Quartiersgedanken

Wick + Partner Architekten Stadtplaner
5. Juni 2019
Blick auf den Quartiersplatz von Norden (Skizze: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Am nordöstlichen Reutlinger Stadtrand sollte auf einer circa ein Hektar großen Fläche eine bestmögliche Planungskonzeption ermittelt werden für die Neubebauung von qualitätsvollen, unterschiedlichen Wohnformen im Sinne der Stadt der kurzen Wege. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die Stadt Reutlingen stellt sich wie andere dynamisch wachsende Kommunen ihrer Entwicklungsaufgabe einer hohen Wohnbaunachfrage. Die Fläche „Hinter der Hopfenburg“ ist nicht zuletzt aufgrund des aktiven Grundstückserwerbs der Stadt als Potenzialfläche mit kurzfristiger Realisierungschance ermittelt. Zur Sicherung einer bedarfsorientierten Wohnraumversorgung ist auf dem Plangebiet anteilig die Schaffung von preiswertem Wohnraum vorgegeben.

Das Plangebiet „Hinter der Hopfenburg“ stellt dabei einen zukunftsfähigen Standort der Wohnbauentwicklung dar. Die Nähe zum Bahnhof, die Anbindungen zur Ortsmitte Sondelfingen und die Reutlinger Innenstadt sowie die topografische Ausrichtung der Hanglage nach Südwesten mit ihren bestehenden Gehölzstrukturen versprechen Entwicklungschancen.

Dennoch liegt die Fläche heute brach und wirkt aufgrund der weiteren Rahmenbedingungen wie die Bahntrasse in Dammlage im Süden, die Randlage zum Siedlungsbereich an der Hopfengartenstraße im Norden und die grüne Kulisse an der Straße „Hinter der Hopfenburg“ versteckt. 

Lageplan (Zeichnung: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Das Plangebiet ist in seiner stadtstrukturellen Lage und seinen Verknüpfungen in die weitere Umgebung ein Wohnstandort besonderer Prägung. Für diese außergewöhnliche Situation gilt es, ein Identifikation stiftendes Element für das Wohnen im Quartier in Szene zu setzen: der Quartiersplatz bildet die räumliche und ideelle Mitte des neuen Quartiers. Die Wohnbauten rahmen hierzu eine offene Quartiersstruktur. Von allen Gebäuden ist der Bezug zum Platz gegeben. Das Konzept stellt den Quartiersgedanken damit in seiner räumlichen und sozialen Ausprägung in den Vordergrund.

Über den Quartiersplatz, an dem in den Erdgeschossbereichen gebietsergänzende Nutzungen angesiedelt sein können, führen alle Wege, die über das Plangebiet hinaus in die angrenzenden Bereiche anbinden und quartiersübergreifende Bezüge in die Bestandsgebiete herstellen. Innerhalb des Plangebiets sind keine Erschließungsstraßen vorgesehen. Damit kann ein autofreies Wohnquartier hoher Wohn- und Aufenthaltsqualität geschaffen werden.

Das Bauvolumen wird mit seiner Höhenentwicklung kompakt im Plangebiet konzentriert, so dass neben der bewusst gewählten urbanen Quartiersstruktur ein hoher Anteil unversiegelter Flächen mit Erhalt der Gehölze gesichert bleibt. Die bauliche Überhöhung an der Südwestecke bildet den Quartierseingang und wird gleichzeitig bauliches Merkzeichen für den weiterhin grünen Ortseingang von Süden kommend.

Piktogramme (Zeichnung: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Welche Nutzungsverteilungen sieht Ihr Konzept vor?

In den vorgeschlagenen Gebäudestrukturen ist ein vielfältiger Wohnungsmix nach den Anforderungen der Stadt Reutlingen realisierbar. Die überwiegende Anzahl der Wohnungen ist als durchgesteckte Wohnungen konzipiert, so dass je nach Orientierung die Grundrissorientierung den unterschiedlichen Lagen folgen kann. Auch Baugruppeninitiativen finden entsprechende Bausteine.

In den Erdgeschossen zum Quartiersplatz sollen Nicht-Wohnnutzungen zur Förderung einer Nutzungsmischung angesiedelt werden. Sie tragen dadurch zur Belebung des öffentlichen Raums beitragen. Ob dies ein Dienstleistungsangebot oder eine kleine Fahrradwerkstatt sein wird, muss sich im weiteren Verfahren zeigen. Von quartiersübergreifenden Versorgungseinrichtungen innerhalb des Plangebiets wird bewusst abgesehen, da dies nur zu Lasten der Anwohner erreichbar wäre und der Ortsmitte Sondelfingen Konkurrenz machen würde.

Das südliche Gebäude am Quartiersplatz soll als „Quartiershaus“ entstehen. Hier können in den unteren Geschossen (Erdgeschoss, 1. Obergeschoss) zum Beispiel gemeinschaftliche Räume oder mietbare Räume angeordnet werden, in denen Quartiersfeste oder Familienfeste veranstaltet werden. Ein solches Angebot erlaubt dem Einzelnen, in der privaten Wohnung mit weniger Fläche auszukommen.

