Die Stadt weiter zu bauen

BLAUWERK Architekten
15. Juni 2022
Blick über die Mozartstraße (Visualisierung: BLAUWERK Architekten)
In der Erlanger Innenstadt soll das Areal an der Mozartstraße 33 neu mit Gewerbe- und Wohnraum bebaut werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die Grundstücke befinden sich südöstlich der zentralen Innenstadt im Übergang zwischen großmaßstäblichen Gewerbebauten und einem heterogenen durchgrünten Wohngebiet. Aktuell ist eines noch mit einem Bürogebäude bebaut. Die grundsätzliche städtebauliche Frage war für uns, aber sicher auch für die anderen Entwürfe, ob wir uns strukturell an den nördlichen Wohngebäuden oder den südlichen und westlichen Gewerbebauten orientieren beziehungsweise einen Übergang zwischen den unterschiedlichen Seiten auf dem Grundstück selbst formulieren. 

Auf dem nach Osten angrenzenden Ideenteil befindet sich ein Umspannwerk, welches erhalten bleiben musste. Es steht auf einem schmaleren Streifen, der Potenzial als grüne öffentliche Fläche hat, aber auch teilweise für Neubauten genutzt werden soll. Dort war abzuwägen wie viel Bebauung bei einem gleichzeitigen Freiflächenangebot für die Öffentlichkeit möglich und sinnvoll ist. 

Baukörper (Piktogramm: BLAUWERK Architekten)
Begrünung (Piktogramm: BLAUWERK Architekten)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Das Projekt hat sich wesentlich aus den Reaktionen auf die städtebaulichen Randparameter entwickelt. Zunächst orientiert es sich mit der gewünschten Dichte an den großmaßstäblicheren und blockartigen Gewerbestrukturen in der Nachbarschaft. Der mit dieser Prämisse entstandene Körper wurde anschließend gegliedert, um auf die Umgebung und die inneren Nutzungen reagieren zu können. Im Süden und Westen wurden, korrespondierend zur Nachbarbebauung, längere Elemente angeordnet. Im Norden und Osten entstand aus Vor- und Rücksprüngen ein Rhythmus, der einzelne Einheiten ablesbar macht und auf die Körnigkeit der gegenüberliegenden Wohnbebauungen reagiert. 

Im Südosten wurde an der Kreuzung beziehungsweise der öffentlichen Durchwegung ein achtgeschossiger Hochpunkt als Kopf- und Identifikationspunkt vorgesehen, der in mehrere Richtungen ein Zeichen für das Quartier setzt. Er bildet den Auftakt für mehrere Punkte, die Richtung Osten angeordnet werden (Ideenteil) beziehungsweise schon vorhanden sind (Umspannwerk und Wohntürme).

Modell (Foto: BLAUWERK Architekten)
Modell (Foto: BLAUWERK Architekten)
Welche Aufgaben hat die Freiraumplanung zu bewältigen?

Die bauliche Figur bietet vielfältige Bezüge und interessant gestaffelte Übergänge in den Freiraum. Im Zentrum, frei von Feuerwehraufstellflächen, liegt der gemeinschaftlich zu nutzende Wohnhof, der entsprechend gestaltet wurde. Dort sollen kleine Platzaufweitungen an den Zugängen Orientierung und Orte der Kommunikation bieten. Mit Strauch- und Baumsetzungen gegliedert und mit Sitzmöglichkeiten gerahmt schließen sich Kinderspielflächen an die Gemeinschaftsplätze an. Eine schmale Gartenzone und Atriumhöfe bereichern das Freiraumangebot. 

Nach außen waren die unterschiedlichen städtebaulichen Situationen aufzugreifen, die adäquat in der Raumausbildung aufgenommen werden sollten. Im Norden war die Vorgartenzone so zu gestalten, dass es einen angenehmen Übergang zum nördlichen Wohnquartier gibt. 

Zur Mozartstraße formuliert die offene und im Bereich der Gastronomie platzartige Gestaltung Aufenthaltsbereiche und die Adresse der Zugänge. Auch die Dachlandschaft wird in unterschiedlichen Intensitäten für Aufenthalt oder extensiv begrünte Ausgleichsflächen sowie Biodiversitätsdächer genutzt und durch die vertikale Fassadenbegrünung ergänzt.

Lageplan (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Wie organisieren Sie die Wohn- und Gewerbeflächen?

