Ludwig Leo – Ausschnitt

Wolfgang Kil
9. Oktober 2013
Ludwig Leo (1924-2012) (Bild: Baukunstarchiv AdK Berlin) 

"In einem engen Treppenhaus müssen die Leute nett zueinander sein." Origineller als in diesem Zitat lässt sich die Architekturphilosophie dieses Mannes nicht zusammenfassen. Der Berliner Architekt Ludwig Leo (1924-2012) galt als Sonderling, als äußerst eigenwillig und Geheimtipp unter Eingeweihten. Sein bauliches Lebenswerk ist übersichtlich und geprägt vom historischen Hintergrund – dem unbedingten Planungsglauben der Nachkriegsjahrzehnte und dem exotischen Biotop Westberlin mit seinen Alternativkulturen. Für Leos einzigen wirklich berühmten Bau, den Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau, diese erratische Pop-Ikone in Rosa und Blau am Landwehrkanal, hat die Wüstenrot-Stiftung jetzt die denkmalgerechte Sanierung übernommen. Als begleitende Öffentlichkeitsarbeit dazu haben BARarchitekten (Berlin) und der Bauhistoriker Gregor Harbusch (Zürich/Berlin) eine Ausstellung über das Schaffen Ludwig Leos entwickelt, die noch bis zum 27. Oktober in Berlin – Prenzlauer Berg zu sehen ist. 
Gezeigt werden lediglich vier Bauprojekte: zwei realisierte (Sporthalle Charlottenburg und DLRG-Zentrale in Spandau) sowie zwei Papier gebliebene (Laborschule Bielefeld und Landschulheim am Solling / siehe Anm. 1). Anhand originaler Zeichnungen aus dem Archiv der Akademie der Künste, mit wenigen Fotos und zwei exquisit nachgebauten Arbeitsmodellen für die Wohnkabinen der Holzmindener Experimentalschule gelingt es den Kuratoren, Leos unverwechselbaren, fast ausschließlich mit Grundrissen und Schnitten operierenden Entwurfsstil anschaulich zu machen und als programmatisch zu begründen. In den durchweg von Hand gezeichneten Plänen fallen die vielen darin herumwuselnden Menschlein auf, die als allgegenwärtige Maßstabbildner und Funktionsverdeutlicher Sinn und Zweck dieser Architektur ins Bewusstsein rufen: Raum zu gewähren für kommunikative, in Freundlichkeit verbundene Gemeinschaften. Mit dieser so vitalen wie sozialen Leitidee hat sich Ludwig Leo noch einmal der Krise der späten Moderne entgegengestemmt, zu einer Zeit, da anderenorts Schamanen wie Rossi, Ungers, Krier anfingen, den Bilderzauber der Postmoderne zu entfachen. Während das frühe Vorbild James Stirling irgendwann die Kurve in den neuen Zeitgeist nahm, wählte Leo das Lehramt an der Berliner HdK. 
Diese These der Ausstellung vermittelt sich überraschend plausibel, und sie tut das auf sage-und-schreibe fünfeinhalb Quadratmetern! Auf unübertreffliche Weise trifft hier der alte Meister extremer Raumökonomie auf eine junge Generation, die in ihrem selbstgebauten Stadtwohnhaus extra ein schmales Separee für die Straßenöffentlichkeit reserviert. Kaum größer als ein begehbarer Schrank, sollen in dieser Schauvitrine direkt neben der Touristenmeile "Kastanienallee" keine Konsumartikel präsentiert werden, sondern Kunst. Oder eben Bildung – und das auf sehr kurzweilige Art. Die Ausstellung im Westentaschenformat hat etwas von einer "Erscheinung". Wie mit einem sanften Feenstreich wischt sie die Schleier von einem bislang kaum wahrgenommenen Œuvre und rüttelt zugleich an einigen festgefahrenen Diskursritualen der jüngeren Vergangenheit. Der räumliche wie grafische Witz dieser kleinen Exposition, die sich in ihrer extremen Kompaktheit auch ganz bewusst auf die Raumdichte in Leos Entwürfen bezieht, zeugt von der Begeisterung des kuratorischen Kollektivs. 
Zu loben sind außerdem die gedankliche Präzision der schönen, klaren Texte im kleinen Katalog sowie der ungemein heiter fabrizierte Animationsfilm (hier online-Ausschnitte), der originale Schnittzeichnungen der DLRG-Zentrale mit all ihren technischen und sozialen Entwurfsfiktionen zum Leben erweckt. Ist hier eine neue Generation von Bauhistorikern am Werk? Dann stehen dem Fach blendende Zeiten bevor.

Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau (Bild: Schmitz und Hübsch) 
Ludwig Leos Raumoptimierung im Entwurf für die Laborschule Bielefeld (Bild: Baukunstarchiv AdK, Berlin)

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