Maßstäblichkeit und Eleganz

Kleihues + Kleihues
10. April 2019
Lageplan
In zentraler Berliner Lage in Moabit nahe des Hauptbahnhofs und in unmittelbarer Nähe zum noch entstehenden S-Bahnhof „Perleberger Brücke“ soll in der Europacity Berlin ein Hochhaus in Mischung aus kleinteiliger, sowie großteiliger Nutzung für Büro-, Verwaltungs- und Gewerbeflächen entstehen. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?

An der Schnittstelle zwischen neu entstehendem Stadt- und gründerzeitlichem Wohnquartier sowie Gewerbe- und Industrieflächen zu bauen stellt eine große Herausforderung und einen wichtigen Lückenschluss dar. Zunächst ist der städtebauliche Rahmen durch die großmaßstäblichen Verkehrsstrukturen sowie die Vorgaben des B-Plans zur Heidestraße präzise defininert. Der Baukörper soll hier als städtebauliche Dominante in Erscheinung treten und gleichfalls als „Empfangsgebäude“ der Europacity fungieren. Damit bietet sich die Chance, in einem heterogenen Umfeld sowohl eine städtebauliche Harmonie herzustellen als auch einen akzentuierten Abschluss bzw. Auftakt zu bilden. Dementsprechend reagiert der Baukörper auf die Richtungsänderung der Stadtstruktur, die durch die Hauptverkehrsachsen Heidestraße / Perleberger Straße vorgegeben wird, indem er mit dem umlaufenden Plateau die Raumkanten der Straßen ganz natürlich aufnimmt. Der Höhepunkt des Gebäudekomplexes richtet sich als Abschluss einer aufsteigenden Höhenentwicklung folgerichtig zur Perleberger Straße hin aus. Der südliche Gebäudeteil nimmt hingegen Höhenbezug zur geplanten Nachbarbebauung der Heidestraße auf. 

Um zur Belebung des öffentlichen Raums beizutragen, bildet das Volumen sowohl an der Heide- als auch Richtung Perleberger Straße mehrere gut dimensionierten, städtische Vorplätze aus. Die Erdgeschossnutzung durch (Bike-)Cafés etc ergänzt das Programm. In der Eingangshalle wird einem zudem der direkte Durchblick auf den grünen, oasenartigen Hof ermöglicht, auch der direkte Bezug zum Nordhafen-Becken ist gegeben, indem ein Sichtbezug schon im Erdgeschoss über die Heidestraße hinweg hergestellt wird - sowohl aus dem Gebäude als auch auf das Gebäude entstehen interessante Blickachsen. 

Blick vom Park
Gab es Bezugsbilder, die Sie im Entwurf umsetzen wollten?

Bezugsbilder im Sinne formaler Vorbilder interessieren uns in der Regel nicht, wichtig sind uns beim Entwerfen der Ort, die Funktion und die Ordnung.

Gab es Vorgaben zu den Büro-Standards?

Es sollte ein Gebäude entwickelt werden, das sowohl mit Bürolayouts wie Co-Working-Spaces als auch als Headquarter/Konzernzentrale funktioniert und welches außerdem die Funktionen Gastronomie, z. B. Cafés oder Mitarbeiterrestaurants, Meeting, Konferenz und Möglichkeiten für interne Events beinhaltet.
Neben den Anforderungen an die üblichen Arbeitskonzepte Zellenbüro, Kombibüro, Open Space und Mischnutzung sind die Gebäudetiefen laut Ausschreibungstext so zu wählen, „dass eine optimale natürliche Belichtung gewährleistet wird. Dabei ist eine Flexibilität in der Gebäudetiefe denkbar. In den Regelgeschossen sind Gebäudetiefen über 18 m Innenmaß und einseitige Belichtungen über 9 m Innenmaß zu vermeiden“. Diese – wie wir finden – schlauen Vorgaben haben wir nicht als Einengung gesehen, sondern als Chance und Herausforderung, ein gut funktionierendes, ökonomisches und dabei schönes Gebäude zu entwickeln. 

Blick von der Straße
Wie organisieren Sie das Hochhaus am Nordhafen?

