Depperte und der Townhousehimmel

Autor:
ch
Veröffentlicht am
Feb. 15, 2012

Sie ist das Leitbild der Stadtentwicklung der letzten Jahre – die "kreative Stadt". Unter diesem Begriff versuchen sich seit Jahren Städte im Wettbewerb zu positionieren und zu behaupten. Über sie wurde zuletzt in Stuttgart und Offenbach diskutiert. Es könnte sein, dass die Konjunktur der "kreativen Stadt" ihren Höhepunkt erreicht, weil man zuviel unter ihm subsumieren wollte.
 
Seit einigen Jahren bemühen sich vor allem Großstädte mehr oder weniger erfolgreich um die "kreative Klasse". Von ihr meint man, dass sie Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität sei. Zentren der Subkultur werden erhalten und gepflegt, Kultur als weicher Standortfaktor gefördert. Jüngst wurde wieder zu zwei Tagungen über die "kreative Stadt" geladen. Die eine in Stuttgart hatte den bemerkenswerten Zusatz "Eine Bilanz"; die andere in Offenbach fragte: "Marketingzauber oder Entwicklungsressource?" Beide Tagungen, mit einem Mix aus Grundsatzreferaten und Berichten aus verschiedenen Städten, zeigen, dass man kritisch mit dem umgehen will, was unter dem Label der kreativen Stadt geschieht – unausgesprochen auch, dass der Höhepunkt der politischen Aufmerksamkeit für die Kreativen (wer auch immer das genau sein mag) überschritten sein könnte. In Offenbach leitete aufschlussreich Klaus Ronneberger die Hochschätzung der Kreativen aus dem Diskurs der 1990er Jahre ab, als noch Innovation das Schlagwort war, unter dem sich Städte zu profilieren suchten – auch sie galt als Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität. Die technologisch gefasste Definition wurde auf der Basis der Arbeiten Charles Landrys und vor allem des genialen Selbstvermarkters Richard Florida umetikettiert: Forscher, Wissenschaftler, erfolgreiche Unternehmer waren nun die kreative Klasse, zu denen sich in zweiter Riege auch Ärzte und Rechtsanwälte zählen durften.
Mit dem neuen Begriff wurden Verschiebungen in Gang gesetzt. Unter der Kultur- und Kreativwirtschaft werden inzwischen elf "Teilmärkte bzw. -branchen" gefasst und ihre wirtschaftliche Bedeutung wird in Erwerbstätigen, Umsätzen und Unternehmenszahlen messbar. Der Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zum bundesdeutschen Bruttowertschöpfungsbeitrag liegt, so gesehen, über dem der chemischen Industrie. Natürlich gehören auch Künstler zur "kreativen Klasse". Und auch wenn sie möglicherweise ihr Leben lang in prekären Verhältnissen leben, sind sie wichtig für die Stadt: Sie sind der Schuss Ausgeflipptheit im Lifestyle-Cocktail der Distinktion. Der Begriff "kreative Stadt" ist inzwischen so aufgeweitet, "dass ihn jeder instrumentalisieren kann" (Ronneberger). Kreativität setzt die Erwartung an Selbstverwirklichung in einen ökonomischen Verwertungszusammenhang und wird normativ: "Wer nicht kreativ ist, ist ein bisschen deppert." (Ronneberger). Suspekt ist höchstens noch etwas wie "kreative Buchhaltung".
 
Viele Fragen bleiben offen
Die ökonomische Stadtentwicklungstheorie schafft Realitäten und hat so ihren Weg in die Praxis gefunden. Unter den Städten werden Rankings erstellt, vorn sind die, die angeblich für die kreative Klasse am attraktivsten sind – 2008 lag beispielsweise München vor Stuttgart und Hamburg. Subkulturell geprägte Quartiere und Künstler werden gefördert, die Industriebrachen in denen sie sich angesiedelt haben, erhalten. Als Motor der Stadtentwicklung genutzt werden sie in Dortmund rund um das Dortmunder U, in Mannheim am Verbindungskanal, in Stuttgart dürfen die Wagenhallen am Nordbahnhof stehen bleiben, in München fördert man sie an der Dachauer Straße, in Karlsruhe am alten Schlachthof... Dummerweise weiß man nicht so recht, wie und wieviel man solche Entwicklungen planen kann – Klaus Overmeyer beschrieb die Berliner Entwicklung der letzten beiden Dekaden entsprechend launig: dort "wurde entweder viel geplant und nichts ist passiert, oder es war nichts geplant und viel ist passiert." Weniger pointiert, aber genauso ernüchternd formulierte es Alain Thierstein in Stuttgart: "Wirkung zu erzielen ist nicht einfach"; auch setze man zudem auf eine "brüchige ökonomische Erscheinung".
Was heißt nun eigentlich Kreativität – ist es die Intensität des Wissensaustausches und der Wissensgenerierung, ist sie eine Form der kulturellen Äußerung? Etabliert Kreativität, wie Angelus Eisinger schreibt, eine "besondere Relation zwischen Problem und Lösung, indem sie als neuartiges problem solving bisher nicht bedachte Optionen zu eingespielten Praktiken und Routinen schafft?" (1). In Stuttgart bezweifelte Harald Melzer, dass es etwas mit einer kreativen Stadt zu tun habe, wenn einzelne Quartiere als Kreativbiotope unter Erhaltungsschutz gestellt werden. Was man über Innovation und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung herausgefunden hatte – "wir wissen nicht, was es ist, wie es entsteht und welche Relevanz es hat" (Ronneberger) –, gilt wohl auch für die Kreativität.
Umso höher sind dafür die Erwartungen: Bis zur Beförderung eines neuen Bürgersinns und einer Stärkung des Parzellenstädtebaus (Franz Pesch in Stuttgart) reichen die Hoffnungen – ironisch überspitzt fragte Overmeyer: kommt man in der kreativen Stadt mit "180 km/h in den Townhousehimmel"? Wohl eher (und hoffentlich) nicht.
 
