Handlungsbedarf in Saarbrücken

Ursula Baus
17. April 2013
Das Kultusministerium 2007 (Bild: av-a, Veauthier Meyer) 

Gerade erst hatten wir im Zusammenhang mit der Straßburger Ausstellung "Interférences - Interferenzen" auf die Bedeutung deutsch-französischer Architektur- und Stadtplanungsbezüge hinweisen können (eMagazin #15|2013), da ergibt sich in Saarbrücken Aktuelles für ein bauhistorisch herausragendes Bauwerk: für das Kultusministerium am Saarufer, das der Franzose Georges-Henri Pingusson 1951-54 als Französische Botschaft erbaut hatte. Seit Juli 1945 besetzten französische Truppen unter der Führung von Gilbert Grandval das Saarland, dessen Bevölkerung sich erst im Oktober 1955 aus der Autonomie für die Zugehörigkeit zur Bundesrepublik entschied. Der Wiederaufbau an der Saar war nach Empfehlung von Jean Prouvé von einer Gruppe unter Leitung von Marcel Roux geplant worden, mit dabei waren Mitglieder der CIAM und der UAM. 1946  entwickelte Georges-Henri Pingusson den "plan d'urbanisme" für Saarbrücken. Dieser umwälzende Plan hatte kaum Chancen, realisiert zu werden, weil Grundeigentumsverhältnisse und prognostizierte Kosten dem entgegenstanden und weite Teile der Bevölkerung nicht zu begeistern waren.

Das Kultusministerium 2008 (Bild: av-a, Veauthier Meyer) 

Pingusson baute aber am Saarufer ein Ensemble dezidierter Modernität: eben die Französische Botschaft, einen Stahlbetonskelettbau, im Grundriss einbündig, mit recht dünnen Betonwänden. In den 1980er Jahren wurden Betonschäden behoben und die Fenster auf der Südseite erneuert. Seit 1985 steht das Ensemble unter Einzeldenkmalschutz. Es ist skandalös, dass ein solcher Schutz in Deutschland, das sich als Kulturnation versteht und sich Baukultur auf die regierungspolitischen Fahnen schreibt, kaum noch etwas bedeutet. Aber in Saarbrücken bemüht man sich immerhin um eine passable Lösung.
2007-2008 erarbeitete das Architekturbüro av-v mit Experten aus Stuttgart und Karlsruhe im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Familie, Frauen und Kultur des Saarlandes eine gründliche bauhistorische und bautechnische Untersuchung des Gebäudes, die digital verfügbar ist und dem die links zu sehenden Abbildungen entnommen sind. Der Sanierungsbedarf beim Ministeriumsbau war unübersehbar. Ein späteres EUweites VOF-Verfahren gewann allerdings nicht das Büro av-a (2. Rang), sondern eine Arbeitsgemeinschaft unter der Leitung des Saarbrücker Büros Oliver Brünjes. Vorgesehen ist, das Hochhaus zu entkernen und die Achsengeometrie zu ändern, derzeit wird – abgestimmt mit der Denkmalpflege – an der Entwurfsplanung und der Kostenplanung gearbeitet. Zugrunde liegt ein Raumprogramm, das vom Amt für Liegenschaften für "ministerielle Nutzung" angegeben wurde. Irritierend ist durchaus, dass der Wiedereinzug des Ministeriums wohl nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert ist. Die Saarbrücker Zeitung zitiert jedoch den saarländischen Bildungs- und Kulturminister Ulrich Commerçon mit seiner Feststellung: "Es gibt zur denkmalgerechten Erhaltung keine vernünftige Alternative" – anlässlich der Eröffnung einer sehenswerten Ausstellung im Pingusson-Bau, die bis 28. April gezeigt wird. Sie stellt das Werk Pingussons vor, lohnt aber besonders, weil das Bauwerk dieses Architekten-Oeuvre spürbar illustriert und in seiner Geschichtsträchtigkeit erfahren lässt.

Foyer, um 1955, mit wandfüllendem Gobelin von François Arnal (Bild: Stadtarchiv Saarbrücken) 

Das von Ulrich Commerçon geleitete Ministerium zieht im September 2013 für zunächst fünf Jahr aus und wird laut Ministerratsbeschluss von 2011 nach Sanierung des Pingusson-Baus dort wieder einziehen. Wichtig wird sein, für genau diese Nutzer ein denkmalgerechtes Konzept zu erarbeiten – und so viel wie irgend möglich an originaler Substanz zu erhalten. Ein Kapitel der Baugeschichte, in dem Deutschland und Frankreich Ideen austauschten und beide Länder am Beginn einer neuen Freundschaft standen, muss für nachfolgende Generationen bezeugbar bleiben. Es steht auf dem Spiel, dass die schwierigen, frühen Phasen der Demokratie und Völkerverständigung aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden, wenn sie in unserer gebauten Umwelt nicht mehr zu finden sind.

Georges-Henri Pingusson, um 1960 (Bild: IFA/ Fonds GH.Pingusson) 

Literatur:
Der werkbund publizierte 2011 die Dokumentation "Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken" von Marlen Dittmann und Dietmar Kolling.

Andere Artikel in dieser Kategorie