Claudia und Klaus de Winder: „Treiber der Zukunft beim Thema Arbeiten sind die neuen Funktionen, die das Büro erfüllen muss, um lebbar zu bleiben.”

Thomas Geuder
13. Dezember 2022
Klaus de Winder und Claudia de Winder (Foto: Mark Seelen Photography)

Thomas Geuder: Frau und Herr de Winder, wenn Gebäude errichtet werden, besonders Bürogebäude, dann laufen die Gebäude- und die Innenraumplanung oftmals getrennt voneinander, etwa weil die mietenden Unternehmen beim Bau noch nicht feststehen oder weil sie ihre ganz eigenen Vorstellungen vom Büro haben. Wie sinnvoll ist es in der heutigen Zeit, beim Thema Büro beide voneinander getrennt zu betrachten?

kdw: Sicherlich macht es aus Sicht von Investoren bzw. Projektentwicklern Sinn, Bürogebäude quasi auf Vorrat, ohne Kenntnis des zukünftigen Nutzers, zu bauen. Jedoch haben sich die Anforderungen der Nutzer stetig verändert, dies ist kein zeitgemäßes Phänomen. Daher müssen Gebäude deutlich adaptiver gedacht und realisiert werden. Wir würden uns daher wünschen, deutlich früher in die Konzeption, Realisierung und schon in die Auswahl von Gebäuden involviert zu werden. Wir glauben nach wie vor an das Zusammenspiel von Hülle und Funktion.

cdw: Die Trennung von Innen- und Außenraum wirkt sich erheblich auf die spätere Atmosphäre im Gebäude aus. Wenn sich hier keine Harmonie ergibt, hat das Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Nutzer*innen. Das muss nicht unbedingt für jede*n offensichtlich sein, aber oft ist eine Art Störfaktor spürbar, was für viele zunächst nicht zuordenbar ist.

Vattenfall Berlin Headquarter, Berlin, 2022, Vattenfall GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)
Carlsen Verlagscampus, Hamburg, 2021, Carlsen Verlag GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)

Die Phase der Coronapandemie war auch für Büro-Arbeiter eine Zeit des enorm beschleunigten Wandels. Wie haben Sie als Planer*Innen in Ihrer tagtäglichen Arbeit die letzten rund drei Jahre wahrgenommen?

kdw: Viele der Themen, die nun intensiv diskutiert werden, sind für uns nicht neu.. Die Notwendigkeit zur Veränderung von Gebäuden und Arbeitsräumen beschäftigt uns schon seit vielen Jahren, rückte jetzt aber rasend schnell ins allgemeine Bewusstsein. Quasi von heute auf morgen waren global neue Arbeitsmodelle und -orte gefragt und schnell wurde klar, dass es keinen Weg zurück mehr geben kann. Aus dieser neuen Situation heraus entstand die Notwendigkeit, neue Anreize zu schaffen, um das Büro wieder als sozialen Ort zu etablieren. 

cdw: Wir hatten es hier mit unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Zum einen gab es für viele unserer Kunden die Problematik, Ihre Mitarbeiter*innen wieder ins Büro zu „locken“. Zum anderen entstand vonseiten der Mitarbeiter*innen Druck, endlich wieder die Gemeinsamkeit und den gegenseitigen Austausch zu fördern. 

Hypoport, Berlin, 2020, Hypoport SE (Foto: Mark Seelen Photography)
Mozilla German Headquarter, Berlin, 2018, Mozilla Denmark GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)

Seit die Digitalisierung das Büro maßgeblich verändert hat – also sagen wir seit rund 25 Jahren – hat es Veränderungen durchlaufen, die immer auch eng mit den neuen Möglichkeiten verknüpft waren. Was sind heute die Treiber des Büros der Zukunft?

kdw: Die Digitalisierung wird sogar schon viel länger diskutiert, genau genommen bereits seit den 1950er- und 1960er-Jahren, nur damals unter dem Schlagwort „Kybernetik“. In den vergangenen Jahren haben die mobilen Geräte und die Nutzung von schnellem Internet die Digitalisierung noch weiter vorangebracht und viel flexibler gemacht. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass es für Wissensarbeit nahezu egal ist, von wo aus man arbeitet. Dies ist aber zugleich auch die Herausforderung. Treiber der Zukunft beim Thema Arbeiten sind die neuen Funktionen, die das Büro erfüllen muss, um lebbar zu bleiben. Es mehr als sozialen Ort zu verstehen, sowohl für den Zweck des Unternehmens als auch für die Mitarbeitenden und nicht zuletzt für den Stadtraum.

