Zukunft Stadt

Christian Holl
13. März 2013

Dass Großprojekte soviel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist auch der Unzufriedenheit mit den ihnen zugrunde liegenden Entscheidungsprozessen zuzuschreiben. Verwaltungsinstrumente, Planungspraxis und Politik auf der einen sowie Austausch- und Artikulationsmöglichkeiten, wie sie inzwischen über die neuen Medien genutzt werden, auf der anderen Seite, harmonieren nicht, treten in Konflikt zueinander. Sichtbar wird dies etwa in den Auseinandersetzungen über autokratisch getroffene Entscheidungen wie denen über Stuttgart 21. Wie man neue Medien für einen produktiven Prozess der Stadtentwicklung nutzen kann, zeigt "Nexthamburg", das Beteiligungsprojekt des Planers Julian Petrin und des Softwareexperten Rajiv Patwardhan. Dabei werden Zusammenkünfte und Workshops mit im Internet und auf Social-Media-Plattformen stattfindenden Diskussions- und Entscheidungsprozessen kombiniert. Nexthamburg wird seit 2008 entwickelt und getestet und in der nun vorliegenden Publikation als übertragbares Prozessmodell vorgestellt.
Man wird diesem Projekt nur gerecht, wenn man an es kritische Fragen stellt, ohne es deswegen prinzipiell abzulehnen. Eine dieser Frage muss etwa sein, ob die Mehrheitsentscheidung der Community, wie sie hier vorgeschlagen wird, nicht durch andere Formen ergänzt werden müsste, um Planung verantwortungsvoll zu betreiben; oder wie eigentlich die berücksichtigt werden, die nicht oder weniger souverän mit Facebook, twitter ... agieren. Doch neue adäquate Formen der Beteiligung und Repräsentation werden nur mit dem Mut zum Experiment gefunden werden können. Allein deswegen lohnt es sich, sich mit Nexthamburg auseinanderzusetzen.

Auch in Sachen Mobilität verändern sich unsere Städte – zumindest teilweise bedingt durch die Möglichkeiten, über Netz und Mobilfunk sich auch in fremden Städte unkompliziert ein Rad mieten zu können und es nicht wieder an den Ausgangspunkt zurückbringen zu müssen. Cyclespace von Steve Fleming nun nimmt diese neue Popularität des Radfahrens in den Blick. Dabei werden allerdings weniger Planungsgrundlagen vermittelt, hier liegt vielmehr ein Essay eines leidenschaftlichen Radfahrers und Architekturlehrers vor, der von den Möglichkeiten berichtet, sich mit dem Rad Stadt und Architektur anzueignen. Fleming portraitiert Städte, in denen sich je eigene Kulturen des Radverkehrs entwickelt haben, und die dazu anregen, aktiv, will heißen, aktiver als bisher, diese Form der Mobilität als (städtische) Gestaltungsaufgabe zu verstehen. Unter anderem Amsterdam, Chicago, Sydney, Paris und Singapur werden unter die Lupe genommen – schon darin zeigt sich, welche Lebensstilperspektive der Autor einnimmt. Zumindest eine kleinere Stadt hätte dabei allerdings auch berücksichtigt werden können, denn die Freude am Fahrradfahren in der Stadt sollte doch nicht auf die internationalen Großstädte beschränkt bleiben.

2010/11 hat sich der Postgraduiertenstudiengang "Master of Avanced Studies Urban Design" der ETH Zürich einer ganz anderen Herausforderung gestellt. Unter der Leitung von Marc Angélil und Rainer Hehl haben die Studenten danach gefragt, mit welchen Konzepten man die Lebensbedingungen in den Favelas von São Paulo und Rio de Janeiro verbessern und gleichzeitig deren soziale Strukturen bewahren könnte. Eine solche Aufgabe birgt immer die Gefahr, an den tatsächlichen Problemen vorbei sich der formalen Faszination dieser Konglomerate auszuliefern; diese Gefahr ist auch in "Buildung Brazil" auszumachen, denn im einen oder anderen Entwurf im von Angélil, Hehl und den Architekten von Something Fantastic bei Ruby Press herausgegebenen Band über diesen Studienjahrgang scheint der formale Ansatz zu dominieren. Daneben findet man aber überwiegend eine sehr präzise und gründlich recherchierte Auseinandersetzung mit den strukturellen, architektonischen, topologischen und typologischen Qualitäten der Favelas, aus denen sehr sensible Interventionen entwickelt werden, mit denen in ihnen agiert werden könnte. Dem Leser werden die Grundlagen durch eine Reihe von kürzeren Essays vermittelt. Nicht zuletzt dank der gelungenen Gestaltung des Buchs, 2012 ausgezeichnet mit dem Architekturbuchpreis des DAM, lohnt sich die Lektüre.

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