Reallabor Neuperlach
Einst war Neuperlach das größte Städtebauprojekt der Bundesrepublik. Heute kämpft die Großsiedlung mit sozialen und ökologischen Problemen. Ein Forschungsprojekt zeigt, wie der Stadtteil menschen- und umweltfreundlich saniert werden könnte.
Riesige Wohnblöcke, breite Straßen, soziales Konfliktpotenzial – 1967 als »Stadt der Zukunft« für 80'000 Menschen auf der grünen Wiese geplant, kämpft Neuperlach heute mit sozialen und ökologischen Problemen. Doch die nach den Prinzipien der Moderne gestaltete Großsiedlung soll gemeinwohlorientiert und nachhaltig saniert und umgestaltet werden. Wie das gelingen kann, wurde im Rahmen des Forschungsprojekts »Creating NEBourhoods Together – Neuperlach« ergründet. Rund fünf Millionen Euro hatte die Europäische Kommission im Zuge ihrer Initiative Neues Europäisches Bauhaus (NEB) dafür zur Verfügung gestellt.
Engagierte Bewohnerinnen und Bewohner, Kulturschaffende sowie Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft entwickelten Lösungen, die den Prinzipien Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion entsprechen. Für die Zusammenarbeit haben sich die Landeshauptstadt München, die TU München, kurz TUM, und das Start-up- und Innovationszentrum UnternehmerTUM als Gründungspartner zusammengetan. Weitere Institutionen stießen später dazu, darunter die Hochschule München, die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung sowie lokale Initiativen, Vereine und Organisationen.
»Dieses Prinzip der Mitverantwortung hat für mich eine neue Qualität geschaffen, die ich mir auch für weitere Projekte in München und in anderen europäischen Städten wünsche.«
Mit der Frage, wie die von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre hinein gebauten großen Wohnblöcke energetisch und sozial aufgewertet werden könnten, befassten sich Projektgruppen der TUM im Rahmen des Entwurfsprojekts Redesigning Housing Structures. Viele der vorhandenen Wohnhäuser weisen Mängel auf: Ihre Fassaden wurden nicht saniert, sie wurden nicht barrierefreie gestaltet und ihre Wohnungsgrundrisse sind veraltet und lassen kaum Veränderungen zu. Der Vorschlag der TUM-Teams sieht vor, mit einer Filterschicht aus vorgesetzten Wintergärten die Gebäudehüllen energieeffizienter zu machen und gleichzeitig die Wohnungen zu vergrößern. – Ähnliches ist den Pritzker-Preisträgern Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal bei der Sanierung der Wohnanlage Cité du Grand Parc in Bordeaux gelungen.
Umweltfreundlicher und im Sinne eines angenehmen Stadtklimas umgestaltet werden sollen auch die Außenräume. Denn der Klimawandel führt zu einer immer stärkeren Aufheizung, sodass öffentliche Stadträume gerade für alte und kranke Menschen, aber auch für Kleinkinder zur Gefahr werden. Um das Mikroklima wirksam zu verbessern, können Brunnen gebaut, Wasserspielplätze angelegt und neue öffentliche Grünräume geschaffen werden: Die NEB-Arbeitsgruppe Action Animal-Aided Design entwickelte grüne Infrastrukturen, die zum Lebensraum für ausgewählte Tierarten werden. Die NEB-Gruppe Action ECOLOPES warb dafür, den Bewohnenden einen besseren Zugang zur Natur zu ermöglichen, und die NEB Action Private Spaces for Public Use untersuchte, inwieweit private Freiflächen rings um Bürogebäude zu öffentlich zugänglichen Grünräumen werden könnten.
Die Umgestaltung der Mobilitätsinfrastruktur – Neuperlach war im Geiste der 1960er-Jahre für den Autoverkehr geplant worden – war Thema der NEB-Arbeitsgruppe Action Mobility NEBourhoods und mit Beschattungsmaßnahmen in städtischen Gebieten befasste sich das NEB-Team Action Public Power, um nur einige der bearbeiteten Themenfelder kurz anzureißen. Hinsichtlich des Klimawandels und der Energieversorgung ist wohl die Gründung der Energiegemeinschaften München eG eine der interessantesten Entwicklungen. Sie zielt darauf ab, die Bewohnenden zu erschwinglichen Preisen mit vor Ort erzeugter grüner Energie aus Photovoltaik-Anlagen zu versorgen. Die Gewinne aus dem Stromgeschäft sollen zudem als Dividenden ausgeschüttet werden. Dem Projekt können sich künftig weitere Münchner Stadtteile und Initiativen anschließen.
»Um die Methoden und Prozesse aus Neuperlach wachsen zu lassen, braucht es den politischen Willen, das Thema weiterhin zu priorisieren. Wenn es auf hoher Ebene weitergeführt wird, hat es gute Chancen, sich zu verbreiten.«
Alle Ergebnisse und die entwickelten Werkzeuge sollen, so die Projektverantwortlichen, als inspirierende Modelle verstanden werden, die mit lokalen Anpassungen auf andere europäische Städte und Stadtteile übertragbar sind. Besonders die aktive Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in den Transformationsprozess hat sich in Neuperlach bewährt, weil dadurch früh Bedenken ausgeräumt und gemeinsame Lösungen gefunden werden konnten. Ist es heutzutage leider oft unüblich, sich vor der eigenen Wohnungstür um das Quartier und die Nachbarschaft zu kümmern, scheint in Neuperlach mittlerweile ein anderer Geist zu herrschen: Die gemeinsame Verantwortung für das Wohnumfeld wird immer stärker wahrgenommen, und die Menschen beginnen dabei voneinander zu lernen.
Das Forschungsprojekt ist umfassend dokumentiert, alle Informationen können kostenfrei als PDF bezogen werden. Die Ausstellung der Projektergebnisse im PlanTreff (Blumenstraße 31, 80331 München) ist dienstags bis freitags jeweils von 12 bis 18 Uhr geöffnet.
Zusätzlich zur Ausstellung finden im Mai und Juni drei Podiumsgespräche statt, die auf das Stadtplanungsvorhaben, das Thema der Energieversorgung sowie die Standortförderung eingehen.
13. Mai, 18 Uhr: Podium »Ko-Kreation«
Wie kreative Gemeinschaften die Stadt gestalten.
Zur Anmeldung
3. Juni, 18 Uhr: Podium »Klimaanpassung«
In Energiegemeinschaften nehmen Nachbarn ihre Energieversorgung selbst in die Hand – Klimaexperten präsentieren wegweisende Projekte für Neuperlach.
26. Juni, 18 Uhr: Podium »Entrepreneurship«
Neuperlach als Sprungbrett – Akteure aus Wirtschaft und Verwaltung diskutieren Strategien, die unternehmerisches Denken und Handeln fördern.