Hafenschule

Waechter + Waechter
5. September 2018
Foto: Thilo Ross
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Neubau der vierzügigen Grundschule und der Kindertagesstätte liegt auf der Konversionsfläche des ehemaligen Offenbacher Hafenviertels direkt am alten Hafenbecken. ​Die Bauaufgabe eines kindgerechten Hauses war mit der städtischen Lage, dem sehr begrenzten Grundstück und der Vorgaben des Bebauungsplans nach einer für eine Grundschule ungewöhnlichen fünfgeschossigen Raumkante an einer stark befahrenen Straße in Einklang zu bringen.

Foto: Thilo Ross
Foto: Thilo Ross
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Wie ein Schutzgürtel umschließen Grundschule, Kindergarten und Sporthalle einen großen Hof, der als grüne Mitte das Zentrum der beiden Einrichtungen bildet und als Spiel- und Lernbereich genutzt wird. Der Fachklassentrakt und die übereinander angeordneten Sporthallen bilden die städtebaulich gewünschte kraftvolle fünfgeschossige Raumkante zur Hafenallee. Der Eingang zum neuen Quartier wird mit der Sporthalle auf der Ecke besonders markiert. Die Klassen- und Gruppentrakte der Grundschule und der Kindertagesstätte fahren zweigeschossig die zum Wasser orientierten Blockkanten nach, sodass auch der neue Quartiersplatz am Hafenbecken mit einer Platzwand einen eindeutigen Abschluss findet.

Die Unterrichts- und Gruppenräume orientieren sich zum Innenhof – aus den wechselnden Nutzungsbereichen entsteht eine ‚weiche’, feingliedrige und klein-maßstäbliche Struktur mit einzelnen, sehr gut ablesbaren ‚Klassenhäusern’. Zur optimalen natürlichen Belichtung der kompletten Raumtiefe, d.h. aller Schülerarbeitsplätze sind die Klassenräume zweiseitig in den ruhigen Innenhof belichtet. Idealtypisch sind zwischen zwei Klassenräumen jeweils die Gruppenräume angeordnet. Die ringförmige Wegführung ermöglicht eine einfache und übersichtliche Orientierung. In den Wegering eingestreut sind zweiläufige Treppen die einen direkten Zugang in bzw. aus dem Freibereich ermöglichen.

Analog zu den ‚Klassenhäusern’ umschließen die jeweils beidseitig belichteten Gruppenräume der Kindertagesstätte den ruhigen Innenhof. Zwischen den Gruppenräumen liegen die Intensivräume. Die räumliche Zonierung und Ausgestaltung ermöglicht sowohl Transparenz und Offenheit aber auch Rückzug. Den ebenerdigen Krippenräumen sind jeweils eigene Terrassen und Gartenräume zum Spielen zugeordnet. Für jede Gruppe sind im Eingangsbereich der Gruppenräume die erforderlichen Nassbereiche vorgesehen. Davor liegen die Garderobenbereiche – die Erschließung ist mit schönem Blick nach außen als vielgestaltiger Spielflur konzipiert.

Die Gemeinschaftsbereiche mit den von beiden Einrichtungen zu nutzenden Räumen (Cafeteria, Mehrzweckraum, Bibliothek) sind zentral in der Hofmitte in einem eingestellten Riegel angeordnet, der zugleich die Freibereiche der Einrichtungen trennt, sodass gegenseitige Störungen ausgeschlossen werden können. Die offene Konzeption dieser Bereiche ermöglicht vielfältige kreative Aktivitäten, wobei die Hofflächen durch die großen Öffnungen in die Nutzung eingebunden werden können. Die Spielfelder der Sporthalle sind übereinander angeordnet und können durch die Lage der Treppenhäuser auch separat für die Nutzung durch Vereine erschlossen werden.

Foto: Thilo Ross
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Klassenhäuser werden durch eine ringförmige, promenadenartige Schulstraße zusammengebunden und erschlossen, den Zauber des Wassers, des nahen Mains immer im Blick. Rücksprünge, Aufweitungen vor den Klassenräumen dienen als gut nutzbare Garderobenbereiche. Der räumliche Wechsel zwischen Enge und Weite wird durch den Wechsel der geschlossenen und transparenten Fassadenflächen unterstrichen, so dass ein vielfach gegliederter, räumlich abwechslungsreicher, lichtdurchfluteter Flur mit Sitz- und Spielbereichen, Lufträumen etc. als kommunikative Erschließungsfläche entsteht. Die ringförmige Wegeführung ermöglicht kurze Wege und eine einfache und übersichtliche Orientierung.

Die neue Hafenschule liegt an der Schnittstelle zwischen dem gründerzeitlichen Nordend, einem Arbeiterviertel mit hohem Migrationsanteil und dem Konversionsgelände des ehemaligen Hafens, das als modernes gemischtes Quartier viele junge Familien aus der Region, auch aus Frankfurt, anzieht. An diesem Ort spielen und lernen die Kinder der beiden Quartiere gemeinsam.

