Vertrauter Anblick
schaudt architekten
4. September 2024
Der neue Holzbau an der Mole in Radolfzell erinnert an alte Hallenbauten und Speicher. (Foto: Zooey Braun)
An der Mole in Radolfzell haben schaudt architekten ein neues Gastronomie- und Betriebsgebäude für die Bodenseeschiffsbetriebe gebaut. Unter dem großen Hallendach sind künftig auch flexibel anpassbare Grundrisse möglich, wie Tobias Strecker erklärt.
Herr Strecker, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Hafenmole in Radolfzell ist ohne Frage einer der prominentesten Orte der Stadt. Jedes Jahr besuchen Hunderttausenden Menschen die Landzunge am Bodensee, die nach Süden, Osten und Westen von Wasser umgeben ist. Sie trägt wesentlich zum Charakter des touristischen Hotspots Radolfzells bei.
Der weiße Kubus aus Holz ist ein zentrales Element im Innenraum und vereint die wichtigsten Bereiche der Gastronomie. (Foto: Zooey Braun)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?
Der einfache Baukörper evoziert vertraute Erinnerungsbilder an ehemalige Hafen- und Werkshallen, einen Speicher oder eine Markthalle. Gebaut haben wir das rund 43 Meter lange und 12.5 Meter breite Gebäude mit einem geneigten Satteldach in Holzhybridbauweise. Die 17 sichtbaren Holzbinder prägen die Gestalt des Gebäudes. Mit den zusätzlichen Schrägstützen im Außenbereich, die als Zugstäbe des Tragwerks fungieren, entsteht so ein Holzhaus, das auf das Wesentliche reduziert ist und einen hohen Wiedererkennungswert hat. Durch das Satteldach und die Fassade aus Glas und Holz fügt sich das schlanke, längliche Gebäude so optimal neben der denkmalgeschützten Platanenallee ein.
Im Jahr 2018 fand ein geladener Wettbewerb mit fünf teilnehmenden Büros statt, aus dem wir und ein weiteres Team als Sieger hervorgingen. Nach anschließender Überarbeitung und einem Verhandlungsverfahren ging der Auftrag schließlich an uns.
Der Neubau tritt hinter den denkmalgeschützten Platanen zurück. (Foto: Zooey Braun)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?
Von Anfang an klar war für uns, dass an dieser prominenten Stelle ein nachhaltiger Holzbau realisiert werden soll. Im Laufe der Planungen haben wir zusammen mit der Bauherrschaft und dem Planungsteam immer wieder überlegt, wie wir aufgrund des knappen Budgets und der komplexen Lage möglichst einfach und kosteneffizient bauen können. So konnten wir das Gebäude durch Bauteilaktivierung und Reduzierung des Verglasungsanteils komplett ohne zusätzlichen Sonnenschutz planen. Zudem wurden mehrere Grundrissoptimierungen vorgenommen, um auf dem sehr schmalen Baustreifen einerseits auf der Westseite die denkmalgeschützten Platanen zu schonen und andererseits auf der Ostseite einen breiten Geh- und Fahrstreifen an der Hafenmole freizuhalten.
Das Gebäude ist lang und schmal. So werden die Platanen geschützt und auf der gegenüberliegenden Seite bleibt ein breiter Geh- und Fahrsteifen frei. (Foto: Zooey Braun)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?
Das grundsätzliche Raumprogramm wurde bereits mit dem Wettbewerb festgelegt. Regelmäßig gab es zusätzlich während der Planungsphase verschiedene Abstimmungstermine mit der Bauherrschaft und den heutigen Nutzern der Gastronomie sowie der Bodenseeschiffsbetriebe. So konnten deren Belange im Projekt integriert werden. Die flexible Struktur des Entwurfs mit von Außenwand zu Außenwand freitragenden Holzbindern erlaubt zudem, künftige Wünsche ohne große Änderungen zu erfüllen.
Im Wettbewerb war unser Entwurf noch deutlich größer und luftiger. Während des Planungsprozesses wurde vor allem hinsichtlich der Flächen optimiert und reduziert. Außerdem wurden größere Teile der zuerst verglasten Fassaden geschlossen, um das Budget so gut es geht halten zu können. Problematisch war hierbei vor allem der enorm gestiegene Holzpreis während der Corona-Pandemie.
Blick von Süden auf den Neubau (Foto: Zooey Braun)
Inwiefern haben Sie im Projekt die Verwendung von Naturbaustoffen und zirkulären Baustoffen angestrebt?
Von Anfang an wurde die Verwendung von Holz im Projekt aus dem Entwurfskonzept heraus forciert. Der Holzbau war für uns und die Bauherrschaft immer gesetzt. Bei manchen Themen wie dem umlaufenden Holzbelag im Außenraum musste die Auftraggeberschaft zunächst überzeugt werden, trug unsere Entwurfsentscheidungen dann aber stets mit.
Blick von der Galerie (Foto: Zooey Braun)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?
