Die urbanen Strategien der Internetkonzerne | Teil 1

Wenn die Downtown dem Onlinehändler gehört

Oliver Pohlisch
13. December 2017
Hier soll der Berliner Google Campus einziehen: das Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer im Stadtteil Kreuzberg (Bild: Gunnar Klack / Wikimedia)

Die großen Internetunternehmen monopolisieren nicht nur den virtuellen Raum, zunehmend prägen sie auch den urbanen. Der Onlinehandel auf Amazon droht in deutschen Mittelzentren, Fußgängerzonen verwaisen zu lassen, in Berlin, Hamburg und München konkurriert Airbnb mit dem Hotelgewerbe und hilft, die Verknappung von Wohnraum weiter zu beschleunigen, während Uber den Sektor der Personenbeförderung kräftig aufmischt. Hinzu kommt, dass Internetunternehmen mit gezielter Standortpolitik direkt in Stadtentwicklungsprozesse zu intervenieren, wie sich gerade in Deutschlands Hauptstadt beobachten lässt.
 
Google etwa will einen Google Campus im Stadtteil Kreuzberg eröffnen. Einen solchen gibt es weltweit schon in sechs anderen Städten. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) verspricht sich von der Ansiedlung, Berlins Stellung als eine der europäischen Start-Up-Hochburgen zu festigen, während Google nicht zuletzt seine Campusse dazu nutzt, Geschäftsideen von Nerds und Hipstern nach erfolgter Tauglichkeitsprüfung fürs eigene Portfolio zu absorbieren. Unter dem Anschein des niedrigschwelligen, informellen Zugangs sucht es deshalb die Nähe der sogenannten Kreativen.

Die Cuvry-Brache im Berliner Stadtteil. Inzwischen sind die Bauarbeiten für den Bürokomplex, in den auch Zalando einziehen wird, in vollem Gange (Bild: Lienhard Schulz via Wikimedia)

Nicht weit vom geplanten Google Campus will der deutsche Amazon-Rivale Zalando einen zweiten Unternehmenssitz etablieren  – ausgerechnet auf der Cuvrybrache, über deren künftige Nutzung jahrelang heftig gestritten wurde. Zalandos neues, noch im Bau befindliches Hauptquartier auf der Friedrichshainer Spreeseite wird nämlich bei seiner Fertigstellung schon wieder zu klein sein, so schnell expandiert die Tochter des Rocket-Imperiums der Samwer-Brüder.
 
Gegen die beiden Projekte regt sich Unmut in einem Stadtteil, dessen Gebäudebestand aufgrund der zentrumsnahen Lage längst im Warenkorb in- wie ausländischer Investoren gelandet ist. Die aus dem Immobilien-Shopping resultierende Verdrängung von einkommensschwächeren Mietern und Kleingewerbe führte zu einer Wiederbelebung urbaner Proteste, die zwar mit dafür sorgen konnten, dass sich die politischen Machtverhältnisse auf der gesamtstädtischen Ebene verschoben haben. Die Gentrifzierung Kreuzbergs und angrenzender Viertel geht aber vorerst munter weiter und Initiativen vor Ort fürchten, dass der Google Campus und der Cuvry Campus mit den Büros von Zalando den Prozess nur noch beschleunigen und dazu die Verkehrswege im Stadtteil über Gebühr belasten werden.

Das neue Apple-Headquarter, der "Infinite Loop", in Cupertino im Silicon Valley während der Bauarbeiten im September 2016 (Bild:Dicklyon via Wikimedia)

Aktivisten mobilisieren für den eigenen Protest mit dem Verweis auf entsprechende Kampagnen in den USA. Was am Spreeufer gerade Fahrt aufnimmt, ist an der Pazifikküste längst zur vollen Entfaltung gelangt, liegt dort doch schließlich das Epizentrum der Internetökonomie. Die Big Player demonstrieren im Silicon Valley auch architektonisch Präsenz  – mit gigantischen Bauten, wie die von Norman Foster entworfene, kreisrunde Apple-Zentrale. Im suburbanen Valley wird zugleich um Verdichtung gerungen, so knapp und unerschwinglich ist dort aufgrund des Internetbooms der Wohnraum selbst für gutverdienende IT-Beschäftigte geworden.
 