Foto: Thilo Ross
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Der klassische Frontalunterricht wird den heutigen Anforderungen einer immer vielfältigeren, bunteren Gesellschaft mit unterschiedlichsten Biographien und geänderten Familien- und Erwerbsstrukturen nicht gerecht. Erforderlich sind Unterrichtskonzepte, die die Lerngeschwindigkeit und den Hintergrund des Einzelnen berücksichtigen. Auch pädagogisch vielfältig nutzbare, mehrdimensionale Lernzonen, die das Lernen der Kindern über den Tag unterstützen, helfen die Augen für die Vielfältigkeit der Welt zu öffnen und das Suchen und Reflektieren, das Neugierige, fördern. Bei aller Offenheit werden jedoch immer auch Rückzugsorte benötigt, die Schutz, Geborgenheit und Orientierung bieten.
Diese Balance, im Zusammenhang mit der städtebaulichen Einbindung und Dialog mit der Umgebung, dem Anspruch an die Barrierefreiheit und den selbstverständlichen technischen Voraussetzungen, wie einem guten Raumklima zur Förderung der Konzentration und einer die Sprachverständlichkeit unterstützenden Akustik, sind Herausforderungen, die den Bildungsbau in seiner gesellschaftlichen Relevanz aktuell überaus spannend machen.

Foto: Thilo Ross
Foto: Thilo Ross
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Durch die zurückhaltende, der Bauaufgabe angemessene zeitlose Architektursprache fügt sich der Baukörper sehr gut in den heterogenen Kontext mit dem gründerzeitlich geprägten Nordend und dem neuen Hafenviertel ein. Das massive Sichtmauerwerk aus kleinformatigen, hellen, farblich changierenden hellbeigen Wasserstrichziegel unterstreicht im Kontrast zu den großformatigen Holz-Alu-Pfosten-Riegelkonstruktionen den gewünschten urbanen Charakter. Zusammen mit den je nach Sonnenstand schlammgrün bis golden schimmernden Fassadenblechen, dem türkisblauen Linoleum-Fußboden im Inneren und den in Sichtbeton ausgebildeten Wandflächen der Flure entsteht so ein identitätsstiftender Farbklang.

Lageplan (Zeichnung: Waechter + Waechter Architekten)
Grundriss Obergeschoss (Zeichnung: Waechter + Waechter Architekten)
Schnitt 1-1 (Zeichnung: Waechter + Waechter Architekten)
Schnitt 2-2 (Zeichnung: Waechter + Waechter Architekten)
Hafenschule Offenbach
2017
Hafenallee 15
63067 Offenbach am Main

Nutzung
Vierzügige Grundschule und neungruppige Kindertagesstätte mit 2 Sporthallen

Auftragsart
Neubau

Bauherrschaft
Stadt Offenbach, Stadtplanung, Verkehrs- u. Baumanagement
Bereich Hochbaumanagement, Offenbach am Main

Architektur
Waechter + Waechter Architekten BDA, Darmstadt
Prof. Felix Waechter und Sibylle Waechter
Projektleitung: Leander Otto
Mitarbeit: Ella Beinhofer, Esther Ferreira Lopes, Michael Kohaus, Karina Koch, Bettina Strößinger, Kathrin Sattler

Fachplaner
Landschaftsarchitektur: foundation 5+ landschaftsarchitekten bdla, Kassel
LP 6-9: foundation 5+ landschaftsarchitekten bdla mit Latz Riehl Partner, Kassel
Projektsteuerung: OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft mbH, Offenbach am Main
Objektüberwachung: Architekturbüro Werner Faust, Münster
Bauphysik: Müller-BBM GmbH, Planegg
Tragwerksplanung: Mathes Beratende Ingenieure GmbH, Chemnitz
Elektrotechnik: CSZ Ingenieurconsult Cornelius - Schwarz - Zeitler GmbH, Darmstadt
HLS: CSZ Ingenieurconsult Cornelius - Schwarz - Zeitler GmbH, Darmstadt
Brandschutz: IBC Ingenieurbau-Consult GmbH, Mainz

Ausführende Firmen
Rohbau: Fa. Schick, Bad Kissingen u. Meiningen
Sichtmauerwerk: Fa. L&S Verblend GmbH, Rhede
Dach: Fuss & Gartenschläger Flachdachbau GmbH, Mainleus
Fenster: Seufert - Niklaus GmbH, Bastheim
Trockenbau: Fa. Lehmann, Offenbach
Schreinerarbeiten: Schreinerei Peters GmbH & Co.KG, Sohren
Aufzug: Bohne GmbH, Biedenkopf-Wallau

Hersteller
Ziegel: Fa. Deppe
Abgehängte Decken: Holzwolle-Leichtbauplatten, Fa. Troldtekt
Fußböden: Linoleum, Fa. Forbo, Werkstein Fa. Agglotech Betonwerkstein GmbH

Energiestandard
(EnEV 2012 -30%)

Bruttogeschossfläche
10.748 m²

Gebäudevolumen
45.794 m³

Gesamtkosten
26.600.000 €

Auszeichnungen
BDA Hessen, Martin-Elsaesser-Plakette 2018
DAM Preis für Architektur in Deutschland 2019, Nominierung
Architekturpreis Farbe Struktur Oberfläche 2018 - AIT/Caparol, Nominierung

Fotos
Thilo Ross

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