Mit knapper Führung

Katinka Corts
6. February 2019
Modell des Wolfsburger Nordkopf-Towers (Bild: Gustav Willeit)

Im Frühling 2018 zeigten Schulz und Schulz Architekten im Rahmen der Architekturbiennale im Palazzo Mora Details ihres Wolfsburger Projekts: Der 2017 fertiggestellte Nordkopf-Tower ist von einer Haut aus tausenden handgefertigten Metallschindeln überzogen. Diese Handarbeit ist es auch, neben dem offenen Eingangsbereich, die Architekt Ansgar Schulz heute noch am Projekt begeistert: „Wir fanden damals einen Metallbauer, der sich sehr gut mit kleinteiligen Metallbekleidungen auskennt. Mit der Fertigung der Metallschindeln beauftragte er eine Thüringer Behindertenwerkstatt.“ So verwundert es nicht, dass auch der zweite Bauabschnitt, der noch dieses Jahr fertiggestellt wird, die gleiche Hülle vom selben Handwerker erhalten wird.

Dass nach dem Umzug der Wolfsburger Stadtwerke in den Neubau auch der benachbarte Altbau saniert werden würde, stand dabei gar nicht von Vornherein fest. „Zunächst überlegten die Stadtwerke, ihr früheres Bürogebäude komplett fremdzuvermieten“, so der Architekt. „Nun jedoch können wir mit dessen Sanierung und der gleichen metallischen Fassade die Skulptur vervollständigen.“ Da die Stadtwerke es nicht für weitere Büros benötigen, vermieten sie Teile des Gebäudes. Lediglich im Erdgeschoss wird die geplante Caféteria auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtwerke genutzt werden.

Der guten Vorarbeit der Wolfsburger Stadtplanung, die bereits den Wunsch nach einem Hochpunkt an diesen zwei Hauptverkehrsachsen der Stadt formuliert hatte, sowie den klaren Vorstellungen der Bauherrschaft sei es zu verdanken, dass das Projekt so zufriedenstellend gelaufen ist. „Wir mussten das 'nur noch' ausformulieren“, lacht Ansgar Schulz. „– und haben uns mit der skulpturalen Erscheinung des Baus besonders viel Mühe gegeben.“

Seezeitlodge Hotel & Spa am Bostalsee von Graft (Bild: Michael Moser)
7.8% und 7.1%

Dem Erstplatzierten folgen auf dem Fuße GRAFT mit der Seezeitlodge Hotel & Spa. Das Vier-Sterne-Superior-Hotel im saarländischen Gonnesweiler am Bostalsee stellten wir Ihnen vergangenen Mai vor. Als 'Ort der Ruhe' war den Architekten eine nachhaltige Bauweise inmitten der waldigen Umgebung wichtig. Rund um den Bauplatz mussten für das Projekt dennoch viele Bäume gefällt werden. Trostpflaster ist die Fassade aus einheimischem Lärchenholz, die natürlich verwittern darf.

Den dritten Platz belegen LAVA mit der Jugendherberge in Bayreuth. International, integrativ und innovativ sei das Projekt, erklärten die Architekten im Interview. So sei die neue Jugendherberge ein Prototyp eines behindertenfreundlichen Gebäudes, in dem nicht zwischen Behinderten und nicht behinderten Menschen, sondern zwischen hilfsbedürftigen und nicht-hilfsbedürftigen Nutzern unterschieden wird. Und auch über eine mögliche alternative Nutzung dachrten die Architekten nach und planten dementsprechend: flexible und feste Bauteile gliedern das Gebäude und nur entlang der Flure und der Fassaden gibt es tragende Bauteile. Das Haus könnte, so LAVA, auch als Kindergarten, Schule oder Altenheim funktionieren.

Jugendherberge in Bayreuth von LAVA (Bild: Fotostudio Huber)
Weitere Abstimmungen

Wie jedes Jahr wählten nicht nur die Leserinnen und Leser von German-Architects ihren Favoriten, sondern auch jene von Swiss-Architects und American-Architects. Bei der Schweizer Abstimmung gewann mit überragenden 45% der Umbau eines 300-jährigen Bauernhauses: Unser neuer Kollege Elias Baumgarten attestiert dem verantwortlichen Architekten Andreas Pizza eine „präzise und liebevolle Gestaltung“ und großes „Flair für Material, Handwerk und historische Substanz“. 
Und auch bei American-Architects fiel das Ergebnis ähnlich klar aus. Hier gewann das 2018 fertiggestellte Thomas P. Murphy Design Studio Building der University of Miami School of Architecture. Wie uns John Hill zu berichten weiß, konnten hier auch zahlreiche Wählerinnen und Wähler von den Architekten und der Universität mobilisiert werden. Und so ist es, wie es halt ist: Die demokratisch ausgelegte Abstimmung zum Bau des Jahres durch unsere Leserschaft steht und fällt mit dem Netzwerk der jeweiligen Architektinnen und Architekten. Wobei natürlich jeder der Abstimmenden frei darin ist, zu wählen, wie er mag. Zumindest theoretisch.

Wir danken allen, die an der Abstimmung teilgenommen haben und gratulieren den siegreichen Büros für ihre gelungenen Projekte. Und wenn Sie ein Projekt kennen oder gar selber gebaut haben, dass sich mit dem letzjährigen Blumenstrauß an Gebäuden, Landschaftsprojekten oder Ingenieursbauwerken messen kann oder sollte, dann schlagen Sie es uns doch für 2019 als Bau der Woche vor. Alle so im Laufe des Jahres vorgestellten Projekte werden im Januar 2020 um den Titel „Bau des Jahres 2019“ konkurrieren können.

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