Gewagte Brutalismus-Deutung, die Fragen offenlässt

Paulina Minet | 27. März 2025
Filmstill: © Universal Pictures

»László, ich lebe.« – »Er schreibt, du lebst auch.« Mit diesen Gedanken beginnt der Film »The Brutalist«, der nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern uns in die Lebensrealität des fiktiven jüdischen Architekten László Tóth (gespielt von Adrien Brody) eintauchen lässt. Die Handlung setzt in der zweiten Hälfte seines Lebens ein, offenbart jedoch nach und nach seine Vergangenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigriert er in die USA, während seine Familie in Europa zurückblieb. Was nach einem klassischen Neubeginn klang, entpuppte sich als bittere Desillusion des amerikanischen Traums. Tóth ist kein selbstbewusster Architekt, sondern ein gezeichneter Mann. Er schaufelt Kohle in Philadelphia, lebt in Notunterkünften und verfällt der Drogensucht. Die Sehnsucht nach einem Zuhause prägt den gesamten Film – seine stetige Suche nach Akzeptanz und Zugehörigkeit, der Verachtung, Misstrauen und Erniedrigung entgegenstehen, äußert sich in Aussagen wie: »They do not want us here.«

Hoffnung keimt auf, als er für den Geschäftsmann Harrison Lee Van Buren (gespielt von Guy Pearce) eine Bibliothek gestaltet. Selbstsicher und zielgerichtet verwandelt er das dunkle Arbeitszimmer in einen modernen Lesesaal. Auch die Aussicht auf das Wiedersehen mit seiner Frau Erzsébet (gespielt von Felicity Jones) und seiner Nichte Zsófia (gespielt von Raffey Cassidy) sowie der Entwurfsauftrag für ein Gemeindezentrum mit Bibliothek, Sporthalle, Auditorium und Kapelle zu Ehren der verstorbenen Mutter Van Burens sind Lichtblicke.

Doch mit diesen Beziehungen gehen neue Konflikte einher: zwischen ihm und seiner Frau, aber auch mit seinem Auftraggeber Van Buren, von dessen Wohlwollen seine Karriere und seine Existenz abhängen. Der Industrielle wird zum Symbol der Macht des Kapitalismus. Am tiefsten jedoch ist der Konflikt zwischen dem Architekten und seinem Entwurf. Die Architektur rettet László Tóth, doch vereinnahmt ihn gleichermaßen. Das Gebäude wird zu seinem Vermächtnis und Ausdruck seiner zerrissenen Seele: monumental, bedrückend, beklemmend – dunkle Räume von gigantischer Höhe, nur von schmalen Schlitzen erhellt.

Filmstill: © Universal Pictures

Angesichts der vielen Details gerät nahezu in Vergessenheit, dass es sich um eine fiktive Figur handelt. So studierte Tóth nicht nur am Bauhaus, sondern realisierte auch in seiner Heimatstadt Budapest Bauten der klassischen Moderne, die unter anderem an das Whitney-Museum in New York und das U-Bahn-System in Washington erinnern. Spätestens bei den Entwürfen der Stahlrohrmöbel, die verdächtig nach Marcel Breuer anmuten, entsteht der Eindruck, László Tóth würde stellvertretend für eine Gruppe von Architekten dieser Generation stehen.

Der Film inszeniert den Brutalismus als Ausdruck der psychologischen Verfasstheit der Nachkriegsgesellschaft – eine gewagte Deutung. Besonders, wenn am Ende jeglicher Interpretationsspielraum aufgelöst wird und sich die finale Aussage in einer Rede auf der Architektur-Biennale 1980 in Venedig manifestiert: László Tóth und seine Frau sind Überlebende des Holocaust. Wie ein Ausrufezeichen steht diese Schlusspointe im Raum – fast zu explizit, dennoch unmissverständlich kraftvoll.

Filmstill: © Universal Pictures

»The Brutalist« polarisiert – trotz dreieinhalb Stunden Laufzeit bleibt der Film kurzweilig, getragen von einer Szenografie, in der Architektur weit mehr ist als Kulisse. Gedreht in der analogen Breitwand-Technik VistaVision und untermalt mit epischer Musik von Daniel Blumberg, entfaltet sich ein visuelles Werk von emotionaler Tiefe. Dennoch, Fragen bleiben: Wie lässt sich das Verschwinden Van Burens im Monument deuten? Warum wird das Lebenswerk des hochbetagten brutalistischen Architekten auf der ersten, eigentlich der Postmoderne gewidmeten Architektur-Biennale von 1980 gefeiert?

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