Es geht voran

Autor:
sh
Veröffentlicht am
Juni 29, 2011

Dass (bau-) kulturelle Bildung ein fester Teil des Stundenplans an deutschen Schulen werden muss, darüber sind sich mittlerweile alle einig. Doch wie das genau geschehen kann und wie sie sich im Curriculum fest verankern lässt – nicht nur als freiwilliges Nachmittagsangebot –, ist oftmals noch unklar. Deshalb widmete sich der fünfte Kongress "Kinder zum Olymp!" diesem Thema.
 
Das Gartenreich in Dessau-Wörlitz, das Bauhaus in Dessau-Roßlau und das Anhaltische Theater im Zentrum der Stadt bildeten den geeigneten Rahmen für den fünften Kongress "Kinder zum Olymp!". Denn er stand in diesem Jahr unter dem Motto "Selbstverständlich! Kulturelle Bildung in der Schule". So konnten sich die mehr als 500 Teilnehmer nicht nur darüber unterhalten, sondern selbst Kultur und Architektur erleben. Erfreulicherweise ging es auch in den Vorträgen, Foren und Podiumsdiskussionen nicht nur um Bildende Kunst, Tanz und Musik, sondern vielfach ebenso um Architektur, Baugeschichte und Städtebau.
 
Ein Zukunftsautomat: Das Bauhaus in Dessau
Auf eine ganz ungewöhnliche Weise haben sich die Kinder, die an der Kinderoper "Oskar und die Groschenbande" mitwirken, mit einem kleinen Auszug aus der Geschichte des Bauhauses befasst. Denn der kleine Junge Oskar besingt in einem Lied seine Heimatstadt Dessau und eben auch das ungewöhnlich erscheinende Gebäude sowie die fremdartigen Dinge, die dort vor sich gehen:

DIE STADT
Meine Herren, meine Stadt,
Die wirkt von außen klein,
Doch bist du bald vor Staunen platt,
Schaust du in sie hinein.
Auf freiem Feld steht da ein Haus
Aus Glas, Beton und Stahl.
Bei Nacht geht dort ein Leuchten aus
Wie von 'nem Bergkristall.

Da tragen Frauen kurzes Haar
Und Maler mal'n abstrakt.
Die Feste, die sind sonderbar
Und baden geh'n sie nackt.
Das Bauhaus ist ein Bürgerschreck,
Aus Dreieck, Kreis, Quadrat,
Ein rotgelbblauer Schönheitsfleck,
Ein Zukunftsautomat.
...

Man mag nun einwenden, dass der Schüler, der Oskar verkörpert, diesen Text ja nur auswendig zu lernen braucht, die anderen ihn gar nur hören. Doch es wird wohl niemand – auch kein Kind – sich etwas einfach nur merken ohne darüber nachzudenken. Außerdem ist das Projekt so angelegt, dass sich die Kinder über die Probenarbeit hinaus mit dem Stück auseinandersetzen. Insgesamt 50 Kinder und Jugendliche stehen auf der Bühne oder tragen als Musiker ihren Teil zum Gelingen bei. Weitere 40 Schüler aus verschiedenen Schulen Dessaus und der Umgebung erarbeiten eine Werkeinführung, gestalten Werbemittel, erstellen das Programmheft und kreieren das Bühnenbild. Die Kinder und Jugendlichen lernen also spielend, oftmals unterbewusst viel über die Geschichte ihrer Stadt.
 
Forschendes Lernen: Die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses
Während eines Forums am Nachmittag des ersten Kongresstags stellte Tobias Kuster, Geschichtslehrer am Willi-Graf-Gymnasium in Berlin, das Projekt "Stadtschloss.Forscher!" vor. In dessen Rahmen haben sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren 31 Schüler der Jahrgangsstufen 7 bis 9, drei ihrer Lehrer und die Erziehungswissenschaftlerin und Architekturhistorikerin Jessica Waldera von den Kleinen Baumeistern intensiv mit dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses beschäftigt. Gefördert und finanziell unterstützt durch das Programm "Kultur.Forscher!", das von der PwC-Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung ins Leben gerufen worden ist, haben sie geforscht und recherchiert, Interviews geführt (u.a. mit Franco Stella und Regula Lüscher), eine eigene Internetseite kreiert und mit vielen sehr interessanten Inhalten bestückt und über die historische Bedeutung und Relevanz von Gebäuden und städtebaulichen Ensembles diskutiert. Sie sind nach Dresden gefahren, um dort die wiederaufgebaute Frauenkirche unter die Lupe zu nehmen und sich zu überlegen, wo die Unterschiede zum Stadtschloss liegen. Sie haben dem Deutschen Requiem von Brahms gelauscht, das im Rahmen einer Benefizveranstaltung für den Wiederaufbau aufgeführt worden ist und sie haben sich im Laufe dieses intensiven Prozesses eine Meinung zur Rekonstruktion des Stadtschlosses gebildet. Denn – und das ist besonders wichtig – das Projekt war ergebnisoffen, die Kinder sollten lernen, Position zu beziehen, und nicht für das Projekt "Stadtschloss" vereinnahmt werden. Als besonderer Erfolg darf am Ende des Förderzeitraums verbucht werden, dass es den Beteiligten gelungen ist, das Thema Baukultur in das Wahlpflichtfach "Gesellschaftswissenschaften" zu integrieren. Die Schüler der achten Klassen können ab dem kommenden Schuljahr – sofern sie denn wollen – Industriedenkmäler des 19. Jahrhunderts in Berlin erkunden und daran hautnah (Bau-) Geschichte lernen. Dass auf diese Weise ein Vielfaches mehr im Gedächtnis bleibt als bei "gewöhnlichem" Frontalunterricht, darüber wird es wohl keine Diskussionen geben. Und während der drei dafür im Lehrplan vorgesehenen Wochenstunden bleibt genügend Zeit, sich intensiv damit zu beschäftigen.
 
