Sprache ist Denken

Ursula Baus
16. Januar 2013

Wieder einmal wollen die Bücherstapel sortiert sein. Im folgenden geht es um zwei Bücher zu Stadtthemen, zwei kulturwissenschaftliche Bücher und einen Materialband zum Thema Ornament in der Architektur.

In ihrer Dissertation (bei Julian Nida-Rümelin) Die Geschichte von der guten Stadt. Politische Philosophie zwischen urbaner Verselbständigung und Utopie (von Mara-Daria Cojocaru, transcript Verlag, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-2021-4, 29,80 Euro) bläst die Autorin zur Attacke auf die (verkommene) Stadt oder das, was sie dafür halten mag, als "Wahlfreiheit zwischen McDonalds oder Indisch, zwischen Musical oder Oper, zwischen bei Rot über die Straße gehen oder eben nicht".  Sie schließt mit drei Forderungen: die "Anwendung von Narrativen bei der Entwicklung von Bauvorhaben, zweitens die Integration stadthistorischen und baukulturellen Wissens in die schulische Bildung, sowie, schließlich, um den hohen Aufwand interdisziplinärer Studien zu minimieren: die Institutionalisierung fächerübergeifender Forschungskooperationen". Dafür treibt sie einen erheblichen Aufwand im Referieren der Thesen Platons, Fouriers, Le Corbusiers und Friedrich von Börries' im Sinne einer "Geschichte von der guten Stadt als Raumutopie". Sie endet mit einem Appell, den nahezu alle Stadtexperten und Politiker in Sonntagsreden unterschreiben würden.

Ebenfalls aufgrund einer Dissertation (bei Kari Jormakka, Wien, überarbeitet an der TU Dortmund) erschien das Buch Metaphern für die Stadt. Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie (von Sonja Hnilica, transcript, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-2191-4, 32,80 Euro). Die Autorin hat Camillo Sitte gelesen und "kontrastiert" sein Hauptwerk (Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, 1889) mit Äußerungen "maßgeblicher" Architekten von Vitruv bis Koolhaas. Nützlich ist ihr konsequentes Auflisten und Analysieren der Metaphern für die Stadt als Haus, Lebewesen, Natur, Maschine, Theater, Gedächtnis, Kunstwerk und anderes. Damit wird der Leser daran erinnert, dass er nicht allen auf den Leim gehen sollte, die mithilfe einer Metapher mal wieder einen Paradigmenwechsel ausrufen.

Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart (von Hans Ulrich Gumbrecht, Suhrkamp Verlag, 2012,  Euro) ist ein bereits vielfach in den Kulturteilen der Zeitungen und Zeitschriften rezensiertes Werk, dessen Relevanz für die Nachkriegsarchitektur aber nochmals hervorgehoben werden darf. Gumbrecht erzählt viel von dem, was zum Verständnis der nachkriegsmodernen Architektur und Stadt beiträgt – bemerkenswert insofern, als dass deutlich wird, wie falsch eine rein ästhetische Verdammung dieser Nachkriegsmoderne ist, die gerade grassiert (siehe die Ausstellung von Arne Schmitt im Sprengel-Museum Hannover, wir berichten im nächsten eMagazin). "Latenz" setzt Gumbrecht gegen den Begriff der "Verdrängung"; letzterer suggeriert, dass etwas – nach 1945 sind natürlich die politischen Implikationen gemeint – verschwinden könne; "Latenz" indes signalisiert, dass etwas Ereignetes "latent" existiert und weiter Wirkung zeigt. Mache sich jeder seinen Reim darauf, was dies für die Tendenzen der Gegenwartsarchitektur in Deutschland bedeuten mag. Deswegen lohnt es sich, Gumbrechts Buch zu lesen.

Immer wieder in die Hand nehmen wird man auf jeden Fall die Zusammenstellung Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften (hrsg. von Claus Leggewie, Darius Zifonun, Anne Lang, Marcel Siepmann, Johanna Hoppen, transcript Verlag, ISBN 978-3-8376-1327-8, 25,80Euro). Die Herausgeber haben eine kenntnisreiche, originelle Auswahl getroffen, thematisch geordnet und individuell eingeleitet: monokulturell nie; Kommunikationsgrundlagen; kulturelle Pluralismen und soziale Ungleichheiten; Geschichte, Gedächtnis, Zeit; Wege zum Wissen; Handeln, Begründen, Erleiden; die Natur des Menschen; vom Geist der Zeit. Das Nachwort ergänzt den offenen Ansatz konsequent: Navid Kermani erläutert Orientalistik als Kulturwissenschaft und weist auf den Mangel hin, dass Kulturwissenschaften unabhängig von den Menschen besetzt werden.

Last but not least: Ornament Today. Digital Material Structural (hrsg. von Jörg H. Gleiter, der von Bozen an die TU Berlin gewechselt ist). Gleiter hatte schon 2002 einen Band "Zur Rückkehr des Verdrängten. Zur kritischen Theorie des Ornaments in der architektonischen Moderne" herausgeben und legt jetzt, 2012, eine Aufsatzsammlung nach – ausschließlich in Englisch und mit dem Schwerpunkt aufs Digitale. Dazu veranstaltet der Autor seit gestern (15. und 16. Januar) ein Symposium unter dem Titel "Effekt und Affekt. Architektur und das Digital-Erhabene" – mit einer etwas verschwurbelten Einleitung.

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