Genossenschaftliches Leben am Herkenbuscher Weg
gernot schulz : architektur
18. September 2024
Die Baukörper stehen teils sehr eng beieinander, öffnen sich durch ihre polygonale Form aber stets wieder zu qualitätsvollen Freiräumen. (Visualisierung: gsa)
Das Büro gernot schulz : architektur hat den Wettbewerb für Ersatzneubauten am Herkenbuscher Weg in Grevenbroich gewonnen. Gernot Schulz stellt den Entwurf seines Teams vor.
Herr Schulz, am östlichen Standrand Grevenbroichs soll sich neu ein qualitätvoller Gebäudekomplex in die bestehende Bebauung einfügen und den Ansprüchen eines zukunftsorientierten, nachhaltigen Wohnbaus gerecht werden. Welche Vorstellung von Wohnen und Gemeinschaft liegt Ihrem Entwurf zugrunde?Auftraggeber ist die Wohnungsbaugenossenschaft Bauverein Grevenbroich. Unser Fokus lag daher von Anfang an auf der Schaffung eines Quartiers mit gemeinschaftlich genutzten öffentlichen Räumen, die ein hohes Maß an genossenschaftlichem Leben ermöglichen. Die polygonalen Baukörper sind so angeordnet, dass Sie kleine Plätze bilden, aber auch zum Flanieren durch das Quartier einladen. Jede Wohnung erhält einen privaten Außenraum, im Erdgeschoss in Form von Mietergärten, in den Regelgeschossen als Loggien, im Dachgeschoss als großzügige Dachterrasse. Die Grundrisskonfiguration ist auf Wandelbarkeit ausgelegt, so dass Anpassungen für zukünftig geänderte Wohnungstypen und Wohnungsgrößen möglich sind.
Den erdgeschossigen Wohnungen sind kleine Gärten zugeordnet, die von den öffentlichen Wegen durch Bepflanzungen abgetrennt sind. (Skizze: gsa)
Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?Die größte Herausforderung war es, die im Gegensatz zur Bestandsbebauung deutlich vergrößerte Baumasse verträglich in die Nachbarschaft zu integrieren. Dem Wunsch nach einer erheblichen Baumassensteigerung auf dem Grundstück sind wir mit einem Ensemble aus polygonalen Baukörpern begegnet, welches vielfältige Durchblicke sowohl für die Bewohnerschaft als auch die Nachbarschaft erlaubt. Offene Loggien an den Gebäudeecken, großzügige Staffelgeschossrücksprünge und eine feine Fassadentektonik sorgen darüber hinaus für die angestrebte Kleinmaßstäblichkeit der architektonischen Wirkung. Die baugleichen Häuser tragen den gewünschten Wohnungsmix jeweils einzeln in sich, so dass auch in den Häusern gemischte Nachbarschaften entstehen und Synergien aus hohen Wiederholungsfaktoren genutzt werden können.
Modell (Foto: gsa)
Wie fanden Sie zu den vorgeschlagenen Baukörpern?Im Zuge der Wettbewerbsbearbeitung haben wir zahlreiche städtebauliche Setzungen im Arbeitsmodell getestet und waren mit unseren orthogonalen Entwurfsansätzen nie wirklich glücklich. Zu groß war die Baumasse, zu schluchtartig und beengt die Freiräume. Die ersten polygonalen Arbeitsmodelle brachten die Erkenntnis, dass sich bei geschickter Anordnung der Gebäude nie zwei Fassaden direkt gegenüber stehen, die Blicke aus den Wohnungen gehen diagonal in die Weite. Die Baukörper stehen teils sehr eng beieinander, öffnen sich durch ihre polygonale Form aber stets wieder zu qualitätvollen Freiräumen.
Lageplan (Zeichnung: gsa)
Welche Bedeutung kommt der Freianlagenplanung zu?Perspektivisch könnten KFZ-Stellplätze für weitere Fahrrad-Stellplätze genutzt werden. Bei der Positionierung der Gebäude wurde darauf geachtet, wenn möglich große Bestandsbäume zu erhalten. Selbstverständlich bleibt die Zuwegung für Rettungsfahrzeuge über das innere Wegesystem sichergestellt. Zwei miteinander verbundene dreiecksförmige Quartiershöfe adressieren die Eingänge zu den Häusern und stellen Bewohner-Treffpunkte und Spielflächen dar. Die trichterförmigen Zuwegungen vom Herkenbuscher Weg öffnen das Quartier zur Nachbarschaft und laden zum spontanen Gespräch auf durch große Bestandsbäume beschatteten Bänken ein.