Grundrisse Erdgeschoss (Zeichnung: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Schnitt (Zeichnung: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Welche Rolle kommt der Freiraumplanung zu?

Bei allen unseren Projekten steht der Freiraum untrennbar von der gebauten Stadt im Vordergrund. Stadt- und Freiräume sind Identität stiftend und übernehmen eine wesentliche, integrierende Funktion in der Quartiersentwicklung. Folglich bearbeiten wir alle Aspekte unsere Projekte mit interdisziplinären Teams im Büro. 

Im vorliegenden Entwurf bilden innerhalb der Gebietsstruktur der Quartiersplatz als Mitte und die den Wohngebäuden zugeordneten Wohnhöfe jeweils ihre besonderen Aufenthaltsqualitäten und Möglichkeiten zum gemeinsamen Treffen und nachbarschaftlichen Austausch.

Während der Quartiersplatz überwiegend als befestigte Platzfläche mit bewusst gesetztem Quartiersbaum gestaltet ist, sollen die Wohnhöfe durch die Bewohner nach deren Vorstellungen gestaltet werden. Von intensiver gärtnerischer Bepflanzung, über Flächen zur Regenrückhaltung im Rahmen des Wassermanagements bis hin zu „urban gardening“ stehen die Flächen einer Aneignung offen.

Welche übergreifenden Qualitäten waren Ihnen besonders wichtig?

 Wir suchen in unserem konzeptionellen Ansatz eine robuste Struktur, die auf die im Umsetzungsprozess folgenden Konkretisierungen und Anpassungen noch reagieren kann und dennoch bereits Lösungsansätze für die ortsgebundenen Anforderungen bietet.

Zum Schallschutz: durch die kompakte Bebauungsstruktur ist eine gegenseitige Abschirmung und Schutzfunktion gegen Lärmeintrag gewährleistet und sind die Freiräume geschützt. Daher ist auch der südliche Quartiersrand geschlossen ausgebildet. Für die Wohnungen, die direkt den Lärmquellen ausgesetzt sind, werden durch Grundrissorganisation und -orientierung Maßnahmen ergriffen. Wintergärten lassen eine Belichtung und Besonnung der Wohneinheiten von Süden zu. Die Belüftung erfolgt über die ruhigen Wohninnenhöfe, zu denen auch die Schlafräume orientiert sind.

Zum Klima: parallel zur Straße „Hinter der Hopfenburg“ und gegenüber dem Hochhaus bleiben die relevanten Frischluftschneisen erhalten. Die kompakte Bebauungsstruktur reduziert die Süddisposition gegen die Kaltluftfließrichtung. 

Zur Konstruktion: grundsätzlich können die Gebäude oberhalb der Tiefgaragendecke in unterschiedlichen Konstruktionssystemen bis hin zu Modulbauweisen, auch in Holzbau, erstellt werden. Damit können im weiteren Planungsverfahren mit dem Ziel der Kostenreduktion unterschiedliche Umsetzungsstrategien geprüft und zur Anwendung kommen.

Zur Ökologie: die kompakte Bebauungsstruktur des Quartiersansatzes sichert einen hohen Anteil unversiegelter Flächen mit Erhalt der Gehölze. Ein Flächenanteil mit hoher Biodiversität kann damit erhalten bleiben und mindert die Eingriffswirkung bezüglich Arten- und Naturschutz. 

Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit?

Nach der Wettbewerbsentscheidung wurde zunächst eine Öffentlichkeitsbeteiligung mit dem ausgewählten Konzept durchgeführt. Eine rege Beteiligung brachte vielfältige Anregungen, jedoch auch Kritik bezüglich der vorgeschlagenen Dichte. Diese Anregungen fließen in die weitere Entwurfsbearbeitung ein.

Für die weitere Vertiefung der Planung ergeben sich zudem ergänzende Rahmenbedingungen, so ist voraussichtlich noch eine Kindertagesstätte zu integrieren. Dies bietet weitere Chancen für die Belebung des Quartiers. Der Rahmenplan als Grundlage der verbindlichen Bauleitplanung soll im Jahr 2019 erstellt werden. 

Modell (Foto: Wick + Partner Architekten Stadtplaner)
Städtebauliche Entwicklung für das Gebiet „Hinter der Hopfenburg“ in Reutlingen
Einladungswettbewerb

Auslober/Bauherr: Stadt Reutlingen, Reutlingen

Jury
Dr. Eckart Rosenberger, Vors. | Prof. Dr. Gerd Baldauf | Stefan Dvorak | Bärbel Hoffmann | Ulrike Hotz | Carolin von Lintig

1. Preis
Architekt: Wick + Partner Architekten Stadtplaner , Stuttgart

ein 3. Preis
Architekt: Schwille Architekten, Reutlingen
Landschaftsarchitekt: Freiraumplanung Sigmund Landschaftsarchitekten GmbH, Grafenberg

ein 3. Preis
Architekt: Hähnig + Gemmeke Freie Architekten BDA, Tübingen

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