Ein Haus für Architektur, Stadt und Umwelt
Ebenfalls vor mehr als zwei Jahren wurde den Naumburger Bürgern ein Konzept präsentiert, das ihnen Wissen zur gebauten Umwelt auf verschiedenen Wegen nahebringen soll: das Naumburger Architektur- und Umwelthaus. Die Idee dazu hatten die Mitglieder des 2003 gegründeten Naumburger Bürgervereins und die des Umweltladen e.V. Als dritter Partner sitzt die Lebenshilfe mit im Boot, die auf dem benachbarten Grundstück sechs barrierefreie Wohnungen für Menschen mit und ohne Behinderung errichten wird.
Das Engagement in Sachen baukultureller Bildung reicht in Naumburg allerdings schon weiter zurück. Bereits mit dem Schuljahr 2006/2007 startete ein Programm, bei dem fünf Architekten und Ingenieure, ein Denkmalpfleger und zwei Kunstlehrerinnen am Naumburger Domgymnasium Schulprojekte zu Themen wie Architektur, Gestaltung und Städtebau initiiert haben. Ge- und bestärkt durch die Internationale Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt, die in Naumburg unter dem Motto "Stadt-Bildung: Bürger bilden Städte – Städte bilden Bürger" gestanden hat, soll das im Laufe der Jahre entstandene Netzwerk durch das Architektur- und Umwelthaus nun gefestigt und weiter ausgebaut werden. Hinter alledem steckt der Gedanke, dass die Bürger und gerade auch die jungen Menschen, die bis heute den ostdeutschen Bundesländern oftmals den Rücken kehren, sich mit ihrer Stadt dann stärker verbunden fühlen, wenn sie dank eines baukulturellen Basiswissens die Zusammenhänge verstehen und auch selbst Verantwortung übernehmen können.
Das Gebäude, das die Stadt für das Architektur- und Umwelthaus gekauft hat, scheint dafür bestens geeignet. Denn das barocke Stadtpalais hat eine lange Geschichte und die Bürger können in den kommenden Monaten selbst erleben, wie die Ruine in einen nutzbaren Raum verwandelt wird. Ab dem Sommer 2012 soll es dann mit Schulprojekten, Vorträgen, Diskussionen, Filmvorführungen und Ausstellungen dafür sorgen, dass es zu einem überregionalen Ort in Sachen baukultureller Bildung wird.

All diese Projekte – im Rahmen des Kongresses waren es noch einige mehr – machen Mut, dass gerade auch Wissen zu architekturrelevanten Themen verstärkt Einzug in den Alltag von Kindern und Jugendlichen in diesem Land hält. Weiter so! sh
Weitere Informationen
zum Kongress und der Bildungsinitiative "Kinder zum Olymp!"

Der Kongress "Kinder zum Olymp!" wurde 2011 bereits zum fünften Mal veranstaltet. Nach der Premiere 2004 in Leipzig fanden die nächsten in Hamburg (2005), Saarbrücken (2007) und München (2009) statt. Die Initiative wurde bereits im Herbst 2003 von der Kulturstiftung der Länder gestartet, um Hautverantwortliche aus den Bereichen Kultur und Bildung von Neuem für das Thema der Kulturvermittlung zu sensibilisieren

zur Kinderoper "Oskar und die Groschenbande"
Dieses Stück erzählt die Geschichte des Jungen Oskar, der sich von Dessau mit dem Zug auf den Weg nach Berlin zum Schulausflug seiner Klasse macht. Da er krank war, konnte er leider nicht gemeinsam mit allen reisen. Unterwegs liest er ein spannendes Buch und träumt sich dabei in die 1920er Jahre zurück. Als erstes begegnet ihm eine Bande von Waisen und Obdachlosen, die von einem Kleinkriminellen auf Diebestour geschickt werden. Doch Oskar gelingt es, die Kinder aus dieser Abhängigkeit zu befreien.

Die Kongressteilnehmer durften am Abend des ersten Tages einer gekürzten Fassung dieser Kinderoper lauschen, eine erste komplette Voraufführung wird noch in diesem Jahr, am 10.9. im Großen Haus des Anhaltischen Theaters Dessau zu hören und zu sehen sein. Premiere und Uraufführung sind dann am 10.4.2012 am gleichen Ort.

Musikalische Leitung: Stefan Neubert
Inszenierung: Silke Wallstein
und viele weitere Beteiligte