Orgatec 2018 Rückschau

Arbeitsplatz to go

Martina Metzner
31. Oktober 2018
Flexibel einsetzbarer Bistrotisch zum Mitnehmen von Relvão Kellermann für Gumpo (Bild: Gumpo)

Gestandene Businessmenschen, die auf rosa Sofas oder rosa Bänken schaukeln oder wippen? Kein verrückter Traum, sondern ein Blick auf die diesjährige Orgatec und damit in die Zukunft unseres Büroalltags. So kindlich verspielt und wohlig weich wie in diesem Jahr war die Messe für Objekt- und Arbeitswelten wohl noch nie. Das Büro wird zum Smart Hub, zum Wohnzimmer, zur Spielwiese. Man arbeitet, wann, wie und wo man will. Vor allem flexibel, agil und kollaborativ. Alles schon gehört? Stimmt. Aber es geht noch ein bisschen mehr.

Kein Hersteller will nur mehr schnöde Produkte vorstellen. Es gehe um ganze Topographien, neue Kulturwelten, heißt es bei vielen. Dabei arbeiten die Hersteller zunehmend Seit' an Seit' mit Planern und haben ganze Studien und Planning Tools entwickelt, um diesen Prozess zu begleiten. Viele haben strategische Partnerschaften mit anderen Herstellern geschlossen und versuchen so, ein ganzes Projekt abzudecken.

„Scala“ von Konstantin Grcic für Vitra ist für Talks gedacht (Bild: Vitra)
„Soft Work“ von Barber & Osgerby für Vitra (Bild: Vitra)

Die Millenials seien es bereits gewohnt, keinen eigenen Arbeitsplatz mehr zu besitzen, heißt es bei Steelcase. Zusammen mit Studenten der AMD, dem Innenarchitekturbüro Brandherm + Krumrey, der AIT und weiteren Herstellern zeigte der US-Anbieter ein Konzept unter dem Namen „Work to go“. Demnach kann Arbeiten in der Zukunft so aussehen: Von den gepolsterten Hocker auf dem so genannten Marktplatz in der Mitte des Standes wechselt man in die verschiedenen Arbeitsbereiche, die unterschiedlichen Ansprüchen genügen, von konzentrierter Einzelarbeit bis hin zur intensiven Teamarbeit.

Gearbeitet wird nun weich und gemütlich wie in „Plenum“ von Jaime Hayon für Fritz Hansen (Bild: Fritz Hansen)

Und wer keinen eigenen Arbeitsplatz mehr besitzt, muss wissen, welcher frei ist. So stellen VS Vereinigte Spezialmöbelfabriken eine Software vor, die anzeigt, welche Arbeitszonen gerade besetzt sind und welche sich buchen lassen. Haworth geht noch einen Schritt weiter und präsentiert einen kleinen Chip, der schon bald jedem seiner Objekte implementiert werden soll und Auskunft über Belegung, Sitzdauer und vieles mehr gibt. Auch Gita soll in Zukunft das Arbeiten erleichtern, Konzept eines von Piaggio geförderten Start-ups aus Boston: Ein rundlicher, roter und elektrifizierter Rollcontainer, der seinem „Herrchen“ oder „Frauchen“ auf Schritt und Tritt folgt – oder schon mal, mit Akten beladen, zur nächsten Konferenz fährt. Mehr, als in Gita hineinpasst, wird im digitalisierten Büro auch nicht mehr an real-gegenständlichen Unterlagen gebraucht, so die Vision. Das lässt sich allenthalben auch an den Spints ablesen, wo man seine persönlichen Sachen verstauen kann.

Hieß es vor Jahren noch „das Büro ist tot“, lautet der Wahlspruch nun: „Der Arbeitstisch ist tot“. So formulieren es zumindest die Londoner Designer Edward Barber und Jay Osgerby, die für Vitra „Soft Work“ vorstellen, ein Sofa, das höher aufgestellt und härter gepolstert ist als seine Brüder für private Zwecke. Denn: Arbeit werde sich mehr in öffentliche Bereiche wie Hotellobbies und Coworking-Areas verlagern, prophezeit das Duo. Auch „Scala“ von Konstantin Grcic ist gepolstert: eine Arena mit Stufen, auf der man sich Talks anhören kann. Bei Wilkhahn lehnt man sich an eine gepolsterte Wand mit kleiner Mulde zum kurzen Plausch an („Landing“ von RSW Rudolph Schelling Webermann) oder nimmt auf einem „Sitzbock“ Platz. Bei Nurus wippt man auf einem gepolsterten Kussmund. Wer will da noch auf einem spießigen Bürodrehstuhl sitzen?