Das neue Gebäude soll neben dem Identifikationsanspruch des künftigen Nutzers auch allen funktionalen Aspekten eines zeitgemäßen Bürogebäudes vollauf gerecht werden. Durch den Entwurf nur eines Baukörpers können zusammenhängende Flächen von 1.000 m² bis zu 2.500 m² bei nur zwei Erschließungskernen eingerichtet werden. Mit diesen beiden Erschließungskernen sind bis zu sechs Mieteinheiten pro Geschoss erreichbar. Damit ist ein Höchstmaß an Flexibilität für die Nutzung sowohl als Multi-Tenant als auch als Single-Tenant gegeben. Dank dieser ‚robusten‘ Einfachheit der Grundrisse lassen sich alle gängigen und auch zukünftigen Bürolayouts umsetzen. 

Grundriss Erdgeschoss
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Unser Entwurf für das Hochhaus am Nordhafen ist charakterisiert durch drei in der Höhe abgestufte Gebäudeabschnitte, die sich im Grundriss sternförmig ausbreiten und dem Haus dadurch seine markante, geschwungene Form geben. An der Straße entsteht dadurch eine Folge unterschiedlich dimensionierter Flächen, die die ca. 120 Meter lange Fassade rhythmisieren. Dieser Ausdruck, der durch die Gliederung in Sockel, Mittelteil und Abschluss noch unterstützt wird, verleiht dem Gebäude gleichzeitig Maßstäblichkeit und Eleganz, ohne den vorhandenen Kontext zu ignorieren. Verstärkt wird die Wirkung durch das schlanke Fassadenraster - eine vorgelagerte Ziegelstruktur - die wie ein Netz über dem Gebäude liegt und die fließende Bewegung des Baukörpers betont. Obwohl hier keine kostenintensiven runden Glasscheiben, sondern polygonal angeordnete, gerade Scheiben verwendet werden, erscheinen die Ecken des Gebäudes wegen der durchlaufend geschwungenen Horizontalbänder rund. Diese formale Gleichmäßigkeit lässt nach außen hin ein wohlproportioniertes und vor allem hierarchieloses Volumen entstehen, das sowohl bei Multi-Tenant als auch Single-Tenant Vermietung den einzelnen Nutzer immer auch als Teil des Ganzen erkennen lässt. Es entsteht ein Solitär ohne Rückseiten.

Lobby
Büros
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Das Entwurfskonzept basiert auf dem Gedanken, einen unverwechselbaren architektonischen Ausdruck zu entwickeln, der sowohl mit dem Ort im Speziellen aber auch mit der Berliner Bautradition im Allgemeinen verknüpft ist. Dabei sollen Stilmerkmale historischer Gewerbebauten nicht kopiert, sondern deren Grundprinzipien in eine neue Architekturform übertragen werden. Das plastische Ornament wird dabei mit dem Mittel der Abstraktion auf ein prägnantes, weil durchlaufendes Bild reduziert. Das hier zugrunde liegende Prinzip der Reduktion des Details ist auf die Betrachtung aus der Entfernung angelegt und bildet die Grundlage für die Entfaltung der skulpturalen Wirkung des Baukörpers. Diese Entwurfshaltung wird ergänzt durch die Verwendung eines hellroten Klinkers – einem ortstypischen Material, das in Würde altert und Patina ansetzt. 

Detail
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Voraussichtlich 2023.

Vogelschau
Hochhaus am Nordhafen in Berlin
Nichtoffener Wettbewerb, zweiphasig
 
Auslober/Bauherr: CA Immo Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, Berlin, Köln, München 
Betreuer: Drees & Sommer Projektmanagement und bautechnische Beratung GmbH, Erfurt, Stuttgart, Kiel, München , Berlin, Köln, Hamburg
 
Jury
Prof. Johann Eisele, Vors. | Prof. Ruth Berktold | Prof. Antje Freiesleben | Georg Gewers
 
1. Preis
Arch.: Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin, Dülmen-Rorup
 
ein 3. Preis
Arch.: Schaltraum Dahle - Dirumdam - Heise Partnerschaft von Architekten mbB, Hamburg
Tragwerk: Werner Sobek, Stuttgart, New York , Moskau
 
ein 3. Preis
Arch.: Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main

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