cdw: Wir werden uns mehr Gedanken zur Verknüpfung sozialer Netzwerke auf unterschiedlichen Ebenen machen, und hier geht es um die Vermischung und gegenseitige Beeinflussung und Beförderung von analogen wie digitalen Netzwerken. Unseres Erachtens ist das analoge Netzwerk nach wie vor die effektivste Art, positiv und konstruktiv zu kommunizieren. Das müssen wir bei der Planung neuer Arbeitsumfelder mitdenken und gleichzeitig den Wunsch nach hybriden Kommunikationsmodellen berücksichtigen.

BCG Platinion, Berlin, 2022, BCG Platinion GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)

Individualität und Wohlbefinden sind wichtige Faktoren für die Zufriedenheit und letztlich die Produktivität der Mitarbeiter. Dennoch können die Vorstellungen dessen mitunter recht unterschiedlich sein. Mittels welcher Instrumente finden Sie heraus, welches Arbeitsumfeld die Mitarbeiter Ihrer Kunden nicht nur wollen, sondern auch benötigen?

kdw: In der Wissenschaft und Technik gilt hierfür „messen, messen, messen“. Wir als Architekten müssen vor allem zuhören. Da es kein Rezept oder eine Formel für die Zusammenarbeit gibt und dies auch stark individuell ist, müssen wir zunächst die Prozesse des Unternehmens und die Bedürfnisse der Mitarbeitenden verstehen. Nahezu nicht möglich, aber wünschenswert wäre es, einige Zeit im Unternehmen oder in den Arbeitsprozessen zu verbringen, um zu verstehen, wie der Laden funktioniert.

cdw: Ja, als embedded architect und undercover in die aktuelle Arbeitsumgebung einsteigen und die Prozesse von innen heraus analysieren zu können, das wär’s! Meist beschränken wir uns allerdings auf Workshopreihen, die während des gesamten Planungs- und Bauprozesses die Mitarbeiter*innen einbeziehen, also eher der umgekehrte Weg: the embedded employee.

Etventure, Berlin, 2019, etventure GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)

Seit den 1970er-Jahren träumen viele davon, überall dort arbeiten zu können, wo man möchte, also auch auf der grünen Wiese mitten im Nirgendwo. Heute wäre das möglich. Das Internet verknüpft den Büro-Arbeiter immer und überall, in Ton und Bild und – so beschreiben manche die nahe Zukunft – auch in virtuellen Räumen per Avatar. Werden reale Büros also in Zukunft nicht mehr benötigt?

kdw: … Voraussagen lässt sich das nicht, #Glaskugel. Wir glauben, dass es das Büro auch in Zukunft noch geben wird. Jedoch bei Weitem nicht mehr so, wie wir es kennen, der Schreibtisch als Kernzelle hat sicherlich ausgedient. Die Metaworld wird das Kollaborative unseres Erachtens nicht ersetzen können, dafür sind Arbeitsprozesse im Allgemeinen – und nicht zuletzt für unsere Arbeit als Architekten – zu komplex und leben von den Momenten zwischendurch. Einige Prozesse lassen sich bestimmt weiter digitalisieren, vielleicht auch durch Avatare oder Bots.

cdw: Sicherlich ist diese Entwicklung nicht aufzuhalten und für viele zudem eine reizvolle Vorstellung, damit ist allerdings auch ein Verlust von Wahrhaftigkeit verbunden. Das „Ehrliche und Echte“ droht verloren zu gehen und somit auch die Werte, die damit verbunden sind. Parallelwelten sind schön und gut, aber das Wichtigste ist unserer Meinung nach immer noch die reale Welt.

Danone Headquarter, Frankfurt/Main, 2018, Danone Waters Deutschland GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)
Values, Berlin, 2021, Values Real Estate (Foto: Mark Seelen Photography)

Sie arbeiten in Berlin, in recht hellen Räumen mit hohen Decken, großen Fenstern und schönem Ausblick. Das klingt zunächst nach einem klassischen Büro-Setting. Ist das altbewährte Büro also immer noch eine gute und sinnvolle Lösung?

kdw: Ganz so klassisch sind unsere Büroräume auch nicht. Wir sitzen z. B. eher so, wie man sich die Räume von Architekten und Gestaltern in Fabriketagen vorstellt, in einer alten Schallplattenfabrik in Kreuzberg. Hell, hoch und mit tollem Ausblick auf die Spree. Was immer „altbewährt“ sein mag, aber sofern das Büro eine gute Flexibilität aufweist, atmosphärisch eine eindeutige Aufenthaltsqualität und identifikationsstiftende Räume schafft, wird der physische Büroraum weiter bestehen.

cdw: Das „altbewährte Büro“ wird so schnell nicht begraben, da bin ich mir sicher. Der Mehrwert der „greifbaren“, direkten Interaktion, ob das nun ein Brainstorming oder ein gemeinsames Frühstück ist, steht für die meisten immer noch ganz weit oben auf der must-have-list.

