Haus mit Zukunft
Praeger Richter Architekten haben als Nachfolgeprojekt des Ausbauhauses Neukölln das Ausbauhaus Südkreuz in Berlin fertiggestellt. Jana Richter und Henri Praeger beantworten unsere Fragen zum Baugruppen-Projekt.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Entgegen der üblichen Praxis in der Architektur wurde beim Ausbauhaus Südkreuz bereits in der Planung der spätere mögliche Umbau mitgedacht. Im Rahmen des Konzeptverfahrens »Schöneberger Linse« entwickelten wir für die Baugruppe Südkreuz GbR ein Wohnhaus als Holz-Beton-Hybrid-Regal. Auf sieben Geschossen befinden sich 13 Eigentumswohnungen und drei förderfähige Wohnungen zwischen 38 und 130 Quadratmetern. Dazu sind zwei kiezgebundene Gewerbenutzungen und eine Gästewohnung im Gebäude untergebracht. Zusätzlich wurde im Staffelgeschoss eine kleine Gästewohnung mit großer gemeinschaftlicher Dachterrasse umgesetzt.
Das Gebäude öffnet sich im Erdgeschoss mit zwei kiezfördernden Gewerbeeinheiten zur Nachbarschaft, welche durch die Baugruppenmitglieder mitfinanziert wurden. In den 4,5 Meter hohen Räumen mit stellenweise eingezogener Galerieebene sind Start-Up-Schulungsräume (Gründerseminare, Beratung) und ein Kiezwohnzimmer mit Atelier untergebracht (kultureller und sozialer Austausch auf ehrenamtlicher Basis).
Aufgrund der Nähe zum Sachsendamm gelten hohe Schallschutzanforderungen. Hierzu wurden spezielle Holzfenster (Kastenfenster, Prallscheiben) entwickelt. Diese sind konsequent bodentief ausgeführt und prägen gemeinsam mit einem umlaufenden Austritt die rückbaubare und recyclebare Fassade. Die Holzkonstruktion mit vorvergrauter Lärchenschalung erhält durch die rötlichen Sonnenschutzvorhänge (Low-Tech-Textilien aus der Landwirtschaft) ein lebendiges Fassadenbild, das durch Bewohner individuell bestimmt wird. Hier drückt sich das gemeinschaftliche Wohnprojekt nach außen aus. Zudem wurden Vogelbrutkästen in die Fassade integriert und das begrünte Dach als Imkerstandort vorgesehen.
Neben den besonderen Anforderungen aus dem Konzeptverfahren, dem B-Plan sowie der Gestaltungssatzung, galt es den Spagat zwischen Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit des Gebäudes umzusetzen. Die Prämisse, die Klimaschutz- und Klimaanpassungsziele aus dem Konzeptverfahren zu berücksichtigen, wurde zum Grundsatz der Planung: Ein Haus, das über den gesamten Lebenszyklus gedacht wird und gleichzeitig eine zukünftige Umbaukultur im Wohnungsbau berücksichtigt und unterstützt.
Ähnlich wie im Vorgängerprojekt, dem Ausbauhaus Neukölln, wurde auch im Ausbauhaus Südkreuz der Ausbau durch wechselnde Nutzer in den Mittelpunkt gestellt. Ging es im Ausbauhaus Neukölln um das kosteneffiziente Haus (industrielles Betonregal mit flexiblem, individuellem Ausbau), wird beim Ausbauhaus Südkreuz die Kosteneffizienz auf den gesamten Lebenszyklus des Hauses und damit auf die Rückbaubarkeit und die Wiederverwendung der Baumaterialien des Ausbaus übertragen und erweitert: Haus als Materiallager.
Neubauten von heute werden in Zukunft nicht mehr abgerissen und entsorgt, sondern materialbewusst modernisiert oder umgebaut. Darum sind die Materialien des in Holz-Beton-Hybridbauweise errichteten Gebäudes adäquat zu ihrem Lebenszyklus eingesetzt: Die im dichten urbanen Kontext positionierte dauerhafte Tragstruktur (Brandwände, Decken, Erschließungskern) ist aus Beton. Die Fassade ist komplett als rückbaubare nicht-tragende Holzkonstruktion ausgeführt. Der Innenausbau der Wohnungen wurde verbundstofffrei und mit nachwachsenden Baustoffen umgesetzt. So wird zukünftig eine passgenaue Modernisierung bzw. bei Rückbau eine sortenreine Trennung der Materialien möglich.
Somit ist das Haus nicht nur ein wertvolles Materiallager für die Zukunft, sondern ist über Jahrzehnte gesehen auch die kostengünstigere Alternative zu aktuell üblichen Verbund-Konstruktionen. Die verwendeten Baumaterialien sind demontierbar, sortenrein trennbar, und sie können somit leicht wiederverwendet werden. Dies ermöglicht den einfachen und nachhaltigen Umbau oder Nutzungsänderungen bei Bedarf. Verschraubte Holzplatten, Holzparkett, Holzwolle, Schüttung im Fußboden etc. können geschliffen, neu ausgelegt oder zusammengefegt und am selben Ort oder in anderen Gebäuden wieder eingebaut werden. Die Wohnungen könnten auch nur partiell geändert und um-, an- und weitergebaut werden.
2022
Gotenstraße 45
10829 Berlin
Nutzung
Neubau Mehrfamilienhaus, inklusive Gemeinschaft und kiezgebundenes Gewerbe
Auftragsart
Direktauftrag nach Zuschlag im Konzeptverfahren
Bauherrschaft
Baugruppe Ausbauhaus Südkreuz GbR, private Bauherrenschaft
Architektur
Praeger Richter Architekten, Berlin
Team: Jana Richter, Henri Praeger, Philipp Dittus, Andreas Friedel, Tamara Granda, Max Mütsch, Paul Zöll
Fachplaner
Bauphysik: CLKT Ingenieure
Tragwerksplanung: Steffen Janitz Ingenieure
TGA: PSW Ingenieure
Schallschutz: Akustikbüro Moll
Projektmanagement: Müller Rose Projektsteuerung, L.I.S.T. Projektsteuerung
Brandschutz: brandschutz plus GmbH Eberl-Pacan Brandschutzplaner
Landschaftsarchitektur: Hutterreimann Landschaftsarchitektur
Ausführende Firmen
Holzbau: Zimmerei Feuerbach GmbH
Energiestandard
KfW Effizienzhaus 40
Bruttogeschossfläche
2.200 m²
Gebäudevolumen
7.800 m³
Gebäudekosten
4.300.000 € Brutto
Gesamtkosten
7.200.000 € Brutto
Auszeichnungen
Preis Polis Award »Ökologische Wirklichkeit«
Auszeichnung Re-Use am Bau 2022
Zuschlag Konzeptverfahren 2018
Anerkennung HolzbauPlus Bundeswettbewerb 2022/23
Shortlisted DAM Preis 2023
Architekturpreis Berlin 2023 Sonderpreis Fokus Nachhaltigkeit
Nominiert EU Prize for Contemporary Architecture – Mies van der Rohe Award 2024
Fotos
Andreas Friedel und Lindsay Webb