Sanitär- und Heizungsbranche wird nachhaltig

Leonhard Fromm
22. März 2023
Traumbad an der ISH 2023 (Foto © Philip Kottlorz / IF Group / Hansgrohe)

Urin bereits in der Toilette zu separieren und in einem Reaktor im Keller zu Dünger aufzubereiten, gehört zur Spitze der Avantgarde, die bei der diesjährigen ISH in Frankfurt zu sehen war. Knapp 154.000 Besucher, zu 44 Prozent aus dem Ausland, ließen sich Mitte März nach vier Jahren Pandemie-bedingter Pause von 2025 Ausstellern aus den Bereichen Sanitär, Heizung, Klima und Lüftung fünf Tage lang inspirieren.

Dabei standen Suffizienz (Vermeidung), Effizienz (Verbesserung) und Nachhaltigkeit (regenerative Energien, Kreislaufwirtschaft) im Zentrum der Branchen-Leistungsschau. Deutlich wurde auch: Die Digitalisierung, Stichwort Smart Grid, und die Kooperation über Hersteller- und Produktgrenzen hinweg sind Mega-Trends, auf die sich einlassen muss, wer künftig im Geschäft bleiben will. Denn wie etwa Alexandra Mrzigod, nachhaltigkeitsbeauftragte Bauingenieurin der Werner Sobek AG in Stuttgart, bei einem Talk von World-Architects sagte: „Wenn die beiden kooperieren, die im Bad vor und hinter der Mauer installieren, hebt das bereits enorme Potenziale in Sachen Produktgestaltung, -verarbeitung und Montage.“

Alexandra Mrzigod, Werner Sobek AG – Vortrag an der ISH 2023: “Building refurbishment – how we can achieve our climate goals“ (Foto: Koy + Winkel / World-Architects)
Thementouren über die Messe

Und damit niemand in den zwölf Messehallen den Überblick verlor, hatte World-Architects wieder acht Profis aus der Architekturszene gebeten, über die fünf Messetage verteilt, zweistündige geführte Touren zu Themen wie Ganzheitlichkeit, natürliche Energiequellen, Design oder Trends zusammenzustellen. Dabei besuchten je Gruppen von 15 bis 30 Bauplanern gezielt Aussteller für drei bis acht Minuten, die ihr Thema vorstellten, maximal drei Fragen beantworteten und ihren Kontakt für einen späteren Standbesuch oder Vertiefungen nach der Messe mitgaben. 

Grob erfolgte die Einteilung der gleichermaßen beliebten wie etablierten Führungen, für die es Weiterbildungspunkte der Architektenkammer gibt, in die Bereiche Wasser und Energie. Dabei wurde in jedem Themenfeld die Palette vom Einfamilienhaus bis zum großen Hotel, Wohnblock oder Industriebetrieb bedient und ebenso die gesamte Range von schlichter Funktionalität bis Luxus pur, den vor allem manufakturartige und sehr Design-affine Nischenanbieter wie Cea oder :inbani, beide aus Italien, bieten. Letzterer hat etwa einen massiven Waschtisch aus Marmor in der Optik einer antiken griechischen Säule im Programm, der dem Vernehmen nach für knapp 20.000 Euro zu haben ist.

Guided Tour von Michael Burghaus „Neue Sanitär- und Haustechnik für nachhaltige Architektur“ (Foto: Koy + Winkel / World-Architects)
Referate und begleitete Rundgänge

Günstig zur Einstimmung auf eine Führung, um den eigenen Fokus zu schärfen, waren Vorträge wie etwa der des Kölner Designers Frank A. Reinhardt, der in Halle 3.1 die „Zehn Trends im Badezimmer“ referierte und dabei jede Menge Tipps für Planer und Handwerker bereit hatte. Sich etwa auf wassersparende Maßnahmen zu konzentrieren; auf die Zielgruppe der Rentner, die das eigene Bad für die etwaige eigene Pflegebedürftigkeit ertüchtigen wollen oder auf die Wellness-Affinen, für die der Sanitärbereich immer mehr zum erweiterten Wohn- und Schlafzimmer mit Spa-Charakter und Möblierung wird. 