Sinner Schrader, Frankfurt/Main, 2018, Sinner Schrader AG (Foto: Mark Seelen Photography)
Axel Springer hy, Berlin, 2018, Axel Springer hy GmbH (Foto: Mark Seelen Photography)

Klaus de Winder Dipl.-Ing. Architekt (Architektenkammer Berlin), geb. in Nordhorn, seit 1991 als freischaffender Architekt tätig. Die Mitwirkung bei der Gründung des Fachbereichs Architektur an der FH Potsdam sowie Lehrerfahrungen an der TU Berlin, der FH Konstanz und der University of Nova Scotia in Halifax gehören ebenso zu seinen Referenzen wie die realisierten Projekte „Technologiehof Münster“ im Büro Bolles + Wilson in Münster und die mehrfach ausgezeichnete „Photonik“ für sauerbruch hutton architekten. Seit 1999 ist er mit der Architektin Claudia de Winder mit seinem eigenen Büro in Berlin-Kreuzberg mit dem Schwerpunkt Office Design für renommierte Unternehmen der New Economy, Kanzleien und der Beratungsbranchen tätig.

Claudia (Caroline) de Winder Dipl.-Ing. Architektin (Architektenkammer Bayern), geb. in München, seit 1993 als freischaffende Architektin tätig. Verschiedene Aufträge in Projektpartnerschaft für Prof. Michael Gaenssler in München, anschließend tätig für Wagner Architekten und die Dbm & Debis Immobilienmanagement und Grundstücksbeteiligungs GmbH in Berlin. Im Jahre 1999 dann Gründung des eigenen Büros in Berlin mit Klaus de Winder.

New Work, Sustainability und Home-Office im Fokus

Unter dem Motto „Home of Consumer Goods“ finden vom 3. bis 7. Februar 2023 erstmalig die Ambiente, die Christmasworld und die Creativeworld zeitgleich auf einem der modernsten Messegelände der Welt statt. Besonders die neue Ausgestaltung des Produktbereiches Working unter dem Dach der Weltleitmesse Ambiente schafft zukunftsorientierte Impulse. Denn bei Ambiente Working dreht sich alles um die Themen Bürobedarf und Büroausstattung – im Hinblick sowohl auf das klassische Office, aber auch mobiles Arbeiten, Home-Office, Co-Working-Spaces und Future of Work.

www.ambiente.messefrankfurt.com/working | www.consumergoods-frankfurt.com
 
Future of Work Academy an der Ambiente in Frankfurt

Die Future of Work Academy richtet sich an Architekten, Facility Manager und Planer wie auch an Händler für Bürobedarf und -einrichtungen. Nach seiner erfolgreichen Premiere 2017, beleuchten dieses Jahr insgesamt acht Vorträge die derzeitigen Veränderungen der Arbeitswelt, digitale Lösungen zur Zusammenarbeit sowie nachhaltige Konzepte für einen modernen Arbeitsplatz. An der Ambiente 2023 bietet die Future of Work Academy am 4. und 5. Februar von 10:30 bis 14:30 Uhr Vorträge, die jeweils anderen Sichtweisen auf das Thema Arbeit Raum geben. 

Vorträge an der Future of Work Academy am 4. und 5. Februar 2023

Peter Ippolito (Ippolito Fleitz Group), Nina Delius (schneider+schumacher, Sophia Klees (jack be nimble lighting | design | innovation), Klaus K. Loenhart (STUDIO TERRAIN), Prof. Tina Kammer (InteriorPark.), Klaus de Winder (de Winder Architekten), Hans Schneider (J. MAYER H. und Partner, Architekten), Monika Lepel (LEPEL & LEPEL Architekt Innenarchitektin)
​Ambiente Working – Future of Work Academy – Anmeldung

World-Architects ist Content-Partner der Messe Frankfurt.

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