Entlang der Mozartstraße, die Richtung Innenstadt führt, wurden die Büro-Gewerbeflächen, beziehungsweise im Erdgeschoss Läden und Gastronomie angeordnet. Sie korrespondieren dort mit den Nutzungen der Nachbargrundstücke. Dies ist auch der Bereich mit den größten Verkehrs-Schallemissionen – der Riegel schützt somit die dahinter liegenden Wohnungen und den Hof. In der vorgesehenen Gebäudetiefe können unterschiedliche Büroformen (Kombi, Zelle, Open-Space, Business-Club) untergebracht werden. 

Der geförderte Wohnungsbau befindet sich im westlichen Riegel. Er ist mit einer Mittelflurerschließung organisiert, die eine große Gebäudetiefe ermöglicht, soziale Kontaktflächen anbietet und durch Lichthöfe und Einschnitte gut belichtet ist. Im Erdgeschoss und im obersten Geschoss sind Gemeinschaftsräume und Terrassen vorgesehen.

Der freifinanzierte Wohnungsbau ist in einzeln ablesbare, aber zusammenhängenden „Häusern“ im Norden vorgesehen. Im Hochpunkt sind die Micro-Appartements und weitere Wohnungen, zum Beispiel ein „Penthouse“ im obersten Geschoss geplant.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Grundriss 2. Obergeschoss (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Längsschnitt (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Was wird die Qualität des neuen Quartiers ausmachen?

Es wird ein lebendiger Stadtbaustein mit verschiedenen Nutzungen sein, der auch in seinem Vorfeld öffentlichen Raum anbietet und bespielt. Er soll dabei nicht autoreferenziell wirken, sondern sich in die heterogene Umgebung einfügen, aber auch selbstbewusst die Erweiterung der Stadt nach Osten thematisieren. Atmosphärisch soll das Quartier einladend, freundlich und durch die verwendeten Oberflächen und die begrünten Flächen warm und wohnlich wirken. Die Büros werden dabei nicht als reine Produktionsfläche sondern als kreative Aufenthaltsbereiche begriffen.

Im Inneren soll der geschützte Hof eine gemeinschaftliche Nutzung sowohl für das Gewerbe wie auch die verschiedenen Wohnformen anbieten. Da dort auf Grund der Organisation der Wohnungen keine Feuerwehr fahren muss, kann dieser intensiv begrünt und frei gestaltet werden. Gemeinschaftliche und private Dachterrassen sollen die Gebäude auch in den oberen Bereichen beleben und zu einem sozialen Austausch anregen. Die rhythmische Gliederung der Baukörper ermöglicht die Ablesbarkeit der Einheiten und reduziert den wahrgenommenen Maßstab.

Ansicht Ost (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Die Stadt weiter zu bauen. Genauer: einen Stadtbaustein zu gestalten, der öffentlichen Raum mitformt, sich eingliedert, aber auch Eigenständigkeit im Sinne einer baukulturellen Weiterentwicklung aufweist. Dazu gehörte es eine Ästhetik zu entwickeln, die klimatische Maßnahmen wie Verschattung und Begrünung, eine nachhaltige Bauweise, hohe Dichte und natürlich eine qualitativ hochwertige Gestaltung vereinen kann. 

Die hohe Dichte macht aus Gründen der Nachhaltigkeit (kurze Wege, weniger Flächenversiegelung) und ökonomisch Sinn, sie sollte jedoch in ihrer Gliederung Bezug auf die Körnigkeit der Umgebung und auf den menschlichen Maßstab nehmen. Wichtig war es uns ebenfalls ein (!) Haus mit gleichwertigen Qualitäten zu entwerfen, also beispielsweise den geförderten Wohnungsbau nicht herauszulösen oder als solchen erkennbar zu machen, obwohl er anders organisiert ist.   

Beschreiben Sie uns bitte Ihr vorgeschlagendes Energiekonzept.

Durch die Orientierung des Baukörpers und die daraus resultierende lange Südfassade sind bei tiefer stehender Sonne in der Übergangszeit und im Winter relevante Energiegewinne über den solaren Energieeintrag möglich. Die Außenbauteile sind so gut gedämmt, dass eine ausgewogene Bilanz zwischen Aufwand, Benutzerverhalten und Dämmwirkung entsteht. Ein Großteil der Dachfläche (ca. 2/3) ist mit einer PV-Anlage belegt. Der dort erzeugte Strom wird im Wesentlichen für die Erwärmung des Brauchwassers in einem Pufferspeicher eingesetzt. Dies ist im Sommer für gut gedämmte Wohngebäude ohne Klimaanlagen der größte Energieverbraucher. Der Überschuss wird für sonstige Verbraucher eingesetzt oder in das Netz eingespeist. Die Grunderwärmung des Speichers findet über solarthermische Kollektoren statt.

