Social Engineering am Neckar

Elias Baumgarten
24. April 2019
Das „Haus am Park“ in Tübingen soll noch in diesem Jahr bezogen werden. (Bild: Yonder Architektur und Design mit SOMAA)
Durchmischung als Integrationsmotor

„Wolle+“, das steht für „Wohnen für alle“. Die Idee dahinter: Soziale und kulturelle Durchmischung innerhalb einer Wohnanlage fördern gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration. Neu ist dieses Konzept nicht – in Singapur etwa wird es als Strategie schon länger mit Erfolg angewandt –, doch findet es sich hierzulande noch in wenigen Projekten implementiert. In Tübingen aber hat Wolle+ nun Gelegenheit zum Praxistest: Die private Baugruppe darf in der württembergischen Stadt ein Grundstück bespielen. Es liegt ostwärts des Zentrums direkt am Neckar. Gesamthaft ist das Gelände groß genug, um zwei Wohnanlagen aufzunehmen. 2016 wurde Wolle+ von einer Kommission aus 40 Bewerbern ausgewählt, eine davon zu entwickeln. 

Die drei unteren Geschosse des „Haus am Park“ sind für Flüchtlinge vorgesehen. Obenauf sollen sich Penthouse-Wohnungen befinden. (Quelle: Yonder mit SOMAA)

In der Anlage sollen Flüchtlinge, Alleinerziehende aber auch wohlhabende Personen wohnen. Das Konzept hierfür entwickelte Gerd Kuhn, bis 2018 Soziologe an der Universität Stuttgart, dessen Forschungsschwerpunkte auf sozialorientiertem Wohnungsbau und Baugenossenschaften lagen. Das Projekt von Wolle+ besteht aus zwei Häusern. Das größere („Haus am Park“) liegt hart an der Werkstraße und hat einen rechteckigen Fußabdruck. Es wurde von den Büros Yonder und SOMAA entworfen. Das zweite, deutlich kleiner und kubisch geformt, wird sich dem Fluss zugewandt dahinter befinden. Für dessen Gestaltung zeichnet der Architekt Simon Maier verantwortlich.

Situationsplan (Quelle: Yonder mit SOMAA)
Micro-Appartements und Penthouse-Wohnungen

Das „Haus am Park“ wird über 12 Wohneinheiten verfügen. Das Budget war klein. Gebaut wird eine robuste Grundstruktur. Die Anzahl tragender Elemente ist auf ein Minimum reduziert. Dies wird spätere Anpassungen im Inneren erleichtern. Vor- und Rücksprünge sollen die Fassade, wie die Visualisierungen zeigen, etwas gliedern. Gegen Süden und Westen sind großzügige Balkone mit Geländern aus Lochblech vorgesehen. Im Erdgeschoss werden sich Micro-Appartements für unbegleitete Jugendliche befinden. Diese werden von den Martin-Bonhoffer-Häusern betreut. In den beiden Wohnetagen darüber sollen ebenfalls Flüchtlinge leben. Die Wohnungsgrundrisse sind dort so geschnitten, dass sie sich besonders für Familien oder Wohngemeinschaften anzubieten scheinen. Für alle drei Ebenen gilt eine Nutzungsbindung von 10 Jahren. Darüber werden sich schließlich feine Penthouse-Wohnungen für Selbstnutzer befinden. 

Clusterwohnungen für Alleinerziehende

Das Gebäude von Simon Maier wird zweigeschossig. Mit ihm soll die soziale Durchmischung der Anlage noch weiter vorangetrieben werden: Im Erdgeschoss wird sich ein „Wohnzimmer für alle“ befinden – ein Gemeinschaftsraum, der den Bewohner*innen der Anlage wie auch des ganzen Quartiers offenstehen soll. Im Obergeschoss ist eine große Clusterwohnung für Alleinerziehende geplant. Sie werden darin in einer Art Wohngemeinschaft leben. So können sie sich so leichter Hand gegenseitig unterstützen.

Grundriss Erdgeschoss des „Haus am Park“ (Quelle: Yonder mit SOMAA)
Grundriss 1. Obergeschoss des „Haus am Park“ (Quelle: Yonder mit SOMAA)
Die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen wird seit 2015 auf der multimedialen Plattform „Architecture for Refugees“ diskutiert. Neu weiten die Initiatoren unter dem Wahlspruch „Architecture is a Human Right“ die Debatte aus. Unterstützt werden sie dabei von World-Architects.

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