeplatz in München, die bis heute weitgehend im Ursprungszustand erhalten ist. Da sie zur Zeit der Realisierung bei der Reichspost beschäftigt war, musste sie gemäß Wettbewerbsregeln einen frei arbeitenden Kollegen beiziehen. Der letzte dokumentierte Entwurf von Hanna Löv betraf den Wettbewerb für die Pfarrkirche Christkönig im oberbayerischen Unterneukirchen aus dem Jahr 1962.
Die Großsiedlung Walchenseeplatz in München beruht auf einem siegreichen Wettbewerbsprojekt von Hanna Löv. (Foto: Nachlass Hanna Loev AM-TUM)
Die im Buch präsentierten Projekte zeigen eine kompetente, sehr produktive Architektin, die pragmatisch „mit der Zeit ging“. Sie entwarf zweckmäßige Bauwerke, die dem wohl oft engen Kostenrahmen und dem verfügbaren Angebot von Baumaterialien entsprachen. Eine radikale oder gar revolutionäre Haltung lässt sich in diesem Werk nicht erkennen. Hanna Löv tritt im Buch als eine begabte Baukünstlerin in Erscheinung, die ihr Handwerk beherrschte. Fragen zu ihrer Person und Haltung bleiben unbeantwortet. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf dem Schicksal der akademisch gebildeten weiblichen Berufsleute im 20. Jahrhundert. Hanna Löv steht hier exemplarisch für viele.
Regierungsbaumeisterin in Deutschland. Die Architektin Hanna Löv (1901-1995)
Laura Ingianni Altmann
17.78 x 2.54 x 24.13 cm
192 Pages
80 Illustrations
Hardcover
ISBN 9783035623949
Birkhäuser
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