Noch unhaltbarer ist aber die Lage in dem von den Silicon-Valley-Arbeitsbienen als Wohnort bevorzugten, benachbarten San Francisco. Verstärkt machen die Internetkonzerne große Filialen in der Stadt auf oder haben sie, wie Uber und Airbnb, gleich ganz zu ihrem Hauptsitz erkoren. Inzwischen erreichen die Grundstücks- und Immobilienpreise das Niveau von Manhattan, das öffentliche Transportsystem droht zu kollabieren, die Einkommensschere zwischen reichen weißen Haushalten und armen Schwarzen ist so hoch wie nirgendwo sonst in den USA und die Straßen sind voll von Obdachlosen. Die Empörung über die städtischen Verhältnisse eskalierte vor einigen Jahren, es kam zu Blockaden der von Google und Facebook eingesetzten Pendlerbusse ins Silicon Valley.

Und wieviel kostet hier die Übernachtung? Atrium des Hauptquartiers von Airbnb in San Francisco (Bild: Dllu via Wikimedia)
Amazon beansprucht immer mehr Platz in der Downtown von Seattle, in 33 Gebäuden hat er mittlerweile seine Büros (Bild: Joe Mabel via By Lienhard Schulz (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons)

An der Pazifikküste weiter nordwärts, in Seattle, belegt der dort ansässige, weltweit größte Onlinehändler Amazon mittlerweile 15 bis 20 Prozent aller innerstädtischen Büroflächen. Keine andere Downtown Nordamerikas wird derart von einem einzigen Konzern dominiert. Kritiker werfen Amazon vor, sich wie ein "soziopathischer Zimmergenosse" zu benehmen: Der Konzern bediene sich der Ressourcen der Stadt, ohne ihr etwas zurückzugeben. Sein Chef Jeff Bezos, kürzlich zum reichsten Mann der Welt gekürt, hatte sich in der Vergangenheit nicht gerade mit philantrophischen Aktivitäten hervorgetan. Stattdessen geriet Amazon immer wieder in die Schlagzeilen wegen unzumutbarer Arbeitsbedingungen, aggressiver Geschäftspraktiken und der Kultivierung eines äußerst hierarchischen Führungsstils.  
 
Auch Seattle hat mit Verkehrsproblemen, Wohnraumknappheit und hoher Obdachlosigkeit zu kämpfen. Um zu vermeiden, dass dort die Negativeffekte das Ausmaß der Wachstumsschmerzen San Francisos erreichen, plant Amazon, seine Expansion in eine zweite Zentrale an einem anderen Standort in den Vereinigten Staaten zu kanalisieren. In einem Wettbewerb bisher ungekannten Ausmaßes haben sich insgesamt 238 Kommunen und Regionen um das sogenannte HQ2 beworben, das 50.000 Arbeitsplätze fassen soll. US-Medien haben recherchiert, dass einige von ihnen Amazon geradezu unlautere Angebote machen: Ausgerechnet lokale Regierungen in der überdehnten Bay Area locken ebenso wie Boston den Onlinehändler damit, dass ihn ein Team öffentlicher Bedienstete sicher durch das komplexe Planungsverfahren navigieren werde. Chicago will das von den Amazon-Mitarbeitern zu erwartende Einkommenssteuervolumen in Höhe von 1,32 Millionen Dollar jährlich gleich wieder an den Konzern zurückzahlen. Das kalifornische Fresno ist bereit, Amazon über die Verwendung der vom Unternehmen geleisteten Steuern und Gebühren mitentscheiden zu lassen. Welche Stadt den Zuschlag erhält, soll im kommenden Jahr entschieden werden.

Other articles in this category