Sozialer Wohnungsbau in München

Alles Kisten, oder was?

Carsten Sauerbrei
4. April 2018
Wohnbauten rund um eine Kleingartenanlage am Ackermannbogen, Schwabing, München. (Bild: Dan Mihai Pitea via Wikimedis Commons/CC BY-SA 4.0)

München ist seit Langem bekannt für seine Spitzenmieten, aber auch für sein ehrgeiziges, kommunales Wohnungsbauprogramm. Immerhin wurden laut Bericht der Süddeutschen Zeitung bis Ende September 2017 6500 von den 8500 Wohnungen fertiggestellt, die sich die Stadt als jährliche Zielmarke gesetzt hat. Davon sollen pro Jahr 2000 im geförderten Wohnungsbau entstehen und von 2016 bis 2019 noch einmal 3000 weitere im Rahmen des Sofortprogramms «Wohnen für Alle».

Diese Zahlen zu erreichen, wäre angesichts der Wohnungsknappheit allein schon ein Erfolg. Die Frage nach der erfolgreichen Realisierung städtebaulicher und architektonischer Qualitäten ist damit jedoch noch lange nicht beantwortet. Viele, angefangen vom Architekturkritiker der Süddeutschen Zeitung Gerhard Matzig bis hin zum Fraktionsvorsitzenden der Münchner CSU-Stadtratsfraktion, Manuel Pretzl, fällen über neue Münchner Wohnanlagen Urteile wie «Schön ist das nicht» oder «Uniforme Neubaugebiete». Dass es bei entsprechendem Willen auch anders geht, zeigen nicht nur die drei in diesem Beitrag vorgestellten Wohnungsbauprojekte, sondern auch der diesjährige Preis des Deutschen Architekturmuseums für die Wohnanlage wagnisART.

Die Wohnanlage an der Bodenseestraße 166 besteht aus zwei Baukörpern, einem 5- und einem 3-geschossigen. (Bild:GEWOFAG/Roland Weegen)

Modulwohnen am Hof
​Innerhalb von gerade einmal 16 Monaten Planungs- und Bauzeit stellten Architekten und Bauleute den Wohnungsbau Bodenseestraße 166 in München-Aubing fertig und übergaben ihn im Mai 2017 an die Bauherrin, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG. Damit ist diese Anlage, die nach der Parkplatzüberbauung Dantebad zweite im Rahmen des städtischen Wohnungsbausofortprogramms «Wohnen für Alle» für Geringverdiener.

Die beiden neuen, 3- bzw. 5-geschossigen Gebäude mit insgesamt 81 Wohnungen befinden sich am westlichen Stadtrand Münchens, in einer Umgebung, die vor allem durch gewerbliche Nutzungen, aber auch durch Gruppen von Reihen- und Doppelhäusern geprägt ist. Das Münchner Büro 03 Architekten entschied sich beim Entwurf der beiden Baukörper für je einen u- und einen h-förmigen Grundriss. Einen Seitenflügel des zweiten, niedrigeren Gebäudes verlängerten 03 Architekten darüber hinaus in Richtung des ersten Baukörpers und stellen damit eine engere Verbindung der beiden untereinander her.

Die geschützten Hofbereiche der Anlage dienen auch als Begegnungs- und Kommunikationsraum. (Bild:GEWOFAG/Lukas Barth)

Die städtebauliche Struktur der Anlage lässt ruhige Hofbereiche entstehen, die störenden Verkehrs- und Gewerbelärm fernhalten. Zusätzlich schützt das direkt an der Bodenseestraße gelegene Gebäude aufgrund seiner größeren Höhe das gesamte Ensemble. Die Hofbereiche dienen auch der Begegnung und Kommunikation der Mieter untereinander. Weitere solcher Räume schufen die Architekten mit den ebenfalls an den Höfen gelegenen Laubengängen, so wie auch mit den zwei Gemeinschaftsräumen, je einer im Erdgeschoss jeden Gebäudes. Auf dem Dach gibt es außerdem durch die Bewohner nutzbare Gärten.

Die Wohnungen werden über zum Hof orientierte Laubengänge erschlossen. (Bild:GEWOFAG/Roland Weegen)

Auch diesmal, so wie auch schon beim Pilotprojekt am Dantebad, entschieden sich die Verantwortlichen für eine zeitsparende Konstruktion aus vorgefertigten, modular aufgebauten Bauteilen. Dabei bestehen Wände und Decken aus Stahlbeton- und die Gebäudehülle aus Holzelementen. Um angesichts der dem Modulbau innewohnenden Serialität der Gefahr von Monotonie zu begegnen, benutzten 03 Architekten bei der Fassadengestaltung geschossweise verschieden breite Holzlatten und erzeugen so ein angenehm lebendiges Fassadenbild.

Durch die geschossweise unterschiedlich breite Holzschalung entsteht ein lebendiges Fassadenbild. (Bild:GEWOFAG/Roland Weegen)

Lebendige Serialität
Anders als bei dem Projekt in der Bodenseestraße handelt es sich bei den in zwei Bauabschnitten, Anfang und Ende 2017 fertiggestellten Wohnungen an der Hochäckerstraße in Neu-Perlach um nur einen kleineren Teil eines neuen Wohngebiets am südlichen Stadtrand Münchens. Den stadt- und landschaftsplanerischen Wettbewerb für das 19 Hektar große, ehemalige Gärtnereigrundstück gewannen bereits 2010 die Münchner Büros Laux Architekten gemeinsam mit ver.de Landschaftsarchitektur. Insgesamt sollen bis Ende 2018 etwa 1100 neue Wohnungen entstehen, errichtet von acht Bauträgern für Bewohner verschiedenster Einkommensstufen.