Michael Burghaus, Dozent für Städtebau an der Hochschule in Kaiserslautern, führte seine Teilnehmer etwa zum Stand des Sanitärherstellers Laufen Bathrooms aus der Schweiz, der seit kurzem zur spanischen Roca-Gruppe gehört. Allein schon dies ein Indiz, wie in der Branche Anbieter globalisieren, Marktsegmente zusammenwachsen und ganze Wertschöpfungsketten bilden, die aufeinander abgestimmt sind. Spannend hier: Die Melinda Gates-Umweltstiftung in den USA hat das Patent auf ein Verfahren, mit dem sie im WC Urin abscheiden kann. Die ETH Zürich wiederum hat ein Verfahren, wie sie den Harnstoff zu Dünger aufbereitet. Laufen hat aus beidem eine Produktlösung gemacht, die nun in die Vermarktung kommen soll. Dabei hat die Toilettenschüssel vorn eine vertiefte Rinne, durch die 80 Prozent des Harns separiert werden. Ab 60 Wohneinheiten sei die Lösung bereits verfügbar und wirtschaftlich, heißt es. Der Reaktor, der Dünger aus der Flüssigkeit gewinnt, steht dann im Keller eines Hochhauses.

Die Schweizer sind es auch, die bei der WC-Spülung das Wasserspar-Prinzip umkehren, um noch mehr Wasser zu sparen. Die Idee: Die große Taste ist künftig für das „kleine Geschäft“ und steht für die Häufigkeit der Nutzung. Die kleine Taste dagegen spült die „große Hinterlassenschaft“ weg. Und weil das bisherige Prinzip eine globale Industrienorm wurde, findet die umgekehrte Verschaltung bis auf Weiteres hinter der Wand statt. Ein Hotelier mit 100 Zimmern kann das via App umprogrammieren und seinen Kunden kommunizieren. Ein gutes Beispiel, so Michael Burghaus, für psychologische Erkenntnisse. Der freie Architekt und Dozent für Nachhaltigkeit aus Kaiserslautern hatte die Tour zusammengestellt und die Gruppe eloquent geführt.

Burghaus, der insgesamt an neun Messestände in seinen zwei Stunden führte, zeigte seinen teilnehmenden Architekten in Halle vier auch Aussteller aus dem Bereich Heizen/Kühlen. Auffallend war, dass Materialschlachten mit Prospekten und Flyern massiv auf dem Rückzug sind: An vielen Ständen prangen QR-Codes, über die man sich Infos auf das eigene Smartphone holt, vereinzelt werden auf Nachfrage Sticks mit den Infos ausgegeben und immer öfter kann man sich gezielt Infos per Scan an die eigene Mailadresse senden lassen.   

Guided Tour von Markus Pfeil „Holistic Engineering – Produkte und Wege“ (Foto: Koy + Winkel / World-Architects)
Neues aus der Gebäudetechnik

Klar war die Wärmepumpe an den fünf Messetagen in aller Munde, nicht zuletzt, weil die Bundesregierung den Entscheid um den Ausstieg aus den fossilen Heizsystemen zu Jahresbeginn um ein Jahr auf 2024 vorzog. Auch, weil mechanische Lösungen ohne Kältemittel dabei häufig unterschlagen werden und weil es zu Luft als Wärmequelle jede Menge Alternativen gibt, über die aber gleichfalls kaum jemand spricht. Ohnehin sind hybride Lösungen aus mehreren Gründen besser, haben Teilnehmer der Führungen von World-Architects gelernt.

In guten Händen waren 20 Architekten bei einem physikalischen Exkurs durch die Hallen acht, elf und zwölf mit Markus Pfeil. Der Professor im Fachgebiet „Ganzheitliche Technische Gebäudeausrüstung“ an der MSA | Münster School of Architecture in Münster ist ein Experte für Nachhaltigkeit und reklamiert, dass auf der ISH Solarthermie und Biomasse kaum wahrnehmbar gewesen seien. Das sei umso bedauerlicher, da Wärmepumpen eben nicht nur auf Luft basieren, sondern auch auf diesen und anderen Quellen wie etwa Erdwärme.

Neben den Heizquellen, deren Lösungen vor allem in den Hallen elf und zwölf präsentiert wurden, ging es auf der ISH auch darum, wie die Wärme im Gebäude verteilt wird. Die Gebr. Lotter KG präsentierte mit den Roth-Werken am Roth-Stand in Halle 4 eine energiesparende Lösung zum Heizen und Kühlen über die Decke. Beim Lotter-Roth-Thermosystem werden die Heizungsrohre oberflächennah an der Unterseite von Betonfertigteildecken verlegt, sodass mit Vorlauftemperaturen von 32°C bis 36°C reaktionsschnell Räume einzeln ansteuerbar geheizt und mit demselben System in der warmen Jahreszeit auch gekühlt werden können. Durch den Einsatz von vorgefertigten Deckenelementen wird erheblich Bauzeit und auch der Estrich an der Oberseite der Decke eingespart. Dasselbe System kann in Wänden eingesetzt werden, wenn es baulich sinnvoll ist.

Guided Tour von Markus Pfeil „Holistic Engineering – Produkte und Wege“ (Foto: Koy + Winkel / World-Architects)

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