Inklusion und Atmosphäre

Autor:
Peter Petz | Podest
Veröffentlicht am
Dez. 5, 2012

Sacker Architekten gewinnen den Wettbewerb Neubau sozialpädagogisches Wohnheim in Karlsruhe. Detlef Sacker stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Lageplan 
Ein Wohnheim zu konzipieren, in dem Inklusion als pädagogischer Ansatz vorgesehen ist, ist eine spezielle Aufgabenstellung. Worin lag die Herausforderung des Wettbewerbs?
Die Thematik eines Wohnheims für mehrfach Schwerstbehinderte war für uns eine ganz besondere Herausforderung, der wir uns zum ersten Mal stellten. Die Heimbewohner tragen das Schicksal, Rundum-Betreuung zu brauchen, sie können nur im Rollstuhl bewegt oder im Liegen gepflegt werden. Im Wohnheim verbringen die Bewohner meist ihr ganzes Leben, das Gebäude ist somit der Mittelpunkt ihres Lebens, das trotz Behinderung möglichst normal mit geregeltem Tagesablauf ermöglicht werden soll. Wir standen somit vor der Aufgabe, uns in die Lebenslage der Schwerstbehinderten einzufühlen. Ein Wohnheim zu entwerfen, das funktional alle Belange von mehrfach schwerstbehinderten Personen berücksichtigt und durch die Gestaltung eine angenehm wohnliche Atmosphäre hervorruft – das war die Prämisse unseres Entwurfs. Sich Wohlfühlen im eigenen Zuhause, dieser Leitgedanke begleitete uns durch den gesamten Entwurfsprozess.
Exklusion, Separation, Integration, Inklusion 
Inklusion bedeutet die Gleichwertigkeit eines Individuums, ohne dass Normalität vorausgesetzt wird. In diesem Sinne ist vielmehr eine Vielfalt, beziehungsweise das Vorhandensein von Unterschieden als "normal" zu bezeichnen. Die Gesellschaft akzeptiert Personen mit Besonderheiten und setzt auf die Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls dieser Personengruppen. An diesem Grundsatz orientiert sich auch die Architektur des Wohnheims.
Ansichten Kußmaul- und Nancy-Straße 
Wie reagiert der Entwurf auf das städtebauliche Umfeld?
Das vorliegende Grundstück war eigentlich viel zu klein, um alle Forderungen des Bauherren adäquat umzusetzen – unter anderem neben dem eigentlichen Wohnheim mit vorgegebenem Flächenprogramm auch eine großzügige Gartenfläche sowie ausreichend ebenerdige Stellplatzflächen. Mit der für solch ein Wohnheim eher ungewöhnlichen Gebäudestruktur  – ein langer, schmaler Baukörper – gleicht sich das Bauwerk nicht nur an die Grundstücksform an, sondern bildet auch eine klare städtebauliche Kante zur Kussmaulstraße hin. Das durchgesteckte Foyer ermöglicht die Erschließung von zwei Seiten. Kubatur und Geschossigkeit sind angelehnt an die Nachbargebäude, sodass sich der Neubau harmonisch in das städtebauliche Umfeld einfügt. Die schmale Formgebung lässt außerdem genügend Freiraum für den Gartenhof auf dem kleinen Grundstück. Dabei stellt die Gestaltung des Gartenhofs alle Sinne der Schwerstbehinderten in den Mittelpunkt. Ausgehend von einer freien Mitte führt ein Rundweg durch verschiedene Zonen mit abwechslungsreichen Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten – vom Wackelschaf bis hin zum Rollstuhlkarussell.
Erdgeschoss und 1. Obergeschoss 
Welche Besonderheiten zeichnen die Grundrisse aus?
Unser Entwurf macht eine Abfolge von gemeinschaftlichen Aufenthaltsräumen zum zentralen Element, die die Begegnung der Bewohner untereinander fördern. Um diese Aufenthaltsbereiche, jeweils mit anschließender Loggia, gruppieren sich die Einzelzimmer für die Bewohner. Als stringente Vorgabe gilt ein Flächenprogramm von 48 qm/Wohnheimplatz (bezogen auf die Nettogrundrissfläche). Die Ermöglichung dieses Raumprogramms war nur bei äußerster Minimierung der Verkehrsflächen möglich – erreicht über die Gruppierungen der Einzelzimmer um die Gemeinschaftsbereiche.
Die Nutzungen sind je Geschoss verschieden. Im Erdgeschoss befindet sich die Kurzzeitpflege für Behinderte, die nur tage- oder wochenweise ins Heim kommen. Außerdem sind hier Küche und Wäscherei angeordnet. Im 1. Obergeschoss liegen die interne und externe Verwaltung sowie Flächen für die Erwachsenengruppen. In den darüber liegenden Geschossen sind Räumlichkeiten vorgesehen für jeweils eine Kinder- und eine Erwachsenengruppe. Das oberste Geschoss ist fünf barrierefreien Wohnungen vorbehalten. Auch hier gruppieren sich die einzelnen Zimmer um einen Aufenthaltsbereich mit angrenzender Loggia und ermöglichen so Blickbeziehungen in fast alle Räume. 
2. und 3. Obergeschoss, Dachgeschoss 
Ansicht Gartenseite und Schnitt 
Welche Materialistrategie schlagen Sie vor?
Deutlich ablesbar ist der Inklusionsgedanke über eine einheitliche Materialität der Fassade. Zur Straße hin präsentiert sich der Baukörper offen mit lebhaft angeordneten, großzügigen Fensterformaten. Die Gartenansicht stellt durch eine klare Gliederung den Bezug auf die einzelnen Zimmer her. Im Obergeschoss verleihen die auffallenden Einschnitte dem Baukörper Tiefe und Plastizität. Bei der Materialwahl stehen die Kriterien Langlebigkeit und Pflegeleichtigkeit im Fokus, sowohl für außen als auch für innen. Wartungsarm ist die gewählte Fassade aus Faserzementplatten und horizontalen faserbewehrten Betonfertigteilen. Ein textiler Sonnenschutz gewährleistet den sommerlichen Wärmeschutz, sorgt aber gleichzeitig auch für den Wohlfühlcharakter in wohnlicher Atmosphäre.
Detail 
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Derzeit sind Fördergelder für die Realisierung des Bauwerks beantragt. Ein definitiver Fertigstellungstermin liegt von daher zur Zeit noch nicht fest.
Modell (Foto: Kaupp + Franck Architetken GmbH, Mannheim) 

Die komplette Wettbewerbsdokumentation finden Sie in
wa 12/2012
Neubau sozialpädagogisches Wohnheim in Karlsruhe
Begrenzt offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren

Jury
Prof. Peter Cheret, Vors.
Prof. Gerd Gassmann
Georg Gerardi
Peter Krebs
Jutta Schürmann

1. Preis
Sacker Architekten
Freiburg
L.Arch.: Jochen Dittus
Freiburg

2. Preis
Planfabrik SPS
Ettlingen

3. Preis
Arcass
Stuttgart

4. Preis
bogevischs buero
München