Den erdgeschossigen Wohnungen sind kleine Gärten zugeordnet, die von den öffentlichen Wegen durch Bepflanzungen abgetrennt sind.
An jedem Hauseingang sind dezentrale Fahrradstellplätze projektiert.
Abrissmaterial aus den Bestandshäusern soll in den Außenanlagen als Schotter (aufgearbeiteter Betonabbruch) und Bodenbeläge/Bänke (Abrissklinker) Wiederverwendung finden.
Ein erstes Konzept zum ruhenden Verkehr sieht vor, die geforderten KFZ-Stellflächen jeweils an den Schmalseiten des Grundstücks vorzusehen und das Innere des Grundstücks fahrzeugfrei zu halten. Die Stellplatzreihen sind durch Pflanzstreifen unterbrochen, so dass Baum- und Heckenpflanzungen zusammen mit Rasengitter die Stellplatzflächen auflockern.
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: gsa)
Wie organisieren Sie die Ersatzneubauten?Die Häuser sind baugleich ausgeführt, der gewünschte Wohnungsmix wird bereits in jedem Haus nachgewiesen, so dass auch in den Häusern gemischte Nachbarschaften entstehen. Ein ringförmiger Betonkern beinhaltet Treppenhaus, Aufzug und Sanitärkerne, steift die Gebäude statisch aus und stellt für die Wohnungen Speichermasse zum Schutz vor Überhitzung im Sommer bereit. Die Wohnraumbereiche werden in hochfeuerhemmender Skelett-Holzbauweise erstellt, wobei die Decken auf dem Betonkern und fassadenbegleitenden Stützen auflagern. Somit entsteht ein offen programmierbarer Ring aus Wohnraum der auch in Zukunft zu neuen Wohnungsgrößen und -typologien umgestaltet werden kann.
Schnitte und Ansichten (Zeichnung: gsa)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?Besonderers Augenmerk liegt neben der städtebaulichen Qualität vor allem auf dem Zukunftsthema Nachhaltigkeit. Das Konzept sieht einen massiven Kern mit flexiblem umliegenden Skelettbau vor, so dass die Struktur auch bei zukünftig geänderten Nutzerwünschen flexibel anpassbar ist.
Zunächst soll ein Bebauungsplanverfahren Planungssicherheit bringen. Der entsprechende Aufstellungsbeschluss wurde im Mai 2024 im Stadtrat verabschiedet. Momentan sieht die Planung eine Errichtung des Quartiers in zwei Bauabschnitten vor. Der erste Bauabschnitt könnte ab 2026 realisiert werden. Die Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts und somit des Gesamtprojekts ist für das Jahr 2029 avisiert.
Modell (Foto: gsa)
Einladungswettbewerb
Auslobung: BAUVEREIN GREVENBROICH eG
Betreuung: ISR Innovative Stadt- und Raumplanung GmbH, Düsseldorf
Jury
Prof. Anett-Maud Joppien, Architektin (Vors.) | Sven Möller, Architekt, Vorstand BAUVEREIN GREVENBROICH eG | Martin Klemmer, Architekt, Vorstand Dormagener Wohnungsbaugenossenschaft |Heinz Berger, Architekt | Prof. Volker Kleinkort, Architekt und Stadtplaner | Petra Heller, Vorständin BAUVEREIN GREVENBROICH eG | Dorothea Zimmermann, Aufsichtsratsvorsitzende BAUVEREIN GREVENBROICH eG | Dorothea Rendel, Leiterin des Stadtplanungsamtes Grevenbroich | Manfred Frank, stellv. Aufsichtsratsvorsitzender BAUVEREIN GREVENBROICH eG
1. Preis
gernot schulz : architektur GmbH, Köln | Prof. Gernot Schulz, André Zweering
Mitarbeit: Dominik Hesse, Eva Girzalsky, Jonas Lenkewitz
2. Preis
DUPLEX Architekten GmbH, Düsseldorf | Sarah Escher, Christof Weber, Anne Kaestle, Dan Schürch, Christine Bleickert, Annika Stein, Julia Böhnlein, Alexander Kullack
Mitarbeit: Christine Weber
3. Preis
Molestina Architekten + Stadtplaner GmbH, Köln | Prof. Juan Pablo Molestina, Prof. Thomas Fenner
Mitarbeit: Laura Garcia Blanco, Luka Hauschild, Tom Sudermann, Katharina Zimmer, Anisa Avduli, Joshua Raff
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