Laux Architekten entwickelten die städtebauliche Komposition der neuen Siedlung auf Basis von Organisation und Struktur der einstigen Gärtnerei mit ihren zur Sonne orientierten Pflanzungen. Um Solarenergie optimal nutzen zu können, zeigt der Entwurf vor allem parallel nach Süden ausgerichtete Gebäudezeilen, die punktuell durch Gebäude in Ost-West-Richtung ergänzt werden. Aufgelockert werden soll diese strenge Struktur laut Architekten durch die differenzierte Höhenstaffelung der Baukörper sowie durch deren zueinander versetzte Anordnung.

Die bisher realisierten Bauabschnitte WA1 und WA 2.2 sind nur ein kleiner Teil einer größeren, neuen Siedlung an der Hochäckerstraße in Neu-Perlach. (Bild:GEWOFAG)

Ruhiger im Vergleich zum Lärmschutzriegel erscheint die Gestaltung der im Maßstab kleineren Gebäude in Ost-West-Richtung, deren Baukörper Variabilität vor allem bei der Gebäudehöhe zeigen. Die Südfassaden kennzeichnet eine starke horizontale Orientierung, mit tief in die Wohnungen hineingezogenen Loggien. Die Nordseite akzentuieren abermals farbig abgesetzte Hauseingänge. Diese liegen in Richtung der attraktiven Freiflächen des Quartiers und entlang eines Weges, der alle Zugänge und Spielorte als Treffpunkte der Hausgemeinschaften miteinander verknüpft.

Neben dem Städtebau entwarfen Laux Architekten auch die Architektur der abermals durch die GEWOFAG errichteten, 244 geförderten Wohnungen am westlichen Rand der neuen Siedlung. Einen 215 m langen, unmittelbar an der Autobahn gelegenen Wohnriegel nutzen sie dabei als Lärmschutzbebauung für das Quartier. Der bei einem solchen Großwohnungsbau vorhandenen Gefahr von Monotonie begegnen sie erfolgreich mit der geschossweise versetzen Anordnung der Erker auf der Westseite und der Balkone auf der Ostseite, aber auch verschieden hohen Gebäudeabschnitten. Zusätzliche, angenehme belebende Akzente setzen Laux Architekten durch den gezielten Einsatz von Farbe bei Hauseingängen, Treppenhäusern und Balkonen.

Den Architekten gelang es, der Gefahr von Monotonie durch den Einsatz von Farbe, verschieden hohen Gebäudeabschnitten und der versetzten Anordnung von Balkonen zu begegnen. (Bild:GEWOFAG/Roland Weegen)

Nach innen orientiert
Das letzte, in diesem Beitrag vorgestellte Wohnungsbauprojekt befindet sich auf dem Gelände der einstigen Prinz-Eugen-Kaserne im Münchner Osten. Die von dem Münchner Büro Lang Hugger Rampp entworfene Anlage mit insgesamt 48 Wohnungen wird zur Zeit realisiert und soll im Herbst 2018 fertiggestellt werden. Dieses Bauvorhaben der Progeno Wohnungsgenossenschaft e.G., aber auch weitere wie die Anlage der WOGENO auf dem Gelände Funkkaserne und das bereits erwähnte Projekt der wagnis eG im Domagk-Park beweisen, dass auch im genossenschaftlichen Wohnungsbau in München immer wieder hohe Qualität entsteht.

Den Architekten von Lang Hugger Rampp war es bei der Entwicklung der städtebaulichen Konfiguration auf dem Baufeld WA 10 Ost besonders wichtig, die Außengrenzen im Osten und Süden mittels zweier, längs gestreckter Riegelbaukörper klar zu markieren und damit das Quartier von der Umgebung abzugrenzen. Nach Westen und Norden erscheint die städtebauliche Komposition dagegen durch die Anordnung von Punkthäusern offener und kleinteiliger. Deren freistehende Baukörper ermöglichen eine optimale Belichtung der Wohnungen.

Zwei Riegelbaukörper schirmen die Wohnanlage der Progeno e.G. im Prinz-Eugen-Park nach außen ab, ergänzt durch Punkthäuser. (Bild: Lang Hugger Rampp)

Aufgrund der verschiedenen Formen der Baukörper und ihre unterschiedlichen Abstände ergeben sich abwechslungsreiche Freiräume mit verschiedenen Nutzungsqualitäten. Vor allem der große Hofbereich im Inneren der Anlage soll das Gemeinschaftsgefühl der Mieter fördern und als als zentraler Treffpunkt der Genossenschaftsmitglieder dienen. Der Gemeinschaftshof der ebenfalls im Bau befindlichen Wohnanlage wagnisPark auf dem westlichen Teil des Baufeldes WA 10 schließt an den Hof der Progeno an, sodass insgesamt ein großer, zentraler Hofraum als Frei- und Begegnungsraum entsteht.

Der zentrale Hofbereich soll als Treffpunkt der Genossenschaftsmitglieder fungieren. (Bild: Lang Hugger Rampp)

Entwurfsgebote für mehr Qualität
Architektonische und städtebauliche Qualität im Münchner Wohnungsbau ist möglich. Auch wenn die hier gezeigten Beispiele leider die Ausnahme und nicht die Regel darstellen. Um zukünftig mehr solcher Projekte zu garantieren, stellt Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung «Zwölf Gebote für den Münchner Wohnungsbau» auf, darunter die lange bewährte, traditionelle Raumbildung von «Straße, Baumreihe, Bürgersteig, Läden - und darüber das Wohnen». Auch wenn solche historischen Konzepte schon allein aufgrund veränderter, ökonomischer Rahmenbedingungen nicht einfach Eins zu Eins auf das Heute übertragen werden können, so kann man ihm nur Recht geben. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Einsicht auch bei Planern und Politik durchsetzt.

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