Kinderträume werden wahr – „Splaces“ von Interstuhl (Bild: Interstuhl)

Nicht nur Vitra orientiert sich mit seinen Landschaften an unterschiedlichen Bedürfnissen von Unternehmen. Ganz vorne stehen die viel besprochenen Co-Working-Spaces und Start-up-Offices, die sich durch eine Vermischung von Lounge, Café und Office sowie Plätze für agile Team- oder Einzel-Arbeit auszeichnen. Möbel mit Multifunktionscharakter sind gefragt, die sich schnell umbauen lassen können. Ganz vorne dabei sind flexibel einsetzbare Raumtrenner, die ad-hoc Räume und Zonen schaffen, wie etwa die „Moving Walls“ des Schweizer Designs Jörg Boner, die als White-, Akustik- sowie Pin-Board benutzt werden können. Ähnlich flexibel lässt sich auch „Team“ von Jehs + Laub für Brunner bedienen. Die „Dancing Wall“ von dem ebenfalls aus der Schweiz stammenden Stephan Huerlemann für Vitra ist mit deutlich mehr Gadgets ausgestattet: Man kann nicht nur darauf schreiben, sondern auch einen TV-Screen oder sogar Pflanzen einbauen. Geschmeidiger wird’s mit Vorhängen: Der Akustik-Spezialist BuzziSpace stellt das Gestell „Bracks“ samt neuen transparenten Akustik-Stoff „Drops“ von Patricia Urquiola für Kvadrat vor, der Systemhersteller für Bühnenvorhänge Gerriets baut nun sogar ein Fenster in seinen automatisch und lautlos fahrenden Schalldämm-Vorhang ein.

Auch der Schreib- und Konferenztisch wird extrem flexibel: Beine sind schnell abnehm-, die Platten schnell umklappbar und können an der Wand aufgehängt werden, dienen dort etwa als White Board – zu sehen etwa bei Walter Knoll („Deen“), Wilkhahn („Timetable Lift“), Lammhults („Detach“) oder auch bei Moving Walls. Eine Studie von König + Neurath treibt es auf die Spitze: ein Tisch mit einem automatisch fahrbaren Bein, der einen kompletten Digitalscreen aus der Horizontalen in die Vertikale bringen kann. Zudem gibt es auch jede Menge Alcove-Tische, die eingehüllt sind von raumtrennenden Schalen, wie etwa bei Brunner („Cellular“) oder selbst beim Edellederanbieter Poltrona Frau („Trust“). Auffällig: Vermehrt wird Holz als Material für Tischbeine und -platten eingesetzt und soll so die wohnliche Atmosphäre unterstützen.

Wippen auf Lippen: „Lips“ von Nurus (Bild: Nurus)
Raumtrenner als Pinnwand, White- und Akustikboard zugleich von Moving Walls (Bild: Moving Walls)
Klappbarer und fahrbarer Tisch „Timetable Lift“ und „Sitzbock“ von Wilkhahn (Bild: Wilkhahn)
Arbeiten in der Gartenlaube: mit „Interaction“ von König + Neurath (Bild: König + Neurath)

Dass Akustik in Innenräumen weiterhin ein drängendes Thema ist, erkennt man an immer mehr Unternehmen, die sich alleine auf diese Sparte spezialisieren. Beim schwedischen Anbieter Abstract kann selbst eine Tischplatte aus Multiplex Schall deutlich reduzieren, in der Löcher eingelassen sind. Dass die Großraumbüros dennoch Platz für ungestörtes Arbeiten benötigen, macht sich an den Zellen bemerkbar, die man an vielen Ständen auf der Orgatec zu Gesicht bekommt. Dies „Pods“ oder „Cubes“ werden in unterschiedlichen Ausstattungsstufen, mal für eine Person oder auch für mehrere angeboten, mal mit oder ohne Boden, mal mit oder ohne Belüftung, aber immer transparent und irgendwie hip. Framery aus Finnland und Teil der Haworth-Gruppe hat sich auf das Segment spezialisiert, aber auch andere wie König + Neurath, VS oder Sedus setzen nun auf diese übergroßen Telefonzellen.

„Landing“ von Wilkhahn ist für den soften Small-talk gedacht (Bild: Wilkhahn) | Ab in die rosa Einzelzelle von Framery (Bild: Framery)

Doch weiterhin gibt es noch eine ganze Reihe, die an den Bürodrehstuhl glauben. Auffallend sind die besonders filigran gearbeiteten, preisgünstigen Modelle, deren Rückenlehne sich dank ausgeklügelter Mechanik automatisch ans Gewicht anpasst und für „Wechselarbeitsplätze“ gedacht sind. Etwa der „D1“ von Wagner, den der Münchner Designer Stefan Diez für diesen Zweck mit einem speziellen, in Gummi gelagerten „Dondola“-Gelenk unterhalb des Sitzes versehen hat. Auch Interstuhl („PUREis3“) sowie König + Neurath („Jet.III“) und Sedus („Se:flex“) haben solche Selbstversteller im Programm.

Es geht aber auch anders. Der Arbeitstisch bleibt, allerdings besser gestaltet – das Gegenmodell, zu sehen am Stand von Gumpo. Zusammen mit dem Designerduo Ana Relvão und Gerhardt Kellermann hat das niederbayrische Traditionsunternehmen sein Programm überarbeitet und um Klassiker wie einen Konferenztisch, Bistrotische, Spinte und Rollcontainer in zeitgenössisch-schlichter Anmutung und mit intelligenten Detaillösungen ausgebaut. Ob und wann das Büro oder der Arbeitstisch wirklich sterben, ist also noch verhandelbar.

„Bracks“ von BuzziSpace ist modular aufstellbar (Bild: BuzziSpace)
Ökologisch korrekter Raumtrenner aus Pappe von Molo (Bild: Molo) | Minimalarbeitsplatz „Cila Go“ von Arper (Bild: Arper)
Mit dem Polster-Sitzmöbelprogramm „Cor Lab“ will Cor das Büro erobern (Bild: Cor)
Gemütlich und aneinanderreihbar ist „Cellular“ von Brunner (Bild: Brunner)

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