Vorbild bis in die Gegenwart

Ursula Baus
8. Mai 2013
Frühling in Lünen; mit ihrer geschickt gegliederten Zweigeschossigkeit bleibt die große Schule stadtverträglich. (Bild: Ursula Baus)

Es ist eine Offenbarung: Vergangene Woche stellten die Wüstenrot Stiftung und die Stadt Lünen ihr jüngst fertiggestelltes Sanierungsprojekt, die Geschwister-Scholl-Gesamtschule vor, die Hans Scharoun als Mädchenschule 1956-62 in der nordrhein-westfälischen Stadt gebaut hatte. Die Geschwister-Scholl-Schule liegt am Rande der Innenstadt, in der Holtgrevenstraße, und steht seit 1985 unter Denkmalschutz. Ihr herausragender Wert als modellhafte, architektonisch experimentelle und räumlich einzigartige Schule ist unbestritten, doch nach fast sechs Jahrzehnten stand eine Sanierung an – der Schulbetrieb für die rund 570 Schüler sollte unterdessen weitergehen.

Der Gang durch die Schule überrascht und begeistert. Dass die Schule wieder in ihrem ursprünglichen Habitus genutzt werden kann, ist unter anderem der kompromisslosen Strategie der Wüstenrot Stiftung zu danken, die sich um Bauten der Nachkriegsmoderne mit strengem Denkmalverständnis kümmert. In Lünen steuerte sie neben ihrer Sachkompetenz 2 Mio. Euro bei, so dass die Schule 2009-13 von den Architekten Spital-Frenking + Schwarz in Zusammenarbeit mit Denkmalexperten meisterhaft in einen bewundernswerten Zustand gebracht werden konnte. Alles, was an ursprünglichem Bestand zu finden war, konnte weitgehend erhalten bleiben und instand gesetzt werden. Am Anfang stand eine sorgfältige Bestandsanalyse, vor Ort begonnen wurde mit der Sanierung eines Probeabschnitts, um vor allem realistische Konzepte und Kostenprognosen abwägen zu können.

Hans Scharoun (1893-1972) hatte den Mädchen mit "Schulwohnungen" und einer Umgebung, die das Miteinander und die Nähe zur Natur neu erleben ließen, ein bis dahin unbekanntes Schulverständnis geboten. Die lockere Anordnung der Klassenräume, die je einen eigenen Vorraum mit Waschbecken und Garderobe, einen Gruppen- und Außenbereich besitzen, darf noch heute als vorbildlich für ein intensives, sozial ambitioniertes Lernumfeld gelten. Auch im Obergeschoss fehlt der Bezug zum Außenraum nicht, außerdem überzeugen heute wie damals durchdachte Details und ein wunderschönes Farbkonzept. Es ist den Sanierungsarchitekten exzellent gelungen, die Scharounsche Atmosphäre wiederzubeleben, die von Schülern erkannt und geschätzt wird. Dass man mit solcher Substanz – wie mit anderer natürlich auch – pfleglich umgeht, müssen und können sie lernen.

Ein Besuch in Lünen müsste nun für alle, die eine Schule bauen oder erweitern, zur Pflicht werden. Wo Kinder den aufnahmefähigsten Teil ihres Lebens verbringen, kann dem Raum als "drittem Pädagogen" kaum genug Aufmerksamkeit geschenkt werden. Mit der Geschwister-Scholl-Schule in Lünen steht ein bis auf weiteres vorbildliches Bauwerk zur Verfügung – und ganz abgesehen davon zeigt die Instandsetzung, worauf es einer Bildungsgesellschaft ankommen muss: gepflegte und gute Schulbauten, die nicht als (Schüler-)Durchlauferhitzer technisiert und schon gar nicht einer Vernachlässigung überlassen werden dürfen. Vernachlässigte Schulgebäude signalisieren, dass die Schüler vernachlässigt werden. In Kürze wird eine Dokumentation der Instandsetzung als Wüstenrot-Publikation erscheinen.
Scharouns (Schul-)Architektur steht am Anfang einer Epoche, in der ein pluralistisches Architekturverständnis unreflektiert beginnen konnte. Dazu demnächst mehr – hier im eMagazin.

Der Aufgang zum Obergeschoss; es signalisiert keine "Zwei-Klassen-Gesellschaft", sondern einen Zusammenhalt in der Vertikale. (Bilder: Ursula Baus)
Lageplan, Erd- und Obergeschoss: ein stadtverträgliches Baukörpergefüge, in dem Innen und Außen kaum besser zusammenpassen könnten (Pläne: Wüstenrot Stiftung)

Andere Artikel in dieser Kategorie