Leidenschaft für Lehm
Martina Metzner
24. April 2019
In der Gesamtbilanz ein nahezu klimaneutrales Gebäude: die neue Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt von Haascookzemmrich STUDIO 2050. (Bild: Roland Halbe)
Mit dem Alnatura Campus in Darmstadt ist Haascookzemmrich STUDIO 2050 ein Meilenstein in Sachen Nachhaltigkeit und zukunftsweisendem Lehmbau gelungen.
Noch sind die Außenanlagen nicht fertig, drinnen jedoch herrscht bereits seit Wochen rege Betriebsamkeit: Die Mitarbeiter*innen des Lebensmittelanbieters Alnatura sind bereits Anfang 2019 vom bisherigen Firmensitz in Bickenbach an der Bergstraße in den neuen Campus gezogen, der auf einem ehemaligen Kasernengelände im Südwesten von Darmstadt entstanden ist. Er ist von einem Kiefernwald umgeben. Das Bürogebäude ist auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz getrimmt und bietet überdies eine innovative Arbeitsumgebung.
Über ein großzügiges Atrium sind alle drei Ebenen miteinander verbunden. (Bild: Roland Halbe)
Nachhaltige GestaltungDurch die verwendeten Materialien, die Ausnutzung der klimatischen Bedingungen vor Ort und eine überlegte Konstruktion ist der Energieverbrauch des Neubaus sehr gering. Natürliche, emissionsarme und wiederverwendbare Baustoffe verhelfen dem Gebäude nicht nur zu einer guten Ökobilanz, sondern tragen auch zur Gesundheit der Nutzer*innen bei. Um dies zu erreichen, habe man in der Entwurfsphase mit der TU München zusammengearbeitet, so Martin Haas vom verantwortlichen Architekturbüro Haascookzemmrich STUDIO 2050. Das Gebäude und seine Architektur wurden auf einen langen Lebenszyklus von 30 bis 50 Jahre ausgerichtet.
Durch ein Oberlichtband in der asymmetrischen Satteldachkonstruktion fällt Licht ins Atrium. (Bild: Roland Halbe)
Zu den Besonderheiten des Gebäudes zählt der Einsatz einer innovativen Konstruktion aus Stampflehm, die mit einer geothermischen Wandheizung ausgestattet ist. Außergewöhnlich sind auch die komplett offen gehaltenen Büroflächen auf drei Ebenen zu insgesamt 13'500 Quadratmetern. Die asymmetrische Satteldachkonstruktion aus Holz, die das Gebäude überspannt und vom Ingenieurbüro Knippers Helbig ausgeführt wurde, ist mit akustisch wirksamen Holzlamellenelementen versehen.
Durch die verglasten Stirnseiten, bodentiefe Fenster und ein Oberlichtband fällt viel Licht in die hellen Innenräume. Betritt man das Gebäude, so gelangt man zunächst in ein großzügiges Foyer. Linker Hand befindet sich ein vegetarische Restaurant der Schweizer Kette Tibits – deren erstes in Deutschland. Man blickt sogleich ins Atrium: Mehrere Brücken und Treppen schwingen sich durch dessen Luftraum und verbinden die Etagen miteinander. Martin Haas spricht von einer „Werkstatt für Ideen, die durch Einfachheit besticht.“ Für das Bürokonzept haben Haascookzemmrich STUDIO 2050 mit dem Möbelhersteller Vitra zusammengearbeitet.
Während im Außenraum noch gearbeitet wird, haben die Mitarbeiter*innen ihre Arbeitsplätze drinnen schon bezogen. (Bilder: Martina Metzner)
Offene ArbeitsweltenIm Haus gibt es keine Einzelbüros für die rund 450 Alnatura-Mitarbeiter*innen. Die Flächen sind abwechslungsreich und flexibel gehalten; zwischen Konzentration und Agilität, zwischen Einzel- und Gruppenarbeit sowie der kurzen Erholung sind viele Arbeitsformen möglich. Die Schreibtische sind in Reihen und Gruppen organisierten. Dazwischen findet sich bemerkenswert viel Freiraum. Die Atmosphäre ist freundlich. Die Räumlichkeiten werden von naturbelassenem Holz, viel Textil und überwiegend hellen Farben geprägt. Die geschwungenen Brüstungen unterstreichen zusätzlich den Eindruck von Leichtigkeit und Freundlichkeit. Ein Change-Prozess unter Einbeziehung der Belegschaft begleitete den Umzug. Selbst Alnaturas Gründer und Chef, Götz Rehn, sitzt nun auf der dritten Etage im offenen Büro – inmitten seiner Angestellten.
Aufgrund des offenen Raumes wurde besonderer Wert auf die Schallabsorption gelegt. So wurde nicht nur eine akustisch wirksame Holzlamellendecke eingezogen, sondern auch ebensolche Textilien und Teppichböden integriert und spezielle Absorberstreifen aus Blähbeton in die Betondecken eingelassen. Diese wurden von Max Frank in Kooperation mit dem Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) entwickelt. Zudem reguliert der Lehm auf natürliche Weise den Schall. Die gute Akustik habe die meisten Mitarbeiter überrascht, kommentiert Martin Haas das fertige Ergebnis.
Der nahe Kiefernwald dient als Quelle für Wärme und Frischluft. (Quelle: Haascookzemmrich STUDIO 2050)
Innovativer LehmbauBesonders charakteristisch sind die Wände aus Stampflehm, die in Zusammenarbeit mit dem Lehmbau-Experten Martin Rauch und der Firma Transsolar entstanden sind und vor Ort gefertigt wurden – unter anderem mit Erde aus dem Aushub des Großprojekts Stuttgart 21. 384 Lehmblöcke wurden zu 16 je 12 Meter hohen, selbsttragenden Wandschreiben aufgeschichtet. Die insgesamt 70 Zentimeter starken Lehmwände verfügen über eine Kerndämmung aus Schaumglasschotter. Um der Oberflächenerosion entgegenzuwirken, wurden horizontale Erosionsbremsen aus Ton und Trasskalk eingebracht. Auf den Innenseiten sind die Mauern mit Kasein bestrichen. Dies soll ihre sensiblen Oberflächen schützen. Eine konstruktive Herausforderung stellte die Verankerung der Geschossdecken aus Beton dar, weil die Toleranzen der Baustoffe sehr unterschiedlich sind.
Eine Pionierleistung ist auch die eingelassene Wandheizung, die von Transsolar entwickelt wurde. Als Wärmequelle dient dabei Luft aus dem westlich gelegenen Kiefernwald, die über Ansaugtürme ins Innere gelangt und zudem die Wärmepumpe speist. Auch die natürliche Belüftung bedient sich der Luft aus dem nahen Waldstück. Sie strömt durch einen Erdkanal ein und wird dabei passiv vorkonditioniert, sodass der zusätzliche Kühlbedarf gering bleibt. Die hohe Wärmespeicherfähigkeit des Lehms sorgt für ein stabiles Temperaturniveau. Im Sommer werden durch die Verdunstungskühlung des Lehms Wärmeinseln vermieden. So entsteht ein behagliches Raumklima.