Alt und Neu harmonisch gefügt

F64 Architekten
31. Mai 2023
Modell (Foto: F64 Architekten)
Am südlichen Rand des Stadtzentrums von Neu-Ulm, Ecke Turmstraße / Memminger Straße. wird zum einen das denkmalgeschützte Kriegsspital saniert, zum anderen sollen neuer Wohnraum und Gewerbeflächen geschaffen werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Durch das Projekt Neu-Ulm 21 und die Tieferlegung der Bahn mit neuem Tief- und Busbahnhof wurde viel Platz geschaffen für die Entwicklung und Neugestaltung der Innenstadt, unter anderem für das Quartier „Wohnen am Glacispark“, die „Grünen Höfe“ oder die Glacis-Galerien

Südlich der Bahnlinie in besonderer Lage im Eingangsbereich zur Innenstadt wird diese Entwicklung mit der Sanierung und räumlichen Erweiterung des ehemaligen Kriegsspitals behutsam fortgesetzt. Dazu soll das Baudenkmal „Ehemaliges Kriegsspital“ als Bestandteil der Bundesfestung Ulm saniert und durch eine zweigeschossige Aufstockung – als moderne Interpretation, der im Zweiten Weltkrieg zerstörten, oberen beiden Geschosse der historischen Defensivkaserne – entsprechend einer Wohnnutzung wiederhergestellt werden. Neben der Revitalisierung und Erweiterung der denkmalgeschützten Bausubstanz soll nun im zweiten Schritt als Abschluss zur Bahnlinie eine sinnvolle innerstädtische Nachverdichtung erfolgen. Die vorhandene eingeschossige Spielhalle ohne räumliche und architektonische Qualität wird durch ein mehrgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus zwischen Kriegsspital und der Bahnlinie ersetzt. 

Städtebaulicher Konzeptplan (Zeichnung: F64 Architekten)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Historisches Flair trifft auf urbanen Charme. Alt und Neu harmonisch gefügt! Kernthema des vorgeschlagenen Konzeptes ist die städtebauliche Aufwertung des Areals, dadurch Stärkung des Baudenkmals und Entwicklung zu einem zentral gelegenen, urbanen Quartier.

Anstelle des bestehenden eingeschossigen Bestandsbaus soll ein gestaffelter Neubau einen Abschluss zur Bahnlinie schaffen und dabei zwischen dem geplanten Hochhaus auf dem nördlich des Bahntrogs gelegenen Nachbargrundstück und dem Kriegsspital vermitteln. Die Baukörper folgen dabei dem historischen Vorbild des Gegenübers. Die Achsen des Baudenkmals werden aufgenommen und weitergeführt. Zwei stumpfwinklig zueinanderstehende Flügel unterschiedlicher Höhenausprägung treten in den Dialog mit dem Baudenkmal und verschmelzen zu einer Einheit. 

Ziel des bis zu achtgeschossigem Baukörper ist einerseits die Eingliederung in die Typologie des Ortes, andererseits im Dialog mit dem Baudenkmal die Schaffung einer eigenständigen und gut ablesbaren Adresse in direkter Beziehung zum neuen Hochpunkt am Südstadtbogen, der Glacis-Galerie und der großzügigen Platzfläche an der Memminger Straße.

Lageplan (Zeichnung: F64 Architekten)
Wie organisieren Sie den Neubau?

Aus Schallschutzgründen orientieren sich die Wohnungen in der Mehrzahl zum ruhigen Innenhof. Im westlichen Gebäudeflügel werden zur Bahnseite hin für Junges Wohnen, Appartements und Wohngemeinschaften angeboten.  Im östlichen Teil mit reiner Nordorientierung sind Co-Working und mietbare Gemeinschaftsflächen als Ergänzung vorgesehen. Eine hohe Wohnqualität durch Schallschutzmaßnahmen zu schaffen, war hier für den Entwurf von großer Bedeutung. Die Lärmbelastung soll durch den gezielten Einsatz von bewusst konzipierten Loggien entsprechend eingedämmt werden. 