Auch andere Fragen sind umstritten: Die einen meinen, es handele sich um einen Hype, andere nicht – so ist Christoph Backes, der mit dem u-institut Menschen hilft, ihre Ideen wirtschaftlich tragfähig zu entwickeln, der Ansicht, dass es weder einen Mangel an Kreativen gibt, um die sich die Städte balgen müssten, noch dass politische Beachtung Menschen erst zu Kreativen machte – er sieht in ihrer großen Zahl die Folge eines Hochschulsystems, das am Markt vorbei ausbilde. Stimmt denn überhaupt die Grundannahme? Eine Studie zeigte, dass die kreative Klasse bei weitem nicht so mobil ist, wie behauptet. Auch andere Zweifel wurden benannt: Sebastian Dresel von der Stadt Mannheim stellte in Offenbach das bürgerlich geprägte Kulturverständnis in Frage. Warum eine Kunsthalle fördern, die von 50.000 Menschen im Jahr besucht wird, wenn genauso viele mit zwei Popkonzerten erreicht werden?

Was man lernen kann
Und dann ist da noch die Gentrifizierung. In den Epizentren der Kreativität sei die soziale Polarisierung am höchsten, so Ronneberger. Gilt also, dass mit der Unterstützung von Kreativen Verdrängung ausgelöst wird? Oder sind sie selbst auch Opfer, unterbezahlte Trüffelschweine der Projektentwickler, schmückendes Beiwerk, und müssen, wie es Svenja Noltemeier aus Dortmund berichtete, froh sein, mal 300 Euro für einen Flyer zu bekommen? Solange der Begriff der Kreativen schwammig bleibt und man die Kreativen marketingträchtig hofiert, wird er sich weiterhin in den zunehmenden und zunehmend hitzigen Diskussionen um das Thema Gentrifizierung instrumentalisieren lassen, gleich, wie richtig, wie zwingend der hergestellte Zusammenhang im Einzelnen tatsächlich ist. Nicht zuletzt deshalb, aber auch wegen der sich immer mehr in den Vordergrund drängenden ökologischen Probleme, angesichts derer nun Labels der grünen und nachhaltigen Stadt suggerieren, dass gehandelt werde, könnte die Zeit der großen Aufmerksamkeit für die Kreativen zu Ende gehen – eine gewisse Normalisierung muss aber nicht schlecht sein, solange man das, was man bislang aus diesem Leitbild lernen konnte, nicht vergisst.
 
Da wäre zum einen die Form der Stadtplanung, die sich mehr als bisher als Scout, als Moderator, als Seismograph für Bedürfnisse, als beweglicher Raummanager verstehen sollte – das heißt etwa, Ort für Zwischennutzungen aufzuspüren, lokale Entwicklungen zu stärken und, wie es Klaus Overmeyer mit seinem Büro Studio Urban Catalyst tut, möglichst unvoreingenommen nach Schnittstellen zu suchen, die sinnvoll aktiviert werden könnten. Genauso sensibel muss jede Förderung von einer sorgfältigen Suche nach potenziellen Konflikten begleitet werden, damit Aufwertung und Verdrängung nicht gegen Strategien ausgespielt werden, die die Abwärtsspirale in prekären Quartieren stoppen könnten. Es gilt, genau hinzuschauen: Wer profitiert von der politischen Aufmerksamkeit, wer wird instrumentalisiert, wer bleibt ganz außen vor und wird nicht mehr wahrnehmbar? Und Kreativität im Sinne Eisingers ist ja gerade angesichts ökologischer und sozialer Herausforderungen nötiger denn je. Für Kreativität sollte in der Stadt, ob man sie nun "kreativ" oder sonst wie etikettieren mag, jenseits von wirtschaftlich Zählbarem Freiraum geschaffen werden, Freiraum, der mit dem gleichberechtigten Zugang zu Bildung beginnt, der in Kindergärten, Kitas, in Schulen wie in Hochschulen geschaffen wird. Wenn Städte solchen Raum geben, derart Freiheit fördern, dann dürfen sie auch Verantwortung einfordern. Dieses aufeinander aufbauende Wechselspiel ist wichtig: Denn die Stadt wird, das vermittelte in Stuttgart Harald Melzer eindrücklich, gerade in Zukunft als Ganzes sehr kreativ sein müssen. ch
Nachlesen, weiterlesen
Erläuterungen zur "kreativen Klasse" auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung

Charles Landry: The creative City. A toolkit for urban innovators. Chicago 2000
Richard Florida: Cities and the creative class. New York/London, 2005

Klaus Ronneberger: Die Kreativen und das Recht auf Stadt. In: Generalist, Ausgabe Januar 2012.

Angelus Eisinger und Jörg Seifert (Hg.): Urban Reset, Basel 2012
darin insbesondere die folgenden Beiträge:
(1) Angelus Eisinger: Städtebauliche Kreativität
Kreativität als kulturelle Praxis. Angelus Eisinger im Interview mit Martin Heller
Jörg Seifert: Kreativität, Autonomie, urban reset
Alain Thierstein, Anne Wiese, Agnes Förster: Kreativ, attraktiv, wettbewerbsfähig.

Martina Hessler: Die kreative Stadt. Zur Neuerfindung eine Topos. Bielefeld 2007