Grundwassersonden werden in Kombination mit einer Wärmepumpe zur Aktivierung der Flächenheizung (Fußbodenheizung) in der thermischen Masse (Decke) eingesetzt. Der Strom für die Wärmepumpe wird ebenfalls durch die PV-Anlage bereitgestellt. Im Sommer wird die Temperatur des Grundwassers über Grundwassersonden mit Wärmetauscher genutzt, um die thermische Masse (Decke) mittels der Leitungen der Fußbodenheizung zu kühlen.

Energiekonzept (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Verschiedenen Baustoffe haben unterschiedliche Vor- und Nachteile in Bezug auf Konstruktion, Bauphysik, Kosten und Nachhaltigkeit. Es wird daher eine Hybridkonstruktion vorgeschlagen, bei der die jeweils sinnvollsten Baustoffe an den verschiedenen Stellen eingesetzt werden. Die Konstruktion soll dabei möglichst einfach und recycelbar bleiben. 

Die Außenwände bestehen aus einer hochgedämmten, aber einfachen Massivholzkonstruktion (CLT-Cross Laminated Timber), die ohne eine Folie als Dampfsperre auskommt. Diese können vorgefertigt, schnell und sauber verbaut werden, Sie sind deutlich klimaschonender als Massivwände da Holz CO bindet und die Herstellung der Elemente ebenfalls CO-arm ist. Beton als energieintensiver Baustoff in der Herstellung wird aus Gründen des Schallschutzes, Brandschutzes, der Wirtschaftlichkeit und Wärmespeicherfähigkeit nur bei den Geschossdecken eingesetzt.

Die Oberflächen sollen einfach und reduziert, aber wohnlich warm wirken. Das Holz der vorgehängten Fassade wird vorgegraut. Die Decken können roh bleiben oder mit einem Lehmputz versehen werden.

Deilansicht (Zeichnung: BLAUWERK Architekten)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Es gibt eine erste Kontaktaufnahme mit dem Bauherren und der Vertretung der Stadt die für die Entwicklung des Ideenteils zuständig ist. Genauere Abstimmungen in Bezug auf den Planungsprozess und die damit einhergehenden Termine haben noch nicht stattgefunden. 

Modell (Foto: BLAUWERK Architekten)
Neubebauung Wohnungen und Gewerbe in der Mozartstraße in Erlangen
Einladungswettbewerb
 
Auslobung: PSD Bank Nürnberg eG; Stadt Erlangen, Referat VI, Planen und Bauen
Betreuung: mt2 ARCHITEKTEN I STADTPLANER Susanne Senf · Martin Kühnl, Nürnberg
 
Jury
Prof. Ingrid Burgstaller, Architektin und Stadtplanerin, München/Nürnberg, Vors. | Josef Weber, Architekt und Stadtplaner, Referent für Planen und Bauen der Stadt Erlangen | Prof. Manuel Bäumler, Architekt und Stadtplaner, Dresden | Prof. Stefan Niese, Architekt, München/Würzburg | Ertunc Ulutas, Architekt, Bayernhaus Nürnberg | Peter Wich, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner, München | Johann Büchler, Vorstandsvorsitzender der PSD Bank Nürnberg | Ronny Reißmann, Prokurist der PSD Bank Nürnberg | Dr. Philipp Dees | Kerstin Heuer | Frank Höppel | Matthias Thurek
 
1. Preis
BLAUWERK Architekten | Kern und Repper, München | Christian Kern, Tom Repper
grabner huber lipp landschaftsarchitekten und stadtplaner partnerschaft mbb, Freising | Jürgen Huber
Mitarbeit: Linda Stark, Judith Nehring
 
2. Preis
harris + kurrle architekten, Stuttgart | Volker Kurrle, Joel Harris
Koeber Landschaftsarchitektur GmbH, Stuttgart | Jochen Köber
Mitarbeit: Hasan Tosun
Modell: Lucas Gassert
 
3. Preis
Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, Berlin | Prof. Thomas Müller, Prof. Ivan Reimann
Mitarbeit: Jonas Houba, Richard Sukac, Vojtech Bodlak, Karolina Spalenska, Tobias Bloh
Landschaftsarchitektur: Weidinger Landschaftsarchitekten, Berlin | Prof. Jürgen Weidinger
Statik und Brandschutz: GSE Ingenieur-Gesellschaft mbH | Dr.-Ing. Jorg Enseleit
Haustechnik und Nachhaltigkeit: Winter Beratende Ingenieure für Gebäudetechnik GmbH | Jordan Kornfeld
Modell: Monath & Menzel
Perspektiven: Atelier Brunecky

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