Alle Wohnungen werden barrierefrei erschlossen. Drei getrennte Erschließungskerne sichern baulich die notwendigen Flucht- und Rettungswege. Großzügig dimensionierte Aufzüge im Dreh- und Angelpunkt des Gebäudes ermöglichen den Bewohnern komfortabel die Mitnahme ihrer Kinderwägen, Fahr- und Lastenräder in die eigene Wohnebene. 

Die großzügigen Flure auf den Ebenen dienen nicht nur der Erschließung, sondern können auch als Erweiterungsraum der Wohnfläche betrachtet werden. Die Struktur folgt einem ausgeklügelten Konstrukt, analog einer Wirbelsäule aus Bandscheiben und Wirbel. 

Ansicht Nord (Zeichnung: F64 Architekten)
Ansicht Ost (Zeichnung: F64 Architekten)
Ansicht Süd (Zeichnung: F64 Architekten)
Gibt es Besonderheiten gibt es zu den Themenbereichen, Materialien, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft?

Wir bauen ressourcenschonend. Deshalb schlagen wir eine hybride Konstruktion mit Holz im Verbundbau vor.

Entsprechend der horizontalen Schichtung des Gebäudes ist auch das Tragwerk gegliedert in einen massiven Unter- und leichten Oberbau. Auf dem massiven „Tisch“ werden in den Wohnebenen kerngedämmte Holzrahmenwände eingesetzt, die mit einem geringen Wandaufbau die statischen und bauphysikalischen Anforderungen erfüllen. Innenwände in Trockenbauweise unterstützen eine schnelle Bauzeit und vereinfachen künftige Nutzungsänderungen.   

Die Decken bestehen aus deckenintegrierten Stahlverbundträger und eingelegten Brettsperrholzdeckenelementen. Durch den gezielten und reduzierten Einsatz des Werkstoffes Beton können im Verbund die notwendigen Anforderungen an die Konstruktion einfach erzielt werden. 

Der Oberbau kontrastiert mit einer komplementären grünlich, sägerauen Holzfassade den historisch rötlichen Ziegel. Das samtmatte Erscheinungsbild der mineralischen Silikatfarbe unterstreicht den natürlichen Charakter. Langlebige Fassaden mit natürlichen, regionalen und zirkulären Materialien vermitteln Ruhe und Vertrautheit.

Alt und Neu harmonisch gefügt (Visualisierung: F64 Architekten)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Die Sanierung des Areals ist in mehreren Abschnitten geplant. Die Sanierung des Baudenkmals steht kurz vor der Fertigstellung. Im zweiten Schritt folgt nun die Planung und der Bau der Aufstockung des ehemaligen Kriegsspitals. Anschließend in einem weiteren dritten Abschnitt soll dann die nördliche Bebauung mit Tiefgarage erfolgen. Ein genauer Fertigstellungtermin ist im Moment noch nicht absehbar.

Entwicklung Areal ehemaliges Kriegsspital in Neu-Ulm
Mehrfachbeauftragung nach RPW
 
Auslobung: Peter Stubner, Panescu Immobilien GmbH & Co. KG
Betreuung: LARS consult Gesellschaft für Planung und Projektentwicklung mbH, Memmingen
 
Jury
Prof. Dr. Franz Pesch, Stuttgart (Vors.) | Katrin Albsteiger Oberbürgermeisterin, Neu-Ulm | Markus Krämer Stadtbaudirektor, Leiter Dezernat 3, Neu-Ulm | Peter Stubner, Auslober
 
1. Rang
F64 Architekten, Kempten | Martin Kopp, Philip Leube, Rainer Lindermayr, Thomas Meusburger, Stephan Walter
Mitarbeit: Andreas Buchner, Leonie Beneke, Kathrin Weber, Lukas Schuh
 
2. Rang
Ankner Buchholz Architekten, Ulm | Klaus Ankner
Mitarbeit: Jana Schreiner, Lisa Dornfried, Leon Buchholz

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