Wir haben Holz aus der nahen Umgebung, also zum Beispiel aus dem Schwarzwald, verwendet. So konnten wir mit dem Gebäude einen wesentlichen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz leisten. Dazu haben wir für das Projekt eine Holz-Innovativ-Förderung des Landes Baden-Württemberg erhalten.
Foto: Zooey Braun
Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?
Zirkuläres und nachhaltiges Bauen spielen in unserem Büro mittlerweile bei allen Projekten eine riesige Rolle. Die meisten unserer Bauten werden inzwischen mit einer Nachhaltigkeitszertifizierung geplant und errichtet. Dazu arbeiten wir von Anfang an zusammen mit dem Planungsteam an Optimierungen – ein Prozess, der bis zur Umsetzung auf der Baustelle andauert. Viele unserer Bauherrschaften, vor allem die öffentlichen Bauherren, tragen diesen Gedanken unterdessen mit.
Bei der Planung der Mole haben wir konsequent auf die Wirtschaftlichkeit geachtet. Durch das gewählte Holztragwerk entsteht zunächst eine maximal flexible »Halle«. Unter ihrem Dach sind auch in der Zukunft flexibel anpassbare Grundrisse möglich. So kann auf eine sich verändernde Ausrichtung des Gebäudes zeitgemäß reagiert werden. Da der Innenraum bis auf wenige tragende Stahlbetonstützen aus nichttragenden Wänden besteht, sind Anpassungen des Grundrisses wie gesagt mit einfachen Mitteln jederzeit möglich.
Situation (© schaudt architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© schaudt architekten)
Grundriss Obergeschoss (© schaudt architekten)
Längsschnitt (© schaudt architekten)
Nordansicht (© schaudt architekten)
2023
Karl-Wolf-Straße 5
78315 Radolfzell am Bodensee
Nutzung
Gastronomie, Ticket- und Informationsbereich BHG
Auftragsart
Wettbewerb 2018, 1. Preis
Bauherrschaft
BHG Bodenseehafengesellschaft mbH, Konstanz
Architektur
schaudt architekten bda, Konstanz
Fachplaner
Tragwerksplanung: merz kley partner GmbH, Dornbirn
Freianlagenplanung: Planstatt Senner GmbH, Überlingen
TGA HLS: Ingenieurbüro Lange, Moos
TGA ELT: Neher Butz Ingenieurbüro für Gebäudetechnik GmbH, Konstanz
Lichtplanung: Stromlinie +, Konstanz
Bauphysik: Hüttinger Ingenieurgesellschaft für Bauphysik mbH, Lehrensteinsfeld
Brandschutzplanung: Geopro GmbH Beratende Geologen und Ingenieure, Stockach
Küchenplanung: KDREI Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Berlin
PV-Anlagen-Planung: Energieservice Stadtwerke Konstanz GmbH, Konstanz
Ausführende Firmen
Rohbau: Böhler & Brutscher GmbH, Radolfzell
Holzbau: Kaspar Holzbau GmbH, Gutach
Schreinerarbeiten: Homburger Möbelwerkstätte, Hilzingen
Schreiner Innenausbau: Widmann GmbH, Donaueschingen
Schlosser: Metallbau Engelmann, Moos
Innentüren: Schreinerei Bucher GmbH & Co. KG, Owingen
Elektroarbeiten: Hofmann Elektrotechnik, Krauchenwies
Heizung/Sanitär: Braik GmbH, Hilzingen
Lüftung: Honer Lufttechnische Anlagen GmbH & Co. KG, Spaichingen
Aufzug: Kone GmbH, Markdorf
Trockenbau: Scheideck GmbH, Konstanz
Maler: Maler und Lackiermeister Stöcks, Konstanz
Estrich: Ernst-Werner Meschenmoser, Salem
Fliesen: A. Ziganke, Hilzingen
Küche: HoGaKa Profi GmbH, Weingarten
Spengler: Fa. Martin Schäuble, Radolfzell
Schlosser: Fa. Metallbau Engelmann, Moos-Weiler
WC-Trennwände: Fa. Kemmlit, Dusslingen
Hersteller
Bodenbelag: Creafloor® Design Sichtestrich; Ernst-Werner Meschenmoser Fussbodentechnik
Rollladen/Jalousien/Sonnenschutz: Holzlamellenschirm, Kaspar Holzbau GmbH
Akustikdecken: Echtholz-Akustikpaneel Weistanne; Lignotrend GmbH
Beleuchtung: M1; Viabizzuno srl., p.forty; Planlicht GmbH & Co. KG,
Trennwandsysteme: Primo F; Kemmlit Bauelemente GmbH
Beschläge: FSB 1067; Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG
Sanitärkeramik: Vero Air, Me by Starck; Duravit Aktiengesellschaft
Armaturen: Plan blue; Keuco Gmbh & co. KG
Lichtschalter: Jung LS 990; Albrecht Jung GmbH & Co. KG
Bruttogeschossfläche
944 m²
Gebäudevolumen
1.900 m³
Gesamtkosten
k.A.
Fotos
Zooey Braun, Stuttgart