Holzdeklaration mit Bauteil-Chips?

Leonhard Fromm | 10. Juli 2024
Foto: Khari Hayden via pexels

Derzeit ist beim Rückbau die fehlende Sortenreinheit noch das größte Problem, um nennenswerte Volumina wieder verbauen zu können. Denn eingesetztes Holz ist mit Mineralwolle, Folien, Metallklammern oder Schrauben durchsetzt, OSB-Platten sind verklebt oder Beton direkt ins Holz gegossen. Erschwerend kommen fehlendes Bewusstsein und entsprechend kaum vorhandene Kreislaufstrukturen hinzu. Immerhin: Bei Neubauten wird vermehrt mit vorproduzierten Elementen gearbeitet, die wahlweise als komplettes Modul wiederverwendbar und sortenrein demontierbar sind.

Auch das Baurecht behindert aktuell noch die Wiederverwertung recycelter Holzkomponenten. Dr. Jochen Stahl, Lehrbeauftragter an der TU Darmstadt mit Schwerpunkt Holzbau, der dort auch das Büro Fast + Epp für Tragwerksplanung betreibt, gibt ein Beispiel: Wolle er heute einen Holzbalken, der in den 1990er-Jahren in einer Lagerhalle verbaut wurde, im Neubau einer Schule weiterverwenden, scheitere dies unweigerlich an den haftungsrechtlichen Vorgaben. Er könne gar nicht all die Nachweise für den Balken erbringen, die das Baurecht erfordert. 

Die Folge: Wenn man heute baut, sollten diese Aspekte bereits mitbedacht werden. Im digitalen Zeitalter sollte es kein Problem, die komplette Wertschöpfungskette des Balkens zu hinterlegen. Etwa Festigkeits- und Steifigkeitswerte, Nutzungsklasse, aus welchem Wald und von welchem Baum der Balken stammt, ob und wie er von wem behandelt wurde, Transport, Lagerung, Vornutzungen etc. »Idealerweise werden künftig alle Bauteile mit einem RFID-Chip versehen und deren Daten in einer Materialdatenbank wie Madaster hinterlegt«, so Stahl. Es ist wichtig, dass Baustoffe auf möglichst hohem Niveau mehrmals wiederverwendbar sind. Stahls Beispiel: Eine neue Brettsperrholzplatte wird so verbaut, dass sie nach 50 Jahren leicht demontierbar ist und erneut in dieser Funktion als Decke in einem Folgeobjekt verbaut werden kann. Nach 100 Jahren müssten evtl. die Kanten gestutzt werden, um es erneut – nun als kleineres Modul – nochmals 50 Jahre in einer dritten Decke zu verwenden. Nach 150 Jahren könnte dann die Zeit gekommen sein, die Brettsperrholzplatte für ein Wandmodul oder ein Möbel zu verwenden, das nochmals 100 Jahre hält, ehe der Baustoff nach 250 Jahren und vier bis fünf Durchläufen als Brennstoff Wärme liefert. 

Im Zusammenspiel mit Materialdatenbanken und einem RFID-Chip für die Brettsperrholzplatte kommen solche Kreisläufe in Gang, sind sich Experten wie Prof. Jürgen Graf einig. Der Bauingenieur lehrt an der TU Kaiserslautern Architektur und ist spezialisiert auf leicht demontierbare Fügetechniken für Holzbauelemente. Je vollständiger demnach in den Datenbanken Angebot mit Ort und Zeit der Verfügbarkeit und Bedarf mit Ort und Zeitpunkt des »Benötigt-werdens« dokumentiert seien, desto wahrscheinlicher kämen sie zusammen. 

Foto: von Franz W. auf Pixabay

Beispiele aus dem Bauschuttrecycling machen den Vordenkern Mut: Werde das Bauen konsequent digital erfasst, könnten Standardteile in Ballungsräumen wie Stuttgart in wenigen Jahren vermutlich im Umkreis von wenigen Kilometern verbaut werden, wenn alle Beteiligten ihre Angebote und Bedarfe frühzeitig einpflegten. Das werde die Logistikkosten und deren CO2-Emissionen massiv senken und letztlich die Baukosten insgesamt, weil kaum kostenintensiver Abfall anfalle, sondern wertvoller Wertstoff. Anspruchsvollere Teile bräuchten dann eventuell einen größeren Radius, was aber noch immer effizient sei. Im Gegenteil: Holz als Baustoff werde gegenüber mineralischen Baustoffen wegen der besseren CO2-Bilanz immer attraktiver.

Für die Recycler bedeutet das, dass sie zu Re-Usern werden, die sich immer neue, hochwertige Verwendungen für ihre Wertstoffe überlegen. In Kanada hat man schon in den 1990er-Jahren ein Prüflabor geplant, bei dem Altbestände gesichtet und wiederverwendet wurden. Jochen Stahl ist sich sicher, dass ein neues Berufsbild des Rohstoffjägers entsteht, der sich Gebäude anschaut und sie im Hinblick auf Wiederverwendbarkeit der bestehenden Ressourcen bewertet und dafür sorgt, dass diese Ressourcen in die Datenbank kommen und so wieder eingesetzt werden. 

Denn wer aktuell eine verbaute Fichte aus den 1960er-Jahren neu verwenden möchte, muss nachweisen, dass sie die Mindestanforderung an die Festigkeiten erfüllt. Das ist ein enormer Prüf- und Verwaltungsaufwand, an dem derzeit Re-Using noch scheitert. Neue Dienstleister, die diese Spezifizierung übernehmen, wären deshalb für Altbestände ein wichtiges Glied in der Kette. Und wenn die Fichte die an sie durch die aktuelle Normung gestellten Anforderungen nicht erreicht, braucht sie bspw. eine verminderte Klassifizierung, die es bislang gar nicht gibt, um sie im Re-Using-Kreislauf zu halten und dafür eine Verwendung zu definieren.

Vorgestelltes Projekt 

Börries Götsch | Architektur BDA

Haus in Schmitten

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