Bündelung und Verdichtung
WES LandschaftsArchitektur
21. August 2024
Emmaus-Kirche und Stadtterrasse (Visualisierung: Adrian Calitz)
WES LandschaftsArchitektur gewinnt den europaweit ausgeschriebenen landschaftsplanerischen Realisierungswettbewerb für die Freiraumgestaltung Lausitzer Platz in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Henrike Wehberg-Krafft, Stefan Serafin Weber und Hans-Hermann Krafft stellen sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Der Lausitzer Platz liegt inmitten einer belebten, hoch verdichteten und mit Grün unterversorgten Umgebung Kreuzbergs. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Aufenthaltsqualität und Atmosphäre angenehm und erlebnisreich zu gestalten sowie die Lebensbedingungen für Flora wie für Fauna zu verbessern. Wie haben Sie auf den Kontext reagiert und die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?Die Luisenstadt in Kreuzberg ist durch eine sehr dichte gründerzeitliche Blockrandbebauung geprägt, die auf einem orthogonalen Grundraster basiert. Den städtebaulichen Schwerpunkt bildet die Emmaus-Kirche, die dem Platz seine Nord-Süd-Ausrichtung und seine Sichtbarkeit verleiht.
Uns ist wichtig, dass der Lausitzer Platz ein urban geprägter Platz ist und bleibt, sich aber im städtebaulichen Umfeld als grüne und erfrischend Oase entwickelt und von der steinernen Umgebung abhebt. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, bestehende Qualitäten und Atmosphären des Ortes mit seiner Geschichte und Nutzungsvielfalt als Spiegelbild der Nachbarschaft zu erhalten und in ein klares und robustes Konzept zu integrieren, das den Platz als gestalterische Einheit ablesbar macht. Unter dem lichten Dach des vorhandenen Baumbestandes wollen wir durch die Bündelung belebter Aufenthaltsbereichen für den Kiez sowie seine Besucherinnen und Besucher einen Ort schaffen, der den Aufenthalt inmitten von Grün ermöglicht und unterschiedliche Rückzugsbereiche bietet, um der Diversität der Nutzer und Nutzerinnen gerecht zu werden.
Ziel unseres Konzeptes ist es, die Begabungen des Ortes zu stärken und herauszuarbeiten, um einen grünen Stadtplatz mit starker Identität zu schaffen, der nachhaltig und zukunftsfähig ist.
Lageplan (Zeichnung: WES)
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?Um die Flächenkonkurrenzen zwischen dem extremen Nutzungsdruck, den Wegeverbindungen und den Anforderungen des Klimaschutzes zu bewältigen, wurde das Wegenetz neu gegliedert. Die Grundlage dafür bildete das historische Parkwegekonzepte, die Planung der 1990er-Jahre und die zusätzlich erforderlichen Wegebeziehungen, die aus den vorgefundenen Trampelpfaden abgelesen und integriert wurden.
Mit der Bündelung der fußläufigen Verbindungen, Spielplatzflächen und Aufenthaltsbereiche zu einem neuen robusten Netz wird ein neuer und besonderer Treffpunkt geschaffen. Dieser bildet zusammen mit den vielfältigen Angeboten der Emmaus-Kirche, in direkter Nachbarschaft zum nördlich angrenzenden Spielplatz ein lebendiges, soziales Zentrum.
Die Bündelung und Verdichtung zu einer lebendigen Platzmitte bzw. sozialen Achse führt auch zu einer Entlastung der Platzränder. Die dadurch gewonnenen Diversitätsflächen bilden den grünen Rahmen für die lebhafte Mitte und bieten einem Großteil des vorhandenen Baumbestandes einen unbefestigten Standort. Unterstützt wird dies durch ein leichtes Absenken des Niveaus neben den Wegen, was die Nutzenden intuitiv ein Überlaufen der angrenzenden Grünflächen verhindert und gleichzeitig eine Entwässerung in die Grünflächen ermöglicht. Lange Bänke, begleitet von ca. 120 cm hohen Strauchpflanzungen entlang der Wiesenflächen und ggf. zusätzlich angeordneten Tiergartenbändern, unterstützen den Schutz der Pflanzflächen. Darüber hinaus bietet die Pflanzenauswahl Futter- und Nistangebote für Vögel und Insekten.
Mit der temporären Wasserfläche vor dem Portal der Emmaus-Kirche entsteht ein attraktiver, mit Bäumen gefasster urbaner Ort am Übergang zur Skalitzer Straße und zum Görlitzer Park. Er kann als Spielfläche genutzt werden und sich am Abend in eine Bühne für Nachtschwärmer und Nachtschwärmerinnen verwandeln.
Aufenthaltsqualität (Piktogramm: WES)
Welche landschaftsarchitektonischen und sozialen Themen waren Ihnen besonders wichtig?Es ist wichtig ein robustes Konzept zu entwickeln, das flexibel auf zukünftige Anforderungen reagieren kann und diese gleichzeitig bündelt.
Die städtebauliche und soziale Funktion der Emmaus-Kirche wird als zentraler Bestandteil der sozialen Achse gestalterisch und funktional mit dem aufgewerteten Vorplatz der Kirche und der Stadtterrasse im Norden in eine differenzierte Nutzungsabfolge gestellt.
Der Platz entwickelt sich zirkulär und bestandsorientiert, wobei der Baumbestand geschützt, gestärkt und ergänzt wird. Über 60% der Beläge werden aus dem Abbruchmaterial generiert und das anfallende Regenwasser wird möglichst vollständig vor Ort versickert. Auch eine grundstücksübergreifende Regenwasserbewirtschaftung der angrenzenden Dachflächen ist angedacht und erfordert nur noch der rechtlichen Grundlage.
Unser Ziel ist ein landschaftsarchitektonischer Entwurf, der die einzelnen Maßnahmen hinsichtlich Gestaltung, Aufenthaltsqualität, Nutzungsanforderungen, Zirkularität und klimatischer Anforderungen nicht als Ad-Ons behandelt, sondern als Bestandteile einer unverwechselbaren Identität in den Ort integriert. Vielmehr werden, wie u.a. in der Urban Green Charta von WES beschrieben, die Anforderungen an klimaangepasstes und zirkuläres Bauen mit den Bedürfnissen der Menschen in Beziehung gesetzt.
Die neue Soziale Achse: Wasserelement als Anziehungspunkt, Bewegungsangebote in der aktiven Mitte und Stadtterrasse als Kieztreff unter freiem Himmel (Zeichnung: WES)
Erschließungsfunktionen im robusten Rahmen lassen Raum für Flora, Fauna und soziales Miteinander in der Grünen Mitte (Zeichnung: WES)
Was wird die Qualität des neu formulierten Lausitzer Platzes ausmachen?Der Lausitzer Platz bleibt der Lausitzer Platz. Innerhalb eines grünen, ruhigen Rahmens und im Schatten seines wunderbaren Baumdaches, bietet er vielfältige Aufenthaltsflächen sowie hohe Wohnqualität.
Ein lebendiger Treffpunkt mit großem Spielplatz in direkter Nachbarschaft zur sehr aktiven Gemeinde der Emmaus-Kirche, geschützt durch einen grünen Rahmen, der gestalterische Ruhe, Klarheit und Überschaubarkeit ausstrahlt und gleichzeitig für die notwendige Distanz zur angrenzenden Wohnbebauung sorgt.
Ein urbaner Platz, in dem die Funktionen zentralisiert, gebündelt und in einen starken grünen kompositorischen und nachhaltigen Kontext gestellt werden.
Im Norden und Süden zur Skalitzer Straße zeigen sich die Urbanität und die Transparenz des Platzes nach außen. Mit dem repräsentativen und urbanen Vorplatz der Emmaus-Kirche, der sportlich geprägten Mitte, dem Spielplatz und der zur Stadtterrasse aufgewerteten Nordkante entsteht eine soziale Achse, die differenziert auf die jeweilige städtebauliche Situation und auf die Platzränder reagiert und sich durch Ausgewogenheit, Atmosphäre und Maß auszeichnet.
Lausitzer Platz (Visualisierung: Adrian Calitz)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?Der Bau ist aufgrund unterschiedlicher Finanzierungstöpfe, in zwei bis drei Bauabschnitten geplant, wobei das grüne Herz des Platzes vorgezogen wird. Mit der Planung soll noch in diesem Sommer begonnen werden. Wie in den vorangegangen Planungsphasen vor dem Wettbewerb, sollen nach Auskunft des Bezirks Beteiligungsverfahren den Prozess auch künftig begleiten, was wir aufgrund der vielfältigen Interessen sehr begrüßen. Die Planung wird dadurch voraussichtlich etwas länger dauern – dennoch hoffen wir den Kreuzbergerinnen und Kreuzbergern möglichst bald erste Bauabschnitte übergeben zu können.
Europaweit ausgeschriebener landschaftsplanerischen Realisierungswettbewerb
Auslobung: Land Berlin vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin
Betreuung: Schwarz & Partner Landschaftsarchitekten, Berlin
Jury
Prof. Laura Vahl Landschaftsarchitektin, Berlin (Vors.) | Thomas Guba, Landschaftsarchitekt, Berlin | Lukas Schweingruber, Landschaftsarchitekt, Zürich | Prof. Jörg Springer, Architekt, Berlin | Annika Gerold, Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt (am 08.12.2023 bis 16:15 Uhr) | Manfred Kühne, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen | Klaus Wichert, Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt | Birgit Beyer, Bezirk Friedrichshain Kreuzberg, Straßen- und Grünflächenamt (für Annika Gerold vertretend am 08.12.2023 ab 16:15 Uhr)
1. Preis
WES LandschaftsArchitektur, Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Shanghai | Henrike Wehberg-Krafft und Hans-Hermann Krafft, Entwurfsberater
Mitarbeit: Stefan S. Weber, Aliaksandra Dalmatava, lsrat Jahan Nishat, Fritz Miething
Berater: Tom Kirsten, Berlin, Regenwassermanagement
2. Preis
bbz Landschaftsarchitekten, Berlin | Timo Herrmann
Mitarbeit: Duygu Demir, Luka Paulina Emde, Lea Warneke, Marc Leppin, Malte Stellmann
3. Preis
bgmr Landschaftsarchitekten, Berlin | Dr. Carlo Wolfgang Becker, Dirk Christiansen, Lena Flamm, Katharina Lindschulte, Beatrix Mohren, Martin Stokman
Mitarbeit: Luis Kann, Vincent Schröder